Der Besuch der extravaganten Cousine

Bücherkalender Magda freut sich über einen Heiratsantrag

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Das Buch habe ich vor einiger Zeit mal antiquarisch erworben. Gewissermaßen als „Wiedervorlage“. Und das auch nur, weil es mich an meine Kindheit erinnerte.

Es lag bei uns zu Hause, wo es gar nicht so viele Bücher gab, herum und hat mich – natürlich wegen des interessanten Titels – angezogen. Erst schien es mir fast langweilig, als ich dann älter wurde, fand ich, dass es mehr war, als ein Schmarren.

Vor dem 1. Weltkrieg“, zum Ende des 19. oder Beginn des 20. Jahrhunderts spielt es. In einer kleinen Garnisonsstadt namens Delna – einer Welt für sich. Mit Honoratioren und einem Offizierskorps nebst angeschlossenen Gattinnen, die sich wechselseitig Konkurrenz machen was Putz und Mode betrifft und heftig klatschen.

Dort geschieht wenig bis zu dem Tage an dem sich bei Fritz Brenkenhoff, einem der Offiziere, die verschollene Cousine meldet und nach langen Jahren in der Fremde unter Künstlern und Weltenbummlern, wieder zurück in ihr heimatliches Delna will. Nelly Brandenstein heißt sie inzwischen, und sofort machen sich Fritz und Gattin Jenny Gedanken: „Brandenstein – skandierte Frau Jenny langsam den Namen „Glaubst also nicht Fritz, dass er ein Jude war?“ „Nein – bewahre“, ruft Fritz und erklärt damit etwas über die lange Geschichte des Antisemitismus.

Zögernd stimmt die Familie dem Gedanken zu, der Cousine ein Zuhause im traulichen Delna anzubieten.

Und so kommt Nelly in die kleine Stadt, um – nach einem Liebeskonflikt – zur Ruhe zu kommen. Ein viele Jahre jüngerer Kunstmmaler, hat ihr die Ehe angetragen- denn sie ist geschieden, was im heimischen Delna noch niemand weiß. Aber sie fürchtet, weil sie Jahre älter ist, dass sich diese Liebe nicht hält.

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Nelly bei der Ankunft

Dann rückt sie an mit dem Nachtzug ins schlafende Delna, bei Sturm und Regen und lernt schon mal die ganze leichte Dumpfheit des Nestes kennen.

Man erwartet von ihr – die eine schöne und elegante Dreißigerin ist – dass sie sich wie eine gnädig aufgenommene alte Tante verhält. Ist aber nicht drin bei Nelly. Die beugt sich nicht begeistert über den Stammhalter der Brenkenhoffs und säuselt „süß“, sie verschmäht die aufwändig hergestellte Hausmannskost und isst nur wenige Häppchen. Sie verschönt ihre Wohnung mit Marmorstatuen, die halb nackig sind. Schnell versammelt sie um sich die wenigen Kunstliebhaber der Stadt zu Musik und Unterhaltung. Sie verprellt die restlichen Damen des Ortes mit ihrer Extravaganz.

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Dass sie geschieden ist, erfährt vorerst nur der Cousin, der sie beschwört, das für sich zu behalten. Ein reicher aber kranker Kunstliebhaber, der am Ort lebt, kennt auch jenen Maler, dem sie den Laufpass gab und verliebt sich selbst in sie. Ein junger Dachs von Offizier macht ihr liebestrunken den Hof und bricht damit der jungen Verwandten von Nelly fast das Herz.

Der Regierungspräsident, ein eitler und sehr begehrter Witwer in den besten Jahren ist ihr ebenfalls auf den Fersen und beinahe will es scheinen, als erläge sie dem Wunsche nach Sicherheit und Status in der kleinen Delnaer Welt.

Aber es kommt anders: Ein Prinz besucht die Stadt. Und – wie die Romane so spielen – auch er kennt sie von früher. Entgegen allem Protokoll wendet er sich nur ihr zu, obwohl noch eine andere Dame der Delnaer Gesellschaft seiner Aufmerksamkeit harrt. Auch sie – so behauptet sie – war einst seine Leidenschaft, man habe aber um der Konvention willen verzichtet. Von diesem Verzichtsnimbus lebt sie bis zu dem Tag da der Prinz erscheint, der sich aber nicht erinnern kann. Erst auf Nachfragen fällt ihm ein: „Ah –die verschrobene Person.! Ich erinnere mich ihrer dunkel. – Ein ganz hysterisches Frauenzimmer – mir unausstehlich!“ Dafür stiehlt ihr die schöne Fremde völlig die Show. Es gibt wilde Gerüchte. Man erfährt von ihrer Scheidung. Nelly wird geschnitten und muss erleben, wie grausam diese Gesellschaft zuschlägt und sie ausstößt. Sie selbst spendet einer jungen Frau, die sich mit einem Offizier eingelassen hat, obwohl beide keine Mittel haben, um zu heiraten, eine angemessene Mitgift. Sie weiß, wie es ist, wenn man in diesem Milieu die „Ehre“ verliert.

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Jenny, die etwas schlicht gestrickte Ehefrau des braven Majors Fritz Brenkenhoff, heult Rotz und Wasser, weil diese fremde Verwandte Nelly, diese "verrufene Frau" nichts als Ärger schafft und die Delnaer Gesellschaft so herausfordert, dass auch sie und ihr Gatte fürchten müssen, ausgestoßen zu werden

Der Regierungspräsident zieht sich zurück. Sie ist allein. Aber, sie hat in Delna auch erfahren, dass Jugend und Schönheit allein keine große Liebe begründen. Eines der Offizierspaare – sie unansehnlich, er bildschön – sind sich in Liebe zugetan und lehren, dass es nichts aufs Äußere ankommt. Achja, wie schön.

Der vorher verschmähte Maler kommt zurück und bittet erneut um die Hand der „verrufenen Frau“. Und alles wird gut.

Das hat mich als junges Mädchen so gefreut. Aber, warum ich dieses Buch so in Erinnerung behalten habe, hängt vielleicht auch mit der eigenen Familiengeschichte zusammen, in der auch ein preußischer Leutnant eine Rolle spielt und eine uneheliche Tochter, die meine Mutter ist. Das ist lange her und eine andere Geschichte, aber ich fand‘s auch schon beachtlich, dass eine Autorin in einem Roman so energisch wider den Stachel der Anständigkeit löckte.

Die Baronin von Bode kann man nachgucken.

Das Buch hat schöne Illustrationen von Max Vogel.

Die drei Fragezeichen:

1. Wie lautet der erste Satz des Buches?

Lieber Fritz! Gestern traf ich Brinken mit seiner Frau an den Thermen des Caracalla und merkte an der Freude des Wiedersehens, dass Jugenderinnerungen doch stets ihr ungeschmälertes Recht behaupten

2. Wer oder was wärst du gern in diesem Buch?

Ach, gerne die Hauptperson. Die war ja eine sehr selbstbewusste, schöne Frau.

3. Wen könnte das Buch besonders begeistern?

Begeistern wird das wohl kaum noch, aber Leute die gern zwischen Zustimmung und Erheiterung über einen leicht antiquierten Stil schwanken und einen Blick in die „Welt von gestern“ werfen wollen, sind ganz sicherlich gut unterhalten.

Bücher, für die wir als LeserInnen brennen, werden vom 1. bis zum 24. Dezember vorgestellt. Eine Koproduktion von Amanda, Calvani, Goedzak, H.Hesse, Kay.kloetzer, Magda und Mcmac.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Calvani

Die Wirklichkeit ist immer nur ein Teil der Wahrheit

Calvani

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