Dimitri Verhulst - die Zweite

Bücherkalender Amanda über ein Buch, dessen Sätze manchmal wie Gefrorenes wirken, das einen glühenden Feuerball umhüllt, der schmilzt und Worte nebst Gefühlen freigibt

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Neulich im TV meinte wer, dass Google Books zu Beginn Walt Whitmans „Grashalme“ in die Sparte „Gartenliteratur“ sortierte. Was hier rechnerbasiert, online, geschah, liegt für das folgend besprochene Buch offline vor: Der „Monolog einer Frau, die in die Gewohnheit verfiel, mit sich selbst zu reden“ erschien im Covadonga Verlag, und „Covadonga ist der Verlag für Radsportliteratur“ (Verlagsmotto). Dass es in dem Buch nicht um Radsport, sondern um eine Senegalesin, den Senegal, andere Senegalesen, die Senegaleser Polizei, Senegals Menschen überhaupt geht, und beiseite, beiseite, um einen Radsportler, der gleichsam die gesamte westliche, geldliche, seelenverarmte, glückhaschende Welt präsentiert, wird dem Covadonga Verlag bestimmt aufgefallen sein. Wie es dazu kommt, dass Verhulsts Werk in D bis dato dreimal in der Sammlung Luchterhand, einmal im List Taschenbuch und nun eben als Radsportliteratur erscheint, wissen bestimmt einige.

Genau, d.V. hat schon einmal von Verhulst geschwärmt und möchte es hier wieder tun. Wer Seynabou kennen und lieben lernen möchte, eine senegalesische Frau, die sich „Gazelle“ nennt, nicht Hure, weil sie sich so „respektierter“ fühlt, „und wenn schon nicht von den Kunden, dann wenigstens von mir selbst.“ (Monolog, Seite 7), wer erfahren, erahnen möchte, was es bedeutet, da im Senegal zu leben, als Frau, allein – der lese.

Wer eine Geschichte hören möchte, die wenige Tage umfasst und doch das Leben spiegelt, das Großeganze, wer sich als Westweltler auch mal auslachen lassen, gar ein kleines bisschen negativneidisch werden möchte – der lese.

Und aber natürlich: „Abend für Abend habe ich mich nur darum zu meiner Arbeit gequält, um irgendwann jemanden kennenzulernen, der mich in eine schönere Welt lotsen würde.“ (Ebd., Seite 23). Und weiter: „Wie soviele bewundere ich Nairobi Maryann, genauso wie Wairis Dirie und Katoucha Niane, schwarze Fotomodelle, die in Glamourland Karriere gemacht haben. Auch wenn Katoucha leblos in der Seine aufgefunden wurde, ermordet, weil sie es wagte, eine Meinung zur Beschneidung afrikanischer Mädchen zu haben, können wir uns keine bessere Strickleiter aus dem Tränental vorstellen als Kameralinse und Studiolampe. Okay? Dürfen wir? [...]“ (Ebd., 23/24.).

Was genau Seynabou erzählt, von sich und über ihre Geschichte mit Jens De Gendt, DEM belgischen (und nun toten) Radsportstar, wie sie staunend erfährt, soll hier nicht verraten werden. Verhulst leiht Seynabou seine Sprachkraft, die Sätze wirken manchmal wie Gefrorenes, das einen glühenden Feuerball umhüllt, der schmilzt und Worte nebst Gefühlen freigibt, die Seynabou wie beiläufig in die Köpfe der Lesenden, Hörenden stanzt. Gern sähe d.V. den Text, der genauso angelegt ist, aufgeführt als Monolog.

Der Geschichte liegt wahres Leben zugrunde. D.V. hat den Artikel erst nach der Lektüre gelesen und distanziert sich von der Einschätzung Seynabous als „naiv“ darin – dass man ihr „an den Lippen hängt“, stimmt aber und ist Verhulst mehr als zu danken.

Mit „Problemski Hotel“ hat Verhulst schon einmal von MENSCHEN geschrieben, die häufig nur als „Flüchtlinge“ bezeichnet werden. Die Idee des für 2014 in D erscheinenden schönen Titels „Der Bibliothekar, der lieber dement war als zu Hause bei seiner Frau“ lässt die Vorfreude ab genau JETZT starten.

Die drei Fragezeichen:

1. Wie lautet der erste Satz des Buches?

„Du siehst dich um.“

2. Wer oder was wärst du gerne in diesem Buch?

Die Nachbarin von Seynabou.

3. Wen könnte das Buch besonders begeistern?

Sprachfreunde (Rainer Kersten hat wieder übersetzt) und Menschen mit Neugier auf andere Menschen.

Bücher, für die wir als LeserInnen brennen, werden vom 1. bis zum 24. Dezember vorgestellt. Eine Koproduktion von Amanda, Calvani, Goedzak, H.Hesse, Kay.kloetzer, Magda und Mcmac.

Dimitri Verhulst: Monolog einer Frau, die in die Gewohnheit verfiel, mit sich selbst zu reden. Covadonga Verlag, Bielefeld 2013.
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Geschrieben von

Calvani

Die Wirklichkeit ist immer nur ein Teil der Wahrheit

Calvani

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