Du bist doch keine Deutsche!

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Auf der Kölner Domplatte und dem darunter liegenden Bahnhofsvorplatz ist es gerne sehr windig, deshalb stand ich vor ein paar Jahren mit zwei dem blauen Dunst frönenden Freundinnen im Eingangsbereich der Bahnhofshalle. Ich war grummelig, weil ich als Nichtraucherin befürchtete, dass wir wegen der Zigarettenpause unseren Zug verpassten, und wollte schon losmotzen, da stapfte ein Mittfünfziger auf uns zu und posaunte: "Hier ist Rauchverbot" - was stimmte - "und das gilt auch für Ausländer!"
Bevor wir reagieren konnten, war er auch schon wieder verschwunden und meine Freundinnen und ich blieben mit der Frage zurück: Welche Ausländer?
Das hier ist zum Glück keine Geschichte über rohe Gewalt und Verletzungen der Menschenrechte, nein, auch um große Politik geht es hier nicht. Oder ist individuelle Identität ein großes politisches Thema? In der flächendeckenden Gesamtheit der Individuen schon. Deutschland, das Einwanderungsland, das ist ein großes politisches Thema! Mein Vater war übrigens einer von denen, die daran schuld sind, denn dieser Migrant - pardon - dieser Ausländer - emigrierte vor über dreißig Jahren aus dem Ausland nach Deutschland und starb dennoch als Deutscher. Das habe ich schwarz auf weiß. Steht nämlich in seiner Sterbeurkunde: Staatsangehörigkeit: deutsch.
Meine Mutter dagegen ist am Wandel der Bundesrepublik zum Einwanderungsland unschuldig. Soweit ich es nachvollziehen kann, waren ihre Vorfahren allesamt Deutsche und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern arisch - pardon - reinrassig. Dass in der Sterbeurkunde meiner Mutter "deutsch" steht genau wie in meiner Geburtsurkunde, denn ich lebe ja noch, verwundert also nicht.
Schon als kleines Kind, habe ich sie häufig gehört, die Frage, die mit dem Finger auf mich zeigt und früher sogar Tränen kullern ließ: "Wo kommst du denn her?" Wenn ich dann naiv antwortete "Aus der Schule" oder "Von zu hause" präzisierte meist ein Zusatz diese teufliche Frage: "Nein, ich meine doch gebürtig!"
Gebürtig? Gebürtig komme ich aus dem Bauch von Mama wie jedes andere Kind auch und dass es in Deutschland so viele Menschen gibt, die nicht wissen, wo die Kinder herkommen, also, das hätte ich nicht gedacht!
Spitzenreiter im Hinblick auf die "Wo-kommst-du-denn-her-Frage" war allerdings nicht meine Kindheit in einem beschaulichen Dorf in NRW, nein, es waren die ersten Semester im Fach Rechtswissenschaft an der Universität zu Köln. In diese Zeit fiel auch das Experiment, das diesem Blogbeitrag seinen Namen gab. Eine Privatparty einer Kommilitonin. Wie so häufig tümmelte sich das Partyvolk in der Küche - so auch ich. Am Esstisch saß eine Blondine und fragte mich nach einer zweisekündigen Einleitung über das Freundschaftsverhältnis zwischen mir und der Gastgeberin quer durch die ganze Küche: "Wo kommst du denn her?"
Bis zu diesem Tag hatte ich mit Ausnahme meiner kindlich-naiven Antworten der oben beschriebenen Art auf diese Frage immer brav die Auskunft erteilt, um die es den Fragenden geht: meine Rasse.
Da ich in Deutschland als Deutsche aufgewachsen bin, ist Deutsch meine Muttersprache und ich beherrsche darüber hinaus nur die Sprachen, die man auf einem katholischen Gymnasium so lernt: Englisch, Französisch und Latein. Ich trage einen Namen aus der Bibel und bin römisch katholisch. Meine Eltern haben sich früh getrennt, vermutlich habe ich auch deshalb überhaupt keinen Bezug zu dem Land, dessen Volk - pardon - dessen Rasse mir die dunklen Locken, die mandelförmigen Augen und den gold-oliv Ton der Haut verpasst hat.
"Ich bin Deutsche", behauptete ich auf jener Party und blickte herausfordernd in die Runde der deutschen Jungakademiker.
"Du bist doch keine Deutsche!" schallte es höhnisch gleich aus mehreren Kehlen zurück.
Auch ich hatte damals das Gefühl mir selbst ein Attribut zu attestieren, das mir nicht zusteht. Schließlich bin ich weder blond noch blauäugig.
Genau wie Philipp Rösler. Weil Rösler in dieser Woche zum Vorsitzenden der Freien Demokratischen Partei gewählt wurde, haben Augstein und Blome die Asia-Woche ausgerufen. Rösler ist nicht wie ich in Deutschland geboren und bereits als Kleinkind getauft worden, ich kann also behaupten deutscher oder abendländischer zu sein als er - Hurra! - trotzdem habe ich mir die Frage gestellt, wenn eine Frau wie ich - Gott bewahre! - zur Vorsitzenden der FDP gewählt worden wäre, was hätte es denn dann gegeben? Spanische Woche? Arabische? Oder gar feministische?
Als ich nach den ersten, ich glaube, rund neunzig Kommentaren zu meinem zweiten Blog ein Foto von mir hochlud, dauerte es keine fünf Minuten und da stand er dann auch schon, der Kommentar: Rasse-Weib.
Was wollt Ihr denn verdammt? Was muss ich tun, damit ich endlich deutsch, endlich eine von Euch sein darf?
Deutsche sehen inzwischen so aus wie ich.
PARDON!

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Geschrieben von

Calvani

Die Wirklichkeit ist immer nur ein Teil der Wahrheit

Calvani

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