Eine Kapitulation

Bücherkalender Calvani irrt auf den Fährten der Liebe und findet nur soziale Determinanten

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Nichts über dieses Buch zu wissen, war für mich als Leserin die beste Bedingung - und zugleich ist sie für mich als Rezensentin die Schlechteste. Ich will mich dennoch als gute versuchen: Vor Jahren flog ich mit einer Freundin an einen weit entfernten Sandstrand, wo wir uns in der Sonne aalten und es uns gut gehen ließen. Ich hatte mir dieses Buch eigens für diesen seltenen Urlaub als Taschenbuchausgabe gekauft, weil ich es dort in der Ferne lesen, weil ich dort in der Ferne die jüngferlichen Seiten die wohlbekannte Geschichte erzählen lassen und sie dabei höchstpersönlich imprägnieren wollte. Jede einzelne Seite. Ein Sonnenmilchspritzer hier, ein Eselsohr, ein Joghurteistupfer da. Es war mir daher überhaupt nicht recht, dass meine Freundin mein neues altes Buch noch vor mir in ihre Finger bekam, aber es erschien mir einfach zu kleinlich, ihr die Lektüre des Buches zu versagen, wo sie doch wegen meiner Schwärmerei dafür umso begieriger darauf war. Und so schwieg ich und sie las das Buch, dessen Geschichte schon damals mein treuer Begleiter, meine Zuflucht und mein literarisches Zuhause war, und sie gab es mir, noch bevor sie es zu Ende gelesen hatte, zutiefst enttäuscht zurück. Ihre genauen Worte habe ich vergessen, aber nie den angewiderten Ausdruck in ihren Augen und um ihren Mund herum. Wäre mein Leben ein Roman, wäre schon an dieser Stelle für den geneigten Leser erkennbar gewesen, wie und warum unsere Freundschaft Jahre später endete. Ich erkannte es damals noch nicht, aber eine Ahnung hatte auch ich schon.

Die drei Fragezeichen:

1. Wie lautet der erste Satz des Buches?

Du, schau dir mal den Mann dort an.

2. Wer oder was wärst du gern in diesem Buch?

Das violette Band, das mit dem dumpfen Trotz der Gegenstände schweigt und in seiner Stummheit doch redet. Das wie die böse violette Zunge eines Kobolds sagt: "Siehst du, irgendwo hinter der schönen, geordneten Fassade war ich. Ich war und bin. Ich bin die Unterwelt, das Geheimnis, die Wahrheit."

3. Wen könnte das Buch besonders begeistern?

Die Mutigen, die ihrer scharfen Beobachtungsgabe vertrauen und doch an ihr am meisten leiden.

Bücher, für die wir als LeserInnen brennen, werden vom 1. bis zum 24. Dezember vorgestellt. Eine Koproduktion von Amanda, Calvani, Goedzak, H.Hesse, Kay.kloetzer, Magda und Mcmac.

Sándor Márai: Wandlungen einer Ehe. Roman. Piper Verlag, 464 Seiten, kartoniert, 10,99 Euro
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Calvani

Die Wirklichkeit ist immer nur ein Teil der Wahrheit

Calvani

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden