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Bücherkalender Goedzak wühlt mit Lust und Wehmut im literarischen Bodensatz

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Kann man tiefer sinken als bis auf den Krimi (Pardon, mcmac!)? Aber ja doch: Die steil abschüssige Straße der literaturrezeptionellen Sünde endet erst beim Liebesroman! Zur bildungsbürgerlichen Distinguiertheit gehört zwar heute ein gewisses Maß an Trash-Konsum, Fußball, Krimis, Popmusik – aber Liebesromane doch nicht!

Tja, ich gebs zu, ich hab einen (wieder-)gelesen, und der heißt auch noch „Con Amore“. Geschrieben hat ihn Krystyna Berwińska, die dann gleich anschließend das Drehbuch für die Verfilmung von 1976 verfasste. Die Autorin, Jg. 1919, studierte während der deutschen Besetzung Warszawas an einer Untergrund-Uni Schauspiel.

Der erste Satz des Romans lautet: „Die letzten neun Takte: mit der Rechten leicht und fließend, cantabile!“ Es wird nämlich viel auf dem Konzertflügel gespielt bzw. geübt, die männlichen Hauptakteure sind Musikstudenten in Warszawa in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Man bereitet sich auf den Internationalen Chopin-Wettbewerb vor. Es geht zunächst darum, welche polnischen Jung-Pianisten sich für diesen Wettbewerb qualifizieren können.

Andrzej, talentierter, verschlossener Dorfbengel aus Masuren, Mutter früh gestorben, Schwester psychisch krank, Vater ex-stalinistischer Bürgermeister eines masurischen Dorfs, und Grzegorz, etablierte Eltern, keine Existenzsorgen, ehrgeizig, sind Freunde und Konkurrenten an der hauptstädischen Musikhochschule.

So, da haben wir also die zwei Jungs. Liebesroman (natürlich hetero-normativ) - also muss noch ein Mädchen her. Da ist es auch schon, bereits auf Seite 1: „Ein schwarzer Pullover, eine enganliegende schwarze Hose, ein metallener Gürtel um die Hüften...“ Und „ein Gesicht, umrahmt von schwarzem Haar“. Immerhin keine von den hell-strahlenden Blondinen, wie sie seit der Goldmarie die guten Mädchen in allen Narrationen der Trivialkultur abgeben. Sie heißt Ewa, ist eine elternlose Architekturstudentin und die Freundin von Grzegorz („Ich habe ein Mädchen abgeschossen. Vom Polytechnikum.“ – Roman-Jugendsprache, 1970er Jahre) Klar, dass sich auch Andrzej in die dunkle Schöne verliebt, lässt sich aber nichts anmerken. Dem Freund spannt man nicht das Mädchen aus!

Soweit also alles im Lot. Bis das unerhörte Ereignis hereinbricht: Ewa ist schwer krank, hat einen Tumor, muss operiert werden. Ihr Lover sagt, ab ins Krankenhaus, ich ackere inzwischen für den Wettbewerb, und wenn ich gewonnen habe und du wieder gesund bist, heiraten wir!

Andrzej aber kümmert sich um das eltern- und mittellose Kind, arbeitet als Barpianist in einem Striptease-Schuppen und in einer Jazz-Band („Negermusik“ würde Monika Bleibtreu als ebenfalls schwer Chopin-affine Klavierlehrein in dem Film „Vier Minuten“ gesagt haben - die versaut die Fingermotorik und den Anschlag.) Ewa hat keinen Lebensmut mehr, deshalb geht es mit der Genesung nach der OP nicht recht voran. Andrzej muss nicht nur materiell, sondern auch emotional und mental schwer schuften, um die Geliebte, der seine Gefühle zu gestehen er tunlichst vermeidet, durchzubringen. Und natürlich kommt irgendwann auch der Durchbruch, Ewa will wieder leben, sieht Andrzej mit anderen Augen, lässt den Karrieristen Grzegorz in Moment seines größten Triumphs (Preisträger und polnischer Kandidat für den Chopin-Wettbewerb) stehen und geht mit Andrzej, der es, alles hat eben seinen Preis, nicht geschafft hat.

Die Verfilmung von 1976 steht heute nur in der polnischen Originalfassung auf Youtube zur Verfügung. Einer der Kommentare dort lautet: „Hanba dla polskiego kina!“ (Eine Schande für das polnische Kino!) Tja, Konkurrenz für die großen Leute wie Wanda Jakubowska oder Andrzej Wajda ist er nicht. Die meisten anderen Kommentatoren schwelgen aber in (n)ostalgischen Gefühlen. Einer schreibt: „To jest nasze polskie ‚Love Story’. Polecam ten film wszystkim, a w szczególności młodym.“ (Dies ist unsere polnische "Love Story". Ich empfehle diesen Film vor allem den jungen Leuten.)

Dieser so typisch polnisch-nationalstolze Vergleich mit einem der kommerziell erfolgreichsten Hollywood-Blockbuster aller Zeiten (hat das 50-fache der Produktionskosten eingespielt) ist nicht ganz abwegig. Aber wer schon mal die unsägliche „Schicksalsmelodie“, wenn möglich mit Text, gehört hat, weiß, dass der Film seine Wirkung daraus zieht, dass die Leute sich an der „Tragik“ ihrem Schicksal unentrinnbar ausgelieferter Menschen delektieren können.

Die Akteure in der „Love Story“ der Volksrepublik Polen sind da letztlich weniger schicksalsergeben und erringen aktiv ihr Glück. Schön auch! – Inzwischen ist die Geschichte über das alles hinweggegangen. Letzten Spätherbst war ich in Warszawa und traf Ewa (Małgorzata Snopkiewicz), eine nicht mehr ganz junge, sehr attraktive Dame, unverhofft auf der Straße. Ich hab ihr nachgeschaut. Schätzungsweise ist sie heute die Chefarchitektin der Hauptstadt und sorgt dafür, dass der alte Art-Deco-Kulturpalast, ein Geschenk der Sowjetunion an das polnische Volk, von blitzenden Sky-scrapers umstellt wird.

Die drei Fragezeichen:

1. Wie lautet der erste Satz des Buches?

Siehe oben.

2. Wer oder was wärst Du gern in diesem Buch?

Damals wäre ich natürlich gern der Andrzej, der positive Held, gewesen. Heute höchstens der Architektur-Prof von Ewa, aber so eine Figur gibt es gar nicht in dem Roman. Aber ich würde gern mal wieder in Masuren durch die Wälder radeln.

3. Wen könnte das Buch besonders begeistern?

Vierzehnjährige Träumer, die nicht ganz ungern zum Klavierunterricht gehen. - Oder Leute, die aus beruflichen Gründen alles um sich rum nach Spuren der Vergangenheit absuchen.

Bücher, für die wir als LeserInnen brennen, werden vom 1. bis zum 24. Dezember vorgestellt. Eine Koproduktion von Amanda, Calvani, Goedzak, H.Hesse, Kay.kloetzer, Magda und Mcmac.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Calvani

Die Wirklichkeit ist immer nur ein Teil der Wahrheit

Calvani

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