Get angry with me

Medien vs. Youtube Wenn's um Werbung geht, gehen Sachen, die eigentlich gar nicht gehen

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„Kennt ihr das übrigens, wenn man morgens manchmal so Frisuren hat nach dem Aufwachen, und die ganz gut findet und die am liebsten lassen würde, sich dann aber meistens doch dagegen entscheidet?“, fragt daaruum in ihrem Video Morgen Routine und Haar Routine mit kürzeren Haaren.

Ja, kenne ich. Daaruum kenne ich auch, nicht persönlich natürlich, sondern nur medial. Y-Titty, LeFloid, funnypilgrim, Ebrus Beautylounge, xKarenina kenne ich ebenfalls. Und noch viele mehr. Bislang waren Youtube-Kanäle dieser Art bzw. Arten jedoch wenig bis gar nicht präsent in den sogenannten tradierten Medien. Hier gab es mal einen Artikel, dort spielt daaruum alias Nilam M. Farooq in einer Fernsehserie und Ebru hat es auch schon mit bild.de versucht oder bild.de mit ihr. Aber sonst?

Ich staunte wirklich nicht schlecht, als ich vor gar nicht mal so langer Zeit entdeckte, was da auf Youtube so los ist. Viele neue Wörter und Begriffe, wiederkehrende Formate und gänzlich formatlose Videos. Und Millionen von ZuschauerInnen. Millionen. Ich wusste damals nicht, was ein Haul ist, ein Follow me around, ein Get ready with me oder die KomKom Show. Argwöhnisch nahm ich zur Kenntnis, dass es mir besonders die Empties angetan haben, die Aufgebraucht Videos, bei denen YoutuberInnen Müll in die Kamera halten und darüber räsonieren, was sie über seinen einstigen Inhalt und Gebrauch so denken – oder wofür sie sich womöglich bezahlen lassen.

Besonders suspekt hingegen waren und sind mir nach wie vor die Unboxing Videos, denen sich auch Zeit Online und der Tagesspiegel mal versuchsweise genähert haben. Jemand sitzt vor einer Kamera und öffnet ein Paket. Manche sollen laut Tagespiegel der Meinung sein, nur vermeintlicher „Jungskram“ könne Gegenstand eines Unboxing Videos sein, während auszupackender „Mädchenkrempel“ unter den Begriff Haul zu fallen hätte. Und dann folgt eine Schlussfolgerung, die mich weitaus staunender zurücklässt als jedes Müll-Video bisher: „In diesem Sinn lässt sich Unboxing auch als Verweigerungsgeste interpretieren, als konsequente Absage an die Leistungsgesellschaft: Wer noch weniger abliefern möchte, müsste sich schon beim Atmen filmen lassen.“ Wenn die Zurschaustellung der eigenen Gebrauch-Besitztümer eine Absage an die Leistungsgesellschaft sein soll, kann ich nur sagen: Tschüss Leistungsgesellschaft! Hallo Habengesellschaft! Denn wer Hauls und Unboxing Videos abdrehen will, muss ja erst mal etwas haben, was er oder sie in die Kamera halten kann, nicht wahr? Und zwar ständig Neues. Darüber findet sich hingegen kein Wort - vielleicht weil’s in bestimmten Kreisen einfach nicht der Rede wert ist, „Must-Haves“ zu haben.

Gestern Abend nun war es dann so weit: Y-Titty im Fernsehen. Und daaruum auch. Nicht als Nilam, sondern als daaruum - mit dem zu Beginn dieses Beitrags verlinkten Video über die Morgen- und Haarroutine. Das Magazin Report Mainz erhebt den Vorwurf der Schleichwerbung, ein Verdacht der mir in ähnlicher Weise auch schon bei einigen Youtube Videos der beschriebenen Art gekommen ist, weil er sich bisweilen wirklich unweigerlich aufdrängt. ‘Was für eine Entdeckung!‘, denke ich, als ich den Beitrag sehe. Wenn es um Werbung geht, können öffentlich rechtliche Medien plötzlich sehr wohl spiegeln, was auf Youtube los ist, an kritisch-kultureller Einordnung dagegen bestand offenbar lange Zeit kein Interesse.

Und noch etwas später am gestrigen Abend zappe ich so über der Bettdecke mit der Fernbedienung von A nach Z und sehe auf SWR lauter YoutuberInnen nebst dem unkreativen Versuch, eben jene YoutuberInnen zu parodieren. Und Meedia meldet heute zum Schleichwerbevorwurf: „Stand Mittwochmittag lässt sich festhalten, dass sich die Zielgruppe für den vermeintlichen Schleichwerbeaufreger nicht groß interessiert. Von Shitstorm (noch) keine Spur.“

Komisch, dass diese Feststellung Meedia eine Meldung wert ist, war doch dort erst kürzlich im Zusammenhang mit dem „First Kiss“ Video, zu dessen enormer Verbreitung auch Meedia anfangs ohne Hinweis auf den Werbehintergrund beitrug, später zu lesen: Ja, "First Kiss" ist Werbung. Aber "First Kiss" ist trotzdem authentisch.

Dauert manchmal echt lange, Freunde, bis ihr mal was merkt.

Cicero: Klaus Raab über LeFloid:

Wer erreicht heute Teenager mit politischen Themen? Florian Mundt schafft das in seinen rasanten Videos und hat eine Reichweite, von der viele Zeitungskommentatoren nur träumen können

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Geschrieben von

Calvani

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