I ain't fit to be no mother
I ain't fit to be no wife yet
I been workin' like a man, y'all
I been workin' all my life yeah
(...)
Lord you know I'm a good looking woman
Lord you know I'm a good looking girl
If you want to give me something
Anything in this great big world yeah
Lord you know that I am ready
for my sugar my sugar daddy
(Working Woman Blues, Valerie June)
Oostende, De Grote Post // Utrecht, Tivoli: Die Support-Band auf der Bühne, drei Rednecks – jedenfalls sehen die Typen aus, als wären sie aus einem White-Trash-Trailer-Park entlaufen. Sie spielen „electric washbord“, „electric washtub bass“ und eine irre dreckig klingende „cigarbox guitar“. Ich bin mit dem Zug angereist. Die 7 Stunden Bahnfahrt reichen für die erste Hälfte des Buches, die andere kommt auf der Rückfahrt dran.
Die Sängerin schweigt einen Moment, schließt die Augen, wischt mit einem Handrücken über die Stirn und seufzt leise – und wirkt dabei wie eine Arbeiterin auf einem Lewis-Hine-Foto aus den 1930er Jahren.
Der Song endet damit und das Publikum regt beifällig die Hände. Auch Goedzak klatscht, die Sinne, Augen und Ohren, folgen weiter dem Konzert, in seinem Kopf aber tauchen ein paar Erinnerungsbilder auf. Die Großmutter, mit Zopfkranz, kaum zu erkennen im Dampf, rührt in einem Kessel voller Wäsche herum, hackt Holz, rupft eine Ente. Die Mutter, Frisörin, beide Fäuste in den schmerzenden Rücken gestemmt. Die Tochter, die zornig von der „Öse“ erzählt, die sie mit sinnlosen Arbeitsaufgaben hin und her scheucht.
Musik macht glücklich, Musik macht traurig. Manchmal so sehr, dass es sich schon wieder wie Glück anfühlt. Oder verstärkt die Musik nur, was schon in einem steckt?
„Ihre kräftigen Arme hoben und streckten sich, während ihre Finger über die vergilbten Tasten auf und ab perlten. Ich konnte nicht feststellen, welches Stück sie spielte, aber der Stil war unverkennbar. Es war Albert Ammons, Jerry Lee Lewis und Moon Mulligan, es war Barrelhouse-Piano, die Kneipenmusik aus dem Süden der fünfziger Jahre, es war der Rhythm & Blues aus Memphis und Texas, der einem schier das Herz brechen konnte.“ Das schreibt James Lee Burke in seinem Krimi „Purple Cane Road“ (New York, 2000), der wie die meisten seiner Romane in Louisiana bei New Orleans handelt, in einer Welt voller unterschwelliger und offensichtlicher Gewalt, wo schöne, duftende, rhytmisch sich bewegende Körper als missbrauchte, zerbrochene Leichname enden, wo die Erde voller alter Knochen ist, auf die man stößt, wenn man auch nur ein bisschen zu tief gräbt.
In James Lee Burkes Cajun-Welt kommen Figuren wie der weiße Hinrichtungsbeamte vor, der über Jahre zwei kleine, sich selbst überlassene schwarze Mädchen aus der Nachbarschaft missbraucht, von denen die eine ihn später als erwachsene Frau brutal erschlägt. Diese Gestalten erscheinen bei Burke wie archaische Typen der menschlichen Rasse, die nun mal so ist wie sie ist. Die Figur des Ermittlers Dave Robicheaux aber steht gegen den ahistorischen Fatalismus. Er leidet an dieser tragédie humaine. Und er ist natürlich in guter klassischer Hard-Boiled-Tradition derjenige, der trotz aller scheinbaren Vergeblichkeit gegen die Zustände ankämpft. Der Leser schaut aus der Perspektive des Autors auf die Verhältnisse und kann sich seinen Teil denken. Er kann sich aber auch dieser Trauer, diesem Schmerz, dieser verwaschenen Schönheit ausliefern.
Am Ende kommt eine junge schwarze Frau auf den elektrischen Stuhl, eine andere kehrt gerettet in ihre Bar zurück und setzt sich wieder ans Piano.
Die drei Fragezeichen:
1. Wie lautet der erste Satz des Buches?
„Früher wurde Vachel Carmouche in den staatlichen Personalakten stets als Elektriker geführt, niemals als Henker."
2. Wer oder was wärst du gerne in diesem Buch?
Ein für allemal: Ich bin am liebsten ich selbst – obwohl das auch nicht immer das Optimale ist.
3. Wen könnte das Buch besonders begeistern?
Freunde der Volksmusik von südlich der Mason-Dixon-Linie, kritische Krimileser und auch Nichtkrimileser ohne Krimi-Vorurteil.
James Lee Burke: Straße ins Nichts, Goldmann, 2002
Valerie June: Pushin’ Against A Stone, 2013 (CD)
Bücher, für die wir als LeserInnen brennen, werden vom 1. bis zum 24. Dezember vorgestellt. Eine Koproduktion von Amanda, Calvani, Goedzak, H.Hesse, Kay.kloetzer, Magda und Mcmac.
Kommentare 15
So viele so schöne Sätze und Assoziationen. Meine Favoriten (die Reihenfolge ist keine Rangfolge):
"Musik macht glücklich, Musik macht traurig. Manchmal so sehr, dass es sich schon wieder wie Glück anfühlt. Oder verstärkt die Musik nur, was schon in einem steckt?"
Und: "Am Ende kommt eine junge schwarze Frau auf den elektrischen Stuhl, eine andere kehrt gerettet in ihre Bar zurück und setzt sich wieder ans Piano."
Und: "Ein für allemal: Ich bin am liebsten ich selbst – obwohl das auch nicht immer das Optimale ist."
Sie stehen für alles.
http://www.youtube.com/watch?v=8oWc4BRssew
Ich erinnerte mich bei Cajun an "Schultze gets the Blues"
Das war ein toller Film mit dem Horst Krause. Vom Polka-Akkordeonisten zum Cajun-Spieler.
Sehr gefühlvoller Tagebucheintrag, Goedzak und hochinteressant, wie Sie so alles mit ihrem Leben verbinden.
Valerie June hat eine Stimme, die ihr geschenkt wurde und gut zu einer Authentizität passt, die an Jahrzehnte die längst schon vergangen sind erinnert. Ihre Song-Lyrik ist dann eher schlicht und Sugar daddies allerdings gerade der Diskurs-Renner.
Nun aber zu dem Krimi und hoffentlich nur zur grotesk schlechten Übersetzung:
>>„Ihre kräftigen Arme hoben und streckten sich, während ihre Finger über die vergilbten Tasten auf und ab perlten.(...)<<
Wenn es so im Original steht ist das Schrott und wenn es die Übersetzung ist, dann ist die völlig verunglückt. Lesen Sie sich das dreimal laut vor und, Sie kennen sich ja musikalisch aus, vergegenwärtigen Sie es sich. Es klappt nicht, klingt aber erst einmal beeindruckend. - Der Goldmann- Effekt? Kennen Sie das Original? Leider geht es so weiter. Fazit: Keine Zeit verschwenden und ab auf die Rampe. Oder aber, das Original muss besser sein. Der Polizeifigur Robicheaux wäre es zu wünschen.
Sie schreiben da um Klassen besser, auch wenn Sie am Ende den Schmu ein wenig mitmachen.
Die Umgebung New Orleans´ vor und nach dem Sturm Katrina, hat diese erotische Aufladung und Erinnerung an viel Musik gar nicht mehr. Das ist in weiten Teilen eine verschlampte, verbaute und zerstörte Urbanisation, die nicht einmal die Armut in Schwarz-Weiß noch schön werden lässt.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Daran musste ich auch denken; aber auch an "Sin City" (Hard Boiled: "Ein alter Mann stribt. Ein junges Mädchen lebt. Faires Geschäft." ...)
Danke, lieber goedzak - Wunderbar verwoben & wunderbar geschrieben.
lg-mcmac
https://www.youtube.com/embed/O7D34TRxVTM
Song-Lyrik (...) eher schlicht
Ja, das trifft auf den allergrößten Teil der niederen Volksbelustigungen zu, da machst du, Columbus, also sozusagen den Gottsched gegen den Hanswurst, nicht?
Ich hatte hier einmal eine kleine Kontroverse mit Rapanui (hallo, Rapanui!), es ging um die Frage, welche Rolle der Text in der populären Musik spielt. R. war der Meinung, in einem guten Popsong muss es eine qualifizierte Aussage (Text) geben. Ich hielt dagegen, dass der Gesang im Popsong zuerst sowas wie eine non-verbale (ich weiß, klingt seltsam, etwas Verbales soll non-verbal sein...) körperliche Entäußerung ist, eine Lust am Gebrauch des Stimmorgans, am Flow des Gesungenen, Gesprochenen (beim Rap ganz wichtig). Man kann es noch unverfälscht bei Kindern beobachten, die aus Sinnenlust los-kauderwelschen oder tralla-lallen.
Damals in dem thread drückte ich das so aus: "Vielleicht kann man solche Genre wie Chansons und Liedermacher-Songs ja als eine Art "literarische Musik" bezeichnen? Der Text steht im Mittelpunkt. Die Entfernung zum rezitierten, gesprochenen, deklamierten Gedicht/Text ist viel geringer, als die zum Rock-Song, Rap, oder dgl.
Klassischer Jazz, Blues, Rock'n'Roll, HipHop usw. sind "Körper-Musik". Diese Pop-Genre haben wahrscheinlich zur Veränderung der Körperkultur im 20. Jahrhundert mehr beigetragen als Sport und Fitness-Welle.
Die Sinnlichkeit der 'literarischen Musik' wie auch z.B. von Lyrik ist eine vermittelte, eine, die erst zurück durch den Geist gehen muss (beim sog. Rezipienten), bevor sie wieder in den Körper fahren kann.
Guten Rock'n'Roll z.B. kann man nicht intellektuell 'genießen', man kann ihn 'hinterher' reflektieren (z.B. auch seinen Textteil), aber wer sich von ihm nicht in Bewegung, in's Schwitzen bringen lässt, 'der wird es nicht erjagen'"
Natürlich spielt auch in den folk- und popmusikalischen Formen die Semantik der Texte eine Rolle, aber eine nicht so vordergründige.
Was die gehobenen und gestreckten Arme mit den Händen mit den perlenden Fingern angeht, auf Youtube gibts eine Clip-Serie unter dem Titel "Emoting pianists", guck mal rein, da kann man sehr schöne Verrenkungen beobachten, die das inkriminierte Zitat gleich in einem anderen Licht erscheinen lassen. Es hilft auch, Clips des im Zitat erwähnten Jerry Lee Louis oder von Little Richard aufzurufen.Tja, Goldmann ist natürlich bäh! Aber was soll man machen als Leser mit einem Hang zum Niederen, zum Krimi, der Hanswurst-Literatur von heute.
Und zum Rest des Kommentars: Ich werde doch nicht etwa der Idyllisierung des Elends verdächtigt?
Darüber, welche Ansprüche an Liedtexte gestellt werden, kann man wirklich geteilter Meinung sein, Goedzak, und ich kann das ohne Schwierigkeiten akzeptieren.
Gerne hätte ich aber gewusst, ob Sie nun Burke nach der Goldmann- Version empfehlen und was Sie mit einem solchen Satz anfangen, den Sie doch als Beispiel, beispielhaft, zitieren?
Nebenbei: Mir fällt ja bei dem Zitat aus der Diskussion mit Rapanui auf, dass Sie da sehr selbstsicher Sachen über Musikstile und Texte hinschreiben, was sehr intellektuell und vor allem überzeugt klingt, aber andererseits eine, sagen wir einmal vorsichtige, Andeutung zu dem doch irgendwie repräsentativen längeren Songtextzitat Valerie Junes, Sie haben sich dabei doch was gedacht, entschieden ablehnen.
Da passt die Argumentation nicht zu der anderen Argumentation, finde ich. - Das ist widersprüchlich.
Sie machen ja mit dem langen Zitat gerade auf das Unköperliche des Songs aufmerksam, auf den Text. Nun erklären Sie, was durchaus seine Berechtigung hat und gar nicht seltsam ist, dass ein einfacher Text durch die Art seiner stimmlichen Präsentation eine weitere und tiefere Bedeutung gewinnt.
Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass dies häufig in der Musik so geschieht.
Ich finde, es ist nicht schlimm, wenn ein Beitrag zu einem feuilletonistischen Kalenderblatt Widersprüche aufweist, aber es ist auch nicht schlimm, genau darauf hingewiesen zu werden.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Goedzak. Aus Höflichkeit vergaß ich noch, die kleine Unterstellung zu korrigieren, mir ging es um Distinktion.
Dass es Ihnen so wichtig ist, spüre ich gerade bei diesem zweiten Posting. Ich würde ´mal sagen, Sie unterstellen bei anderen, was Sie selbst pflegen. Das mag volksnäher daher kommen, ist aber gar nicht meine Frage gewesen.
Das funktioniert mit der beschriebenen Armbewegung und dem Auf- und Abperlen auch nicht, wenn man Jerry Lee Lewis oder Little Richard ist. Über Krimis als Gattung habe ich mich doch gar nicht geäußert, sondern Sie nur höflich gefragt, ob Sie eventuell das Original kennen und sagen können, ob das so geschrieben ist, oder ob es an der Übersetzung liegt. Mehr nicht.
Warum glauben Sie, jemand verdächtige Sie? Der Schweiß von 1930 rinnt doch aus der Assoziation! (;-))
Beste Grüße
Christoph Leusch
Nun erklären Sie (...), dass ein einfacher Text durch die Art seiner stimmlichen Präsentation eine weitere und tiefere Bedeutung gewinnt.
Nein, dass genau "erkläre" ich eben nicht. Ich ging nur auf deine Attitüde ein, unterschiedslos alles, was, weil Worte enthaltend, als bedeutungsvollen (oder eben nicht so "-vollen") Text zu bewerten.
Ich kann mir gur vorstellen, dass der Gedanke, ein Text wäre sinn-los*, aber sinn-lich, und genau darin bestünde sein Sinn, nicht nachvollziehbar für dich ist. (In leichter Abwandlung eines weiteren semantisch eher "simplen" populärmusikalischen Textes könnte ich sagen: "Zuviel Grübel im Kopf, zuwenig Rock'n'Roll im Bauch" - tschuldigung, klingt böser, als es gemeint ist!)
* sinn-los ist natürlich in Bezug auf das zur Debatte stehende Songtext-Zitat eine Überspitzung. Natürlich stehen beide Zitate wegen ihres semantischen Sinngehalts da. So ganz nackt ohne jeweilige Kontexte bleibt ja nichts anderes mehr, sonst wärs dann tatsächlich nur noch Zeichensalat. - Dann muss ich es wohl klein-klein erklären?
Also schön, die Songschreiberin und -performerin schlüpft mit/in dem Song in die Rolle einer einfachen jungen Arbeiterin, deren Arbeitskraft auf dem Markt beschissen wenig wert ist, deren äußere Attraktivität und Jugend aber auf eben diesem Markt, vor allem bei betuchten, nicht mehr so jungen Herren, höher bewertet wird, und die jetzt darauf hofft, einen halbwegs erträglichen "sugar daddy" an sich interessieren zu können. Der Krimi enthält Figuren, die in ähnlicher Situation sind, die aber, wiederum ähnlich der Songperformerin (nicht dem "lyrischen" Ich des Songs!), noch ein anderes Pfund haben, mit dem sie wuchern können: ihr musikalisches Talent. Das konkrete Zitat wurde ausgewählt, um auf eben diesen Aspekt (Musik) als verbindendes Element zwischen einem Konzert- und einem Leseerlebnis zu kommen. Got it?
Du hast ja neulich hier irgendwo erklärt, was für dich eine gute und richtige Rezension ist. Das hier kann und will dergleichen nicht sein. Es ist ein simpler Text zu einem Leseerlebnis. Da mich als Ex-Dorfbengel mit einem Hang zu (ausgewählter - täusch dich nicht!) Trivialkultur Beispiele von Lebenslust, Lebensgier und Lebenstrotz, wie sie überall auf der Welt, eben auch im Dixieland anzutreffen sind, berühren, ist ein Kriterium für das Einstellen in diese Reihe, nämlich zu "brennen", erfüllt.
Die Support-Band für Valerie June heißt übrigens
Ben-Miller-Band. Hier ein saftiges Beispiel
mit "dreckiger" Cigarbox-Guitar.
https://www.youtube.com/embed/NS0A2e9m_Nc
Und hier noch der Workin' Woman Blues in voller Schönheit.
https://www.youtube.com/embed/RljtvS33w3s
Bin dankbar, auch für die weiteren Clips. Sie "brennen" und antworten daher lieber auf selbstgestellte Fragen und gute Vorstellungen. Akzeptiert, denn ich kann es nicht ändern.
Von guter oder richtiger Rezension nie die Schreibe, von Verachtung der Trivialkultur, sofern es um sie geht, schon einmal 0, ganz im Gegenteil. - Da hilft Lesen.
Meine Frage wiederhole ich lieber nicht mehr.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Schöne Feiertage!
PS: Die Antwort ist, ebenso wie die Frage, in diesem Zusammenhang eigentlich unerheblich, aber: nein, ich kenne das Original nicht.
Na, geht doch. C.L.