WIR MÜSSEN REDEN

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Lieber Freitag,

es ist noch gar nicht lange her, dass ich dich im Zeitungsladen am Hauptbahnhof zum ersten Mal sah. Mir fiel gleich dein symbolträchtiges Rot auf, das Rot, das im Niemandsland zwischen Bordeaux und Pink lebt und das dir so gut zu Gesicht steht. Und die eleganten Schriftzeichen, mit denen du deine Haut zu Markte trägst, wirkten zwischen dem hektischen Geschehen und in dem kalten Neonlicht warm und anziehend auf mich. Deine imposante Erscheinung, dein gedruckter Körper sprachen mich an und ich dachte, du wärst anders als all die anderen - weil du eine Seele, eine lebendige Community hast.
Doch schnell musste ich feststellen, dass du nicht geschaffen bist für Frauen, dass du einen überaus rauen Ton anschlägst, der der Seele nicht gut tut und abschreckend wirkt. Du hast mir gesagt, dass du dich änderst. Dass du dich erneuern und verbessern willst, von Grund auf. Du hast mir einen Relaunch versprochen. Immer und immer wieder. Und ich glaubte dir. Immer und immer wieder. Du hast mir versprochen, dass du Körper und Seele in Einklang bringen willst, dass du die Grenzen einreißen willst, die beides so schmerzlich von einander trennen. Und ich glaubte dir.
Aber wenn deine Seele dich ruft, antwortest du nicht. Hier und da lässt du einen Brotkrumen fallen, äußerst dich kurz und knapp zu den seelischen Belangen und ziehst dich wieder zurück, noch bevor die Bewohner deiner Seele reagieren können.
Mondäne Ausflüge hast du mit schillernden Menschen im Alleingang unternommen, bist Partnerschaften mit anderen eingegangen und die Kritik deiner treuen Community, deiner Seele hast du geflissentlich überhört.
Die Welt verändert sich.
Die Zeit vergeht.
Dem Neoliberalismus wird offiziell und prominent abgeschworen, aber statt die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu nutzen, igelst du dich ein, machst weiterhin nur halbherzige Versprechungen und verprellst viele von denen, die dir gewogen sind. Die Potenziale deines Körpers und deiner Seele liegen brach. Niemals bist du ganz bei dir, bekennst dich nicht zu dir selbst. Hälst seelische Anonymität und Unverbindlichkeit für das Gebot der Stunde und während du noch wartest, dass dir diese Offenheit Seelenheil zu Teil werden lässt und dir Heerscharen von Usern beschert, rinnen dir diejenigen durch die Finger, die nach Verbindlichkeit und loyaler Gemeinschaft mit dir suchen. Dabei gibt es kaum jemanden, der seiner Community ein so großes Vertrauen entgegen bringt wie du. Jeder kann bei dir mitmachen, die Zahl deiner aktiven User pro Monat bleibt trotzdem relativ konstant und relativ gering.
Eruptiv flammt manchmal ein Lichtlein auf, aber binden, fest binden, wollen sich an dich nur wenige, denn dein Vertrauen mutet an wie Gleichgültigkeit. Egal wer, egal was, egal wie, egal warum.
Und so bist du damit beschäftigt, die Auswüchse, die deine Gleichgültigkeit hervorruft, klein zu halten, statt denen, die sich für dich engagieren, die über deine Salons schreiben oder dir mit Kritik auf deinem Weg helfen wollen, Dank und Anerkennung zu zollen.
In der Öffentlichkeit brüstet du dich mit deiner Seele, die du in Wahrheit verkümmern lässt, behauptest modern, kritisch und anders zu sein und weißt doch längst, dass das nicht stimmt.
So kann es nicht weitergehen. Ich glaube dir nicht mehr. Du hast deine Versprechen zu oft gebrochen. Nein, hast du zu mir gesagt, aufgeschoben ist nicht aufgehoben und erneut wolltest du ein Versprechen in Aussicht stellen. Aber die Zukunft, die du in so glühenden Farben, in deinen Versprechungen beschreibst, beginnt schon jetzt. In diesem Augenblick.
When you really matter to someone, that person will always make time for you. No excuses, no lies, and no broken promises.

Wir müssen reden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Calvani

Die Wirklichkeit ist immer nur ein Teil der Wahrheit

Calvani

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