Abschied von „Arm, aber sexy“

Kulturpolitik Die SPD lädt zum Empfang ins Atelier von Ólafur Elíasson und beschweigt eigene Fehler
Ausgabe 35/2016

Designermöbel auf ausgesuchten Teppichen und riesige Spiegel, die das Erdgeschoss der ehemaligen Brauerei ins Ungefähre verlängern. Dazu große Deckenkugeln, auf denen sich das Sonnenlicht in vielen Farben bricht. Das Studio des Künstlers Ólafur Elíasson auf dem Berliner Pfefferberg ist ein Ort, der viel über den Aufstieg Berlins zur Kulturmetropole erzählt. Und dass die Sozialdemokratie diese Räume nun kurz vor der Landtagswahl für ihren diesjährigen Kulturempfang eroberte, verdeutlicht noch einmal, dass sich das „Arm, aber sexy“-Image längst verflüchtigt hat.

Die Kultur trage die Hauptstadt, vermerkte der Regierende Bürgermeister Michael Müller gleich zu Beginn, stellte dann aber das Schwinden bezahlbarer Räume in den Mittelpunkt seiner Rede. Dass das Land Berlin die Privatisierung des bundeseigenen Dragoner-Areals in Kreuzberg zunächst verhindern konnte, verbuchte er als Etappenerfolg. Auf dem rund 47.000 Quadratmeter großen Gelände sollen nach dem Willen des Berliner Senats Sozialwohnungen entstehen. Zudem verwies er auf darauf, dass neue Gelder für Ateliers im Landeshaushalt freigegeben wurden.

Nach aktuellen Schätzungen gehen jedes Jahr bis zu 300 Ateliers auf dem freien Immobilienmarkt verloren. 75 Prozent der bildenden Künstler suchen derzeit nach einem Arbeitsraum. Denn selbst wenn viele davon noch ein Atelier besitzen, fürchten sie Mieterhöhungen oder eine Kündigung. Michael Müller hat allerdings maßgeblich mitzuverantworten, dass es so weit gekommen ist. In seiner Zeit als Stadtentwicklungssenator wurden viele landeseigene Liegenschaften zur kurzfristigen Konsolidierung des Haushalts meistbietend verkauft. Und die verloren gegangenen Freiflächen, die von Kreativen temporär genutzt wurden, kamen in seiner Rede schon gar nicht mehr vor.

Dass Kulturstaatssekretär Tim Renner im Anschluss gerade mit Ólafur Elíasson und Monica Bonvicini – zwei Topverdienern der Kunstszene – über Kulturräume diskutierte, zeigte, wie satt ein Teil der Kulturschaffenden inzwischen ist. Die Not derjenigen, die sich die Mieten für Gewerberäume und Wohnungen bereits nicht mehr leisten können, wurde unter solchen Erfolgsgeschichten erstickt. In Elíassons Antworten klang auch an, warum er seine Räume für den Empfang überhaupt zur Verfügung stellte. Ohne die Hilfe der Politik hätte er das Gebäude auf dem alten Brauereigelände gar nicht erwerben können, weshalb er in der Folge dann über steuerliche Begünstigungen für Kulturunternehmer sprach.

Nun ist es Ólafur Elíasson nicht anzukreiden, dass er sich eben auch als Unternehmer versteht. Immerhin beschäftigt der dänisch-isländische Künstler bis zu 90 Mitarbeiter in seinem Studio. Nur hat derlei wenig mit jenem Freigeistigen, Improvisierten und Provisorischen zu tun, das Berlins Kunstszene lange ausmachte. So blieb es am Ende dem Soulsänger Fetsum, Initiator des Benefiz-Festivals Peace x Peace, das Kinder in Krisengebieten und geflüchtete Minderjährige in Deutschland unterstützt, überlassen, mit einer Version von Tracey Chapmans Talkin’ ’bout a Revolution doch noch für einen eindringlichen Moment zu sorgen. Wobei man sich angesichts der zunehmenden Fragilität der Demokratie dann auch erst recht fragen konnte, warum sich die Politik selbst nicht kämpferischer zeigt. Da blieb Michael Müllers Appell, dass sich in Zeiten des politischen Populismus jeder Einzelne für die Demokratie stark machen müsse, doch ganz schön dünn.

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Geschrieben von

Cara Wuchold

Kulturjournalistin

Cara Wuchold

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