Habe ich in diesen sieben Tagen entdeckt, was sich hinter Burmas goldenem Lächeln verbirgt? Vielleicht nicht mehr als das Versprechen im leidentrückten Antlitz des Gautama Buddha, das ich in den Zügen eines ermordeten Revolutionärs auf einem Geldschein wiederfand. Vielleicht ist das viel.“ Diese Frage stellte sich 1978 ein Reporter im Geo-Magazin, doch sie betrifft eigentlich jeden Reisenden: Was ist touristische Kulisse, was Projektion und was das echte Leben?
Im Falle Burmas, offiziell Myanmar genannt, ist sie besonders schwer zu beantworten. Denn nach der Befreiung des Landes aus den Klauen der britischen Kolonialherren 1948 und einer schwierigen demokratischen Phase, machte sich 1962 ein Revolutionsrat unter General Ne Win nach einem Staatsstreich auf den „Burmesischen Weg zum Sozialismus“. Alle wichtigen Funktionen übernahmen Militärs, alle Parteien wurden verboten, alle Banken und Betriebe verstaatlicht – und außenpolitisch führte Ne Win das Land in die absolute Isolation.
Der Glaube ist zweifelos ein Schlüssel zum Verständnis des Landes, fast 90 Prozent der Bevölkerung sind Buddhisten. Leben bedeutet Leiden, nur wer erleuchtet wird, findet Erlösung. So wie Buddha im Nirwana, dessen geheimnisvolles Lächeln sich laut Reporter im Gesichtsausdruck von Staatsgründer Aung San, dem Vater der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyui, zu spiegeln scheint.
Bedrohung durch Wandel
Die Demut des Reporters gegenüber der Wahrheit hätte auch Alice Schwarzer gut getan. Gemeinsam mit der Fotografin Bettina Flitner reiste sie erstmals 2000 und bis heute insgesamt sechsmal nach Burma. Der jetzt veröffentlichte Bildband Reisen in Burma ist Zeugnis dieser Leidenschaft. Sie schwärmt darin von mystischen Tempellandschaften, mittelalterlichen Märkten und Traumstränden. Es sind Reisegeschichten, in denen den beiden aufmerksamen Frauen viel Gutes widerfährt. Sei es ein frisches Fisch-Curry unter Hunderten von Burmesen aus der einfachen Bordküche eines Verkehrsbootes, köstliche Cocktails in der Hotelbar eines der neuen Hochhäuser in der Großstadt Mandalay oder der Mann, der ihnen das vergessene Portemonnaie mit der gesamten Reisekasse hinterherträgt und strahlend überreicht. Das Land und die Menschen sind ihnen wohl gesonnen. „Alle winken. Wir winken zurück“, bemerkt Schwarzer auf einer Bootsfahrt auf dem für seine Einbeinruderer und schwimmenden Dörfer berühmten Inle-See. Die Fotos zeigen ein malerisches, traditionelles Burma, in warmes Licht getaucht. Für einen Bildband ungewöhnlich untermalen sie die Texte und nicht umgekehrt. Das Land wird stilisiert als Sehnsuchtsort, vergleichbar vielleicht mit dem ehemaligen Jugoslawien Peter Handkes. Wie die Unabhängigkeitsbestrebungen dort bedroht in Burma der aktuelle Wandel den ganz eigenen, irgendwie unverfälschten Charakter. Der Blick ist ein poetischer, also nicht objektiv, zwar nicht unkritisch, aber auch keineswegs vorurteilsfrei.
Wer einmal in Burma war, der kennt den Zauber, der Alice Schwarzer betört: die Herzenswärme, den Respekt und den Stolz, die Vielfalt, das Unzeitgemäße. Das über 2000 Tempel umfassende Areal in Bagan ist tatsächlich „einfach überwältigend“ und wahrscheinlich „einer der mystischsten Orte der Welt“. Doch wird ihm der Status als Weltkulturerbe nicht nur, wie sie behauptet, aus politischem Kalkül verwehrt. Grund ist auch die unbedarfte Restaurierung der Pagoden, die sich nicht unbedingt an die historischen Vorlagen hält. Und die rücksichtslose touristische Ausbeutung Bagans durch Maßnahmen der Regierung. Unerwähnt bleibt, dass es in Alt-Bagan 1990 zu Zwangsumsiedlungen unter Androhung von Waffengewalt kam, um Platz für Hotels und Museen zu schaffen. Oder der neben einem Luxushotel platzierte Aussichtsturm, der die umliegenden heiligen Stätten bei Weitem überragt.
Anhand Mandalays, der Metropole im Zentrum Burmas, erzählt Schwarzer von dem Einfluss der Chinesen. Von der Ausbeutung durch den großen Nachbarn und dem Frauenhandel, der die Folgen der Ein-Kind-Politik Chinas kompensiert. Dass hier Bewohner eigenhändig ihre Häuser abreißen mussten und von der Regierung zu Restaurierungsarbeiten abkommandiert wurden, darüber erfahren wir nichts. Schwarzer sucht die Schuldigen für die burmesische Misere vor allem im Ausland. Tatsachen wie das landesweite Bespitzelungssystem oder die Korruption in Burma finden nur in Halbsätzen Platz. Sie betont die Integrität des ehemaligen Generals und neuen Präsidenten Thein Sein und zieht dafür Gewährsleute wie Aung San Suu Kyui oder einen in Amerika lebenden Burmesen heran, „der das Land seiner Vorfahren liebt“.
Das „System Mönch“ nervt
Dass auch Alice Schwarzer sich in Burma verliebt hat, war spätestens 2008 aus der FAZ zu erfahren. Ihr Artikel Warum Burma echte Freunde braucht rief laute Kritik hervor. Er erschien kurz nach den verheerenden Zerstörungen durch den Zyklon Nargis, der fast 140.000 Todesopfer forderte. Und Alice Schwarzer verharmloste darin das katastrophale Krisenmanagement der Militärregierung, das zunächst westliche Hilfen verweigerte. Dem Westen ginge es schließlich nicht um Versorgungsleistungen für die Bevölkerung, sondern um politische Einflussnahme und eigene Machtinteressen. Der Ex-Kolonialherr, schrieb Schwarzer, „liegt schon lange auf der Lauer“. Ihre Reisen nach Burma seien stets Reisen in eine andere Zeit gewesen, „spürbar und zunehmend bedroht von unserer Gegenwart“. Der Spiegel sprach von Zynismus und Armutsverherrlichung, die Zeit erkannte darin ein Bekenntnis zu dem hehren Prinzip der Nichteinmischung aus einer tiefen „Verunsicherung im Herzen des Westens“ über die eigenen Werte heraus.
Damals wie heute schwingt sich hier eine Reiseberichterstatterin zur Asien-Expertin auf. Alice Schwarzer stellt wichtige Fragen, aber ihre Analysen greifen oft zu kurz, ihre Antworten geraten zu pauschal. So hält sie launisch fest, sie nerve „das System Mönch“, weil Nonnen deren Klöster putzen und sie sich von Almosen, auch der armen Bevölkerung, ernähren – und hat offensichtlich keine Lust, die Bedeutung der guten Tat im Buddhismus oder die strenge Regulierung der Mahlzeiten für Nonnen und Mönche zumindest mitzubedenken. Die lauteste Feministin Deutschlands verfährt auch hier nach dem Prinzip: Wer weithin gehört werden will, der braucht leicht verständliche und streitbare Parolen. Um Burma in seiner ganzen Komplexität zu verstehen, ist das eindeutig zu wenig.
Reisen in Burma Alice Schwarzer Dumont 2012, 160 S., 34,95 €
Kommentare 5
Schön, was Fr. Schwarzer im Urlaub erlebt.
Ich bin ebenfalls der Meinung, ähnlich dem Schluss im Artikel, dass, wer weithin gehört werden will, der braucht leicht verständliche und streitbare Parolen. Um Menschen in ihrer ganzen Komplexität zu verstehen, ist das eindeutig zu wenig.
Alice Schwarzer war alles was Deutschland hatte -auch weil sie es so wollte, aber sie war nicht gut genug. Jetzt geistert sie durch Burma und mokiert sich über burmesische Mönche. Nach allem, eine der dümmsten öffentlichen Personen Deutschlands.
Als Empfehlung ein Interwiew von A. Müller mit Alice Schwarzer, dessen Veröffentlichung sie anschliesend zurück zog:
http://www.a-e-m-gmbh.com/andremuller/alice%20schwarzer%20%281996,%20tonbandprotokoll%29.html
"Da entstand Literatur im Reden. Frau Schwarzer hat es leider vollumfänglich zurückgezogen. (..) Die Schwarzer denkt ja wie ein Politiker: Dass sich die Oberfeministin vor einem Mann auszieht, ist schlecht fürs Geschäft. Dabei ist der Text gar nicht gegen sie. Er zeigt eine starke und sehr lebendige Frau. Sie war so lustig, sie hat ja gebrüllt vor Lachen. Gewissermassen haben wir uns während des Gesprächs ineinander verliebt. Sie würde natürlich explodieren, wenn sie das hörte." (A. Müller in NZZ, siehe Link unten)
http://www.nzzfolio.ch/www/d80bd71b-b264-4db4-afd0-277884b93470/showarticle/570457af-b80c-4678-abae-53a82c3c2857.aspx
liebe cara,
mir ist befremdlich, warum die schwarzer und auch du nur von BURMA schreibt, wenn doch der name des landes myanmar ist. gibt es einen grund dafür?
deutsche müssen doch mindestens einmal im leben, nein, nicht nach mekka gepilgert sein, sondern in ein möglichst rückständiges buddhistisches land, am liebsten nach tibet, ersatzweise nach myanmar. gleich zu gleich gesellt sich gern.
Und wie so viele, die sich über die "demokratische" Entwicklung in Myanmar freuen, wird auch sie den verfolgten Rohingya keinen Gedanken widmen. Ebensowenig wie die hochgelobte Aung San Su Ky.
Aung San Suu Kyi wird um das Widmen ziemlich vieler Gedanken nicht herum kommen. Sie übernahm soeben den Vorsitz des Parlamentsausschuss für Rechtsstaatlichkeit und Frieden. Ein SPON-Artikel über die aktuelle Gewalt gegen die Rohingya und ein Interview mit Ulrich Delius über die am meisten verfolgte Minderheit der Welt.
Alice Schwarzer hielt es in ihrem Artikel damals übrigens nicht für nötig, die noch unter Hausarrest stehende Aung San Suu Kyi mit auch nur einem Wort zu erwähnen. Über die Rohingya schrieb sie den schönen Satz 'Ich war im rauhen Norden, in Rakhine, wo die Menschen nicht so goldhäutig und heiter sind wie im Süden, sondern dunkel und misstrauisch; und wo die Frauen in Palmendörfern die Hirse in Steinmörsern stampfen und nachts die Koyoten heulen.'
Ich mochte die Reaktion von Stefan Klein in der SZ: Sind so liebe Wasserbüffel
Danke für die links, vor allem das Interview im Standard ist bemerkenswert umfangreich.
Stimmt, die Kritik von Klein las sich auch gut ;-)