Auf ihrer Couch

Ausstellung Das Jüdische Museum Berlin zeigt die erste Werkschau der israelischen Künstlerin Yael Bartana. Ihre Kunst erzeugt Widerstände – aber auch Fantasien
Ausgabe 23/2021

Am Anfang ihres neuesten Werks stand ein Traum. Das erzählt die israelische Videokünstlerin Yael Bartana auf der Pressekonferenz zu ihrer Ausstellung Redemption Now („Erlösung Jetzt“) im Jüdischen Museum Berlin. In diesem Traum wurden die Schriftzeichen auf den Straßenschildern und in den Shops der deutschen Hauptstadt durch hebräische ersetzt. Das brachte Bartana auf die Frage, die sie sich in ihren Arbeiten immer wieder stellt: „What if?“ – was wäre also, wenn das passiert? Wie würden die Menschen reagieren? Welche Erinnerungen kämen hoch? „Ich war mir nicht sicher, ob es ein Albtraum oder ein positiver Traum war“, sagt die 50-Jährige, die selbst in Berlin und Amsterdam lebt.

Genau dieses Szenario findet nun statt in ihrer 43-minütigen Videoarbeit Malka Germania, hebräisch für „Königin Deutschland“, die im Auftrag des Jüdischen Museums entstanden ist und im Mittelpunkt der umfangreichen Werkschau steht. Darin schickt Yael Bartana eine androgyne Messiasfigur nach Berlin: weißes Haar, weißer Mantel, weißes Kleid, weißer Patronengurt, oft heroisch – von unten gefilmt – in Szene gesetzt.

Mit ihr halten israelische Soldaten, aus der Zeit gefallene Tänzerinnen und Athleten Einzug in die Stadt. Die Bewohner*innen schauen zu, werfen vermeintlich identitätsstiftende Besitztümer wie Bierkrüge, Goethe-Büsten, Reisepässe, Reclam-Hefte, Deutschlandflaggen, Luther-Bilder oder eine Kuckucksuhr aus Altbaufenstern. Doch so einfach wird man die nationale Verstrickung nicht los.

Kunst als Psychoanalytiker

Die Zeiten verwischen, wenn eine Gruppe wartender Menschen mit verbeulten Lederkoffern und neuen Trolleys wortlos an den Gleisen eines alten Bahnhofs steht. Ist das ein Abtransport? Verdrängtes brodelt und bricht sich an einem vergnüglichen Badetag im Strandbad Wannsee endgültig Bahn, als sich die von Albert Speer für Hitler geplante sogenannte Welthauptstadt Germania samt Ruhmeshalle und Reichsadler aus dem Wasser erhebt. Die Anwesenden schauen verwundert und wie versteinert zu, bevor alle außer Malka fliehen. Nach Erlösung sieht das nicht aus. Oder beginnt sie genau hier?

Wie funktioniert Erinnerung, kollektives Gedächtnis, Vergangenheitsbewältigung – auf Seiten derer, denen die Nazi-Vergangenheit anhaftet, und derer, die Nachfahren von Opfern und Überlebenden des Holocaust sind? Wer sich der eigenen Schuld, den Ängsten, Wunden, Hoffnungen nicht stellt, hat keine Chance auf Frieden. Das gilt für einzelne genauso wie für ganze Gesellschaften. Das könnte eine der Botschaften des Films sein.

Wobei es Yael Bartana immer um Fragen und nicht um Antworten geht. Wirkungsmächtig sind nicht nur die auf drei monumentale Leinwände projizierten, ästhetisch verführerischen Bilder – hoch stilisiert, häufige Totalen, dazu die spannungsgeladene Klangebene –, sondern auch die Ambivalenz in ihren Arbeiten. Die Künstlerin lockt uns auf unsicheres Terrain. Eine vermeintliche Heilsgestalt, eine Art Führerinnenfigur in Zusammenhang zu bringen mit deutscher NS-Geschichte, israelischer Besatzung, dem Erlösungsgedanken, das erzeugt Widerstände – oder auch Fantasien. „Was erhoffen wir uns von Malka, wer soll sie sein?“, fragt die Künstlerin. „Vielleicht ist das Kunstwerk selbst der Psychoanalytiker“, sagt sie. Und wir liegen auf der Couch.

20 Schaffensjahre lassen sich in der Werkschau nachvollziehen. What If Women Ruled Our World lautet ein Neonschriftzug, der auf eine Performance verweist, in der Schauspielerinnen und Expertinnen über nukleare Abrüstung im Schatten eines drohenden Atomschlags diskutierten. Realität und Fiktion verschwimmen in vielen der Arbeiten von Yael Bartana. So auch in Wild Seeds, einer Videoarbeit aus dem Jahr 2005, in dem der israelische Rückzug aus dem Gazastreifen stattfand. Jüdische Jugendliche simulieren spielerisch die Evakuierung einer Siedlung. Die eine Gruppe leistet, am Boden sitzend, verknotet Widerstand, die andere möchte räumen. „Ein Jude deportiert keinen Juden“, rufen sie und kichern. Nicht weit von ihnen ist das kein lustiges Rollenspiel.

Yael Bartanas bekanntestes Werk wurde 2011 im polnischen Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig gezeigt und ist auch in Berlin zu sehen. Die Filmtrilogie And Europe Will Be Stunned dreht sich um das sogenannte Jewish Renaissance Movement in Poland (JRMiP). Diese erfundene politische Bewegung fordert die Rückkehr von 3.300.000 Jüd*innen in die Heimat von Bartanas Vorfahren. Was hätte das zur Folge, im heute weitgehend homogenen Polen?

Der reale polnische Soziologe und Aktivist Sławomir Sierakowski übernimmt im Film die Rolle des Anführers. Bartana bedient sich für ihren Film bei der Ästhetik von Nationalbewegungen und untersucht die Rolle von Propaganda und die von Kunst. Letzterer spricht sie eine weitaus größere Imaginationskraft bei der Suche nach Lösungen zu als der Politik.

Laut Mitkurator Gregor H. Lersch gibt es bis heute Nachfragen, ob es die JRMiP-Bewegung tatsächlich gegeben hat, und sie ist Teil von Verschwörungstheorien. Auch das zeigt, wie eng Bartanas Arbeiten mit gesellschaftlichen Fragen verwoben sind. Den Emotionen, die den eigenen Haltungen zugrunde liegen, genauer auf die Spur zu kommen, das schafft diese Ausstellung. Und zwar fern des tagespolitischen Meinungsschlagabtauschs.

Info

Yael Bartana. Redemption Now. Werkschau, Jüdisches Museum Berlin, bis 10. Oktober 2021

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Geschrieben von

Cara Wuchold

Kulturjournalistin

Cara Wuchold

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