Emil Nolde war durch und durch Antisemit, vehementer Anhänger der NS-Ideologie und – wenn auch erfolglos – noch bis Kriegsende um die Anerkennung seiner Werke als Vorreiter „deutscher Kunst“ bemüht.
Dieser Blick auf den Künstler steht im Gegensatz zu dem Opfermythos, der ihn schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit und bis in unsere Gegenwart hinein umgab. Denn Noldes Bilder waren 1937 Teil der Ausstellung „Entartete Kunst“ und er wurde 1941 mit einem Berufsverbot belegt.
Wie das beides zusammenging, zeigt die Ausstellung Emil Nolde – eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus im Hamburger Bahnhof in Berlin. Es sind keine neuen Fakten, aber sie sind hier eindrücklich belegt. So reagierte Emil Nolde auf die Einstufung seiner Werke als „entartet“ mit einem anbiedernden Brief an Joseph Goebbels, in dem er diesen um die Rückgabe seiner Bilder bat, sich als Vorkämpfer für die nationalsozialistische Bewegung stilisierte und von einer Verkennung sprach: „denn es ist nicht so, meine Kunst ist deutsch, stark, herb und innig“.
Doch nur wenige wollten Noldes Verstrickung, die der Künstler nach dem Krieg vertuschte, so klar sehen wie der Kunstkritiker Adolf Behne. „Stilistisch gehört er zu den ‚Entarteten‘ – ganz gewiß; nicht aber als Charakter“, schrieb er 1947 in einem Zeitungsartikel. „Er war bereit, seine Kunst den Nazis darzubringen, und nur deren Ablehnung war das Hindernis. Er ist ein entarteter ‚Entarteter‘.“
Wer an der Legende vom verfemten Künstler Nolde eifrig mitarbeitete, war der Kunsthistoriker und spätere Gründungsdirektor der Neuen Nationalgalerie, Werner Haftmann. Der war zur NS-Zeit selbst Parteimitglied und übernahm Noldes Umdeutung des Berufsverbots in ein Malverbot in seiner Publikation Ungemalte Bilder aus dem Jahr 1963 über dessen angeblich heimlich gemalten Aquarelle, angeblich Zeugnis einer inneren Emigration. Haftmanns Nolde-Bild bildete neben den Memoiren des Künstlers die Grundlage für den Roman Deutschstunde von Siegfried Lenz – dieser Bestseller machte Nolde endgültig zum bekanntesten „Opfer“ der nationalsozialistischen Kunstpolitik.
Ohne diese geschickt gefälschte Heldengeschichte und ohne Lenz wären das Bild Meer III und weitere Nolde-Arbeiten wohl nicht bei Helmut Schmidt im Bonner Kanzleramt gelandet, auch wenn dessen Bewunderung weit zurückreichte, wie er 1968 – damals noch als SPD-Fraktionsvorsitzender – in einem Brief an Lenz erklärte: „Seit meinem sechzehnten Lebensjahr ist Emil Nolde für mich … der größte deutsche Künstler dieses Jahrhunderts; seine Einreihung in die NS-Ausstellung sogenannter entarteter Kunst löste bei mir als damals Siebzehnjährigen den Bruch mit den Nationalsozialisten aus.“ Noldes Bilder bekamen hier zusätzlich zum ästhetischen einen moralischen Wert.
Auch Angela Merkel bezeichnete Emil Nolde als ihren Lieblingskünstler schon zu Jugendzeiten und wählte für ihr Kanzleramtsbüro zwei seiner Werke: der Brecher und Blumengarten. Eine der beiden Leihgaben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist nun unter den rund 100 Originalen im Hamburger Bahnhof zu sehen. Die Kanzlerin möchte die Werke auch nach Ausstellungsende nicht mehr zurückhaben. Mit dem Künstler sind nun anscheinend auch seine Werke kontaminiert. Wobei ja auch umgekehrt gilt: Lange Zeit wurden Noldes Bilder durch den Opfermythos gestärkt.
Vergebene Chance
Was Noldes NS-Vergangenheit für den Umgang mit seiner Kunst bedeutet, das führt zu einer wieder aktuell gewordenen Debatte: Wo zieht man die Grenze zwischen Künstler und Werk? Wie frei sind wir in unserem ästhetischen Empfinden? Es tut sich ein Zwiespalt auf für Merkel zwischen der Liebe zu Noldes Kunst und der Ablehnung seiner politischen Haltung – und vielleicht ist die Tatsache, dass sie sich nicht zur Abhängung der Werke geäußert hat, ja auch ein Zeichen des Schmerzes, den die weiße Wand hinter ihrem Schreibtisch hinterlässt. Dass sie sich einer aufklärerischen Debatte verweigert hat, ist jedoch eine vergebene Chance – und hilft im Zweifel auch jenen, die moralische Argumente gerne mit einer vermeintlichen Tugend-Diktatur in Verbindung bringen.
Kritische und aufgrund eines wachsenden Wissensstandes immer präzisere oder sich weiterentwickelnde Fragestellungen helfen wiederum der gesellschaftlichen Diskussion und Verortung und weiten den persönlichen Blick. Dabei ist es auch in der aktuellen Ausstellung schwer, sich der expressiven Kraft und der leuchtenden Farbenpracht von Noldes Bildern zu entziehen – trotz der akribisch dokumentierten politischen Gesinnung des Malers –, und darum geht es ja auch nicht. Doch hinter das, was man weiß, kann man nicht mehr zurück. Das gilt für den einzelnen Rezipienten, aber umso mehr für Institutionen wie Museen. Der Kontext zählt. Wer einer Ausstellung einen Titel gebe wie Alte Meister der deutschen Kunst, dem müsse bewusst sein, dass er an einer Legendenbildung mitarbeite, führte der Historiker und Mit-Kurator Bernhard Fulda auf der Pressekonferenz an. In Bezug auf Nolde sind gewisse Setzungen spätestens jetzt nicht mehr vorstellbar – es sei denn, sie wären irgendwann wieder politisch gewünscht.
Info
Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus Hamburger Bahnhof, Berlin, bis 15. September
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