Welche Bilder von Damaskus hat der Fotograf und Filmemacher Ammar Al-Beik wohl im Kopf? Ganz sicher werden darunter auch solche der Zerstörung sein. Doch die Altstadt seiner Heimat ist – anders als in Aleppo – intakt. Und auch der Souk an der Al-Thawra, der Revolutionsstraße, existiert noch. „Markt der Diebe“ nennt ihn Ammar Al-Beik. Jeden Freitag begleitete er als Kind seinen Onkel dorthin.
Lost Images. Berlin / Damaskus lautet der Titel seiner Ausstellung im Museum Neukölln, doch sie basiert nicht auf einem Verlust, sondern im Gegenteil: auf einem Fund. Auf ebenjenem Markt stieß der Konzeptkünstler eines Tages auf eine hölzerne Kiste mit Hunderten von Negativen und Positiven von Bildern – und Ammar Al-Beik nahm sie mit. Er wusste sofort, er hatte einen Schatz entdeckt.
Ammar Al-Beik musste ihn dann nur noch heben, den Schatz. In dem großen Museumsraum auf dem ehemaligen Gutshofgelände in Britz sehen wir etwa eine in edle Gewänder gehüllte junge Frau, gedankenverlorener Blick, an eine Wand gelehnt. Eva hat der syrische Künstler dieses großformatige Porträt genannt – und Adam direkt daneben platziert.
Starke Kratzspuren
Der wiederum – in Militäruniform, Patronengurt quer über der Brust und Waffe in der Hand – schaut uns unerschrocken an. Er beißt auf eine schwarze Schlange, was seine Entschlossenheit noch unterstreicht. Vermeintliche Stärke und Schwäche sind hier klischeehaft verteilt und fast karikaturhaft überzeichnet. Ammar Al-Beik kommentiert diese Genderstereotype, in dem er ein knallbuntes Venussymbol neben Adams Kopf druckt und ein Mars-Venus-Mash-up neben den der Eva. Die Bilder konfrontieren uns mit unseren Vorurteilen gegenüber dem Rollenverständnis in der arabischen Welt. Dazu passt auch die Fotografie The Strong Believers: In knappen schwarzen Shorts posieren darauf Männer zwischen Boxsack und Hantel. Oder die mütterlich wirkende Frau mit Kopftuch, ein Kind umarmend, mit dem Titel Basic Instinct.
Ammar Al-Beik hat die Ränder der Schwarzweißdrucke bunt eingefärbt, sodass sie wie Rahmen wirken. Sie setzen sich aus vielen kleinen Fotografien von römischen Statuen aus dem Nationalmuseum in Damaskus zusammen – wie die Fotofunde Erinnerungen an eine verloren gegangene Zeit. Da wirken auch die starken Kratzspuren auf einigen der Bilder wie historische Spuren.
Die Werkserie erzählt uns etwas über die grundsätzliche Arbeitsweise des 44-jährigen Künstlers, der mit seinen Filmen schon bei den Filmfestspielen in Venedig (2006 und 2011) und der Berlinale (2015) zu Gast war, und dessen Werke zur Sammlung des Pariser Centre Pompidou und des New Yorker MoMA gehören. Denn Ammar Al-Beik sieht die Rolle der Kunst nicht darin, das Leben zu imitieren, sondern es einzufangen, wie es ist.
Seine Lost-Images-Serie hat er um Bilder ergänzt, die nicht aus der Holzkiste stammen, darunter ein Porträt von ihm im Alter von vier Monaten. Es ist aufgenommen in einem der Fotostudios in Damaskus, wie wahrscheinlich auch viele der gefundenen Bilder. Auf dem Babyfoto schaut er mit großen Augen in die Kamera und trägt nichts außer der schmuckvollen Halskette seiner Mutter. 2010 fotografierte er seine Tochter in ähnlicher Pose, mit gleicher Kette, nicht mehr in Damaskus, sondern in Beirut. Denn schon damals unterdrückte Syriens Präsident Baschar al-Assad die Kunst- und Meinungsfreiheit.
Als „Spiel mit alten und neuen Gesichtern“ bezeichnet Ammar Al-Beik die Arbeit an Lost Images. Das spiegelt sich besonders deutlich wider im Foto einer jungen Frau, Hilde Heymann. Der Künstler hat es im Archiv des Museum Neukölln gefunden, auf das er für die Ausstellung zurückgreifen konnte. Es zeigt sie in einem eleganten Mantel, lächelnd, in sonniger Neuköllner Straßenszenerie – später floh sie vor den Nazis, die sie als „Halbjüdin“ verfolgten, in die USA. Ammar Al-Beik hat ihr das Porträt der jungen, syrischen Filmemacherin Reem Karssli gegenübergestellt, in nahezu gleicher Haltung und Kleidung aufgenommen, ebenfalls in einer Straße in Neukölln. Auch sie ist eine Geflüchtete, sie kam mit ihrem Bruder über den Meerweg nach Berlin. Daneben sind private Bildersammlungen von Hilde Heymann und Reem Karssli zu sehen: verschiedene Generationen, Familie und Freunde. Vor allem in ziviler Kleidung, aber auch Uniformierte sind darunter. Die Geschichten der beiden Frauen bleiben bruchstückhaft und gehen einem trotzdem nah. Aufgrund der vielen Jahrzehnte, die zwischen den Aufnahmen liegen, und der Parallelen, die sich ziehen lassen, werden die Bilder zu einem Symbol der Wiederkehr – in unsicheren Zeiten.
Ammar Al-Beik selbst kam 2014 über Beirut und Dubai nach Berlin und ist inzwischen anerkannter Geflüchteter. Mit Lost Images. Berlin / Damaskus möchte er die schon zitierten „alten und neuen Gesichter in unsere Zukunft bringen“. Es ist ein hoffnungsvolles Projekt, das den Schmerz über das Verlorene jedoch nicht verleugnet.
Info
Lost Images. Berlin / Damaskus Ammar Al-Beik Museum Neukölln, Berlin, bis 16. April
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.