Am Anfang ging Christian Jankowski auf die Jagd. Oder nein: Ganz am Anfang wurde er an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg abgelehnt – zwei Mal. Dann schnappte er sich Pfeil und Bogen, ging in den Supermarkt und schoss sich, was er zum Leben brauchte: Toilettenpapier, Margarine, ein tiefgefrorenes Hühnchen, Paprika, Bier. Die erlegten Lebensmittel zahlte er brav an der Kasse. Die Jagd hat er das Video dieser Performance aus dem Jahr 1992 schlicht genannt, das dem bis dahin Verkannten nicht nur große Aufmerksamkeit, sondern schließlich auch den Platz an der Kunstuniversität einbrachte.
Jankowskis Schamkasten fällt ebenso in diese frühe Zeit. Hier bat er Passanten, sich ins Schaufenster des von ihm bewohnten Ladengeschäfts in Hamburg-Altona zu setzen. Mit Plakaten, auf denen stand, was sie rot werden ließ: „Ich schäme mich dafür, dass ich mich zu dünn fühle“, „Ich schäme mich für meine Umschulung zum Kaufmann der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft“, „Ich schäme mich, weil ich zu oft schweige“.
Beide Werke sind derzeit in einer „Retrospektive“ bei Comtemporary Fine Arts (CFA) zu sehen. Es ist Jankowskis erste Schau in der Berliner Galerie, wobei noch offen ist, ob sie den Künstler zukünftig vertritt. „Kuratiert von Nina Hoss“, heißt es auf dem Ausstellungsplakat. Jankowski hatte sich gewünscht, die Werkschau von einer Schauspielerin betreuen zu lassen.
Nicht eingeweiht
Es ist nicht das erste Mal, dass er Personen in ihnen nicht vertraute Rollen steckt. Er selbst gibt in diesem Jahr bei der Manifesta 11 in Zürich den Kurator, als erster Künstler in der Geschichte der Kunstbiennale. Für die 2008 im Kunstmuseum Stuttgart entstandene Arbeit Dienstbesprechung tauschten die Museumsmitarbeiter im Zuge der Vorbereitung einer Soloausstellung von Christian Jankowski ihre Rollen. Die damalige Direktorin wechselte zur Veranstaltungstechnik, der Pförtner ins Kuratorenfach, und die ursprünglich eingeladene Kuratorin fand sich vor den Überwachungskameras wieder – eine Überforderung für alle, das Projekt mussten sie trotzdem stemmen. Mit der Dokumentation der Ausstellungsentstehung beauftragte der Künstler einen nicht eingeweihten Filmemacher. Bei CFA läuft das 28-minütige Video nun in einem eigens eingerichteten Kinosaal mit insgesamt zehn Stunden Jankowski-Material.
Seinen Film Heavy Weight History dokumentieren hingegen nur großformatige Fotos. Hier ließ Christian Jankowski (angefeuert von einem Sportreporter) polnische Gewichtheber in Warschau nationale Denkmäler anheben. Die Seejungfer in der Altstadt schafften sie, der an den Kniefall Willy Brandts erinnernde Gedenkstein war nicht zu stemmen.
Schon 1999 wurde Christian Jankowski zur Venedig-Biennale eingeladen. Und doch scheinen die ersten, gescheiterten Kunst-Gehversuche Spuren hinterlassen zu haben. In vielen seiner Werke geht es um Selbstvergewisserung. Die Entdeckung des Schriftzugs Bravo Jankowski auf dem Cover einer Schallplatte eines Namensvetters brachte ihn auf die Idee, die Mitarbeiter der ihn vertretenden Lisson Gallery vor der Kamera zu seinen Werken zu interviewen. Darin wird ihm eine gewisse Nervösität und Demut gegenüber der Frage nachgesagt, was ein Künstler sei. Die in Neonröhrenschrift an den Berliner Galeriewänden platzierten Gästebucheinträge wie „Sehr schöne Ausstellung, mit Liebe gemacht“, „Jetzt kann ich was mit Videokunst anfangen“ oder „on point“ lesen sich wie Mutmacher.
Auch Tableau Vivant TV, sein Beitrag für die Sydney-Biennale 2010, entsteht erst durch die Beschreibung anderer. Der Künstler selbst, der Kurator und sein Team sowie Besucher der Biennale stellen Schlüsselmomente der Genese eines Werks nach, als lebende, eingefrorene Bilder. Mitten in der Szenerie erklären Fernsehjournalistinnen des ZDF, der BBC oder der australischen ABC, an welchem Punkt sich Künstler und Werk gerade befinden. Jankowski gibt hier nicht nur Einblick in das künstlerische Schaffen, den Kunstbetrieb und die mediale Berichterstattung. Er hinterfragt darüber hinaus das professionelle Spiel aller Beteiligten, indem er sie zwar in ihren gewohnten Rollen auftreten, dabei aber seinem Skript folgen lässt.
Spannend ist dabei, wie die Gratwanderung zwischen Fiktion und Realität changiert. Für Kunstmarkt TV ließ Jankowski bei der Art Cologne zwei Teleshopping-Moderatoren Kunstwerke von Jeff Koons, Vanessa Beecroft oder Franz West verkaufen – in der gleichen Manier, in der sie sonst Fitness- oder Haushaltsgeräte anpreisen. Ein Fake mit echten Interessenten in der Hotline. Auch wenn Jankowski die Drehbücher für seine Aktionen schreibt, überlässt er im Verlauf gern Experten das Feld. In Strip the Auctioneer überschneiden sich schließlich Kunst und Realität. Jankowski überzeugte dafür einen Christie’s-Auktionator, seine eigenen Kleider an die Bieter im Traditionshaus zu versteigern. Dessen Live-Webcast diente als Grundlage für die Videoarbeit. Die getragenen Socken gingen für 2.200 und 2.400 Euro weg. Kein Fake dieses Mal, sondern Kunst am Markt.
Info
Retrospektive Christian Jankowski Contemporary Fine Arts, Berlin, bis 5. März
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