Wer erinnert sich noch an Stuxnet und Skywiper? Die Computerviren wurden 2010 und 2012 zur Schwächung des iranischen Atomprogramms eingesetzt. Der New Yorker James Hoff macht daraus „infizierte“ Kunst – und so die Wirkungsweise dieser unsichtbaren Waffen sinnlich erfahrbar. Er speist die Viren in den Code von monochromen Bilddateien ein und lässt abstrakte, farbintensive und geheimnisvolle Werke entstehen, die er auf Aluminiumplatten druckt. Ebenso verändert er Klänge eines Drumcomputers, die er sammelt und katalogisiert, um aus den Samples ein ganzes – mit Störimpulsen gespicktes, aber beatlastiges und absolut hörbares – Album zu machen. Blaster hat er es genannt, nach dem dafür verwendeten Virus.
Derzeit sind Werke von James Hoff in der Ausstellung Eugen Gomringer & im Kunstverein Bielefeld zu sehen – passenderweise direkt neben Gomringers Sprachbild kein fehler im system. Auch Gomringer unterwandert sein Ausgangsmaterial, indem er das „f“ Buchstabe für Buchstabe im Satz verschiebt, bis aus „kein efhler im system“ wieder die Ursprungsaussage wird. Eugen Gomringer gilt als Vater der Konkreten Poesie, die schon in den 1950er Jahren weg wollte von den großen Erzählungen. Weg von der „Pseudoinformationsinflation“, wie der Österreicher Gerhard Rühm das nannte, der mit seinen Sprachexperimenten damals Wien aufmischte. Das galt auch als Befreiungsschlag von der durch NS-Ideologie verseuchten Sprache.
Die Konkreten Poeten knüpften – ganz anders als die Gruppe 47, der sie das Bielefelder Colloquium Neue Poesie entgegensetzten – an Surrealismus und Dadaismus an. Sie spielten mit dem Alphabet als Basismaterial und konzentrierten sich weniger auf die Syntax als auf die visuellen und akustischen Dimensionen von Sprache. Eugen Gomringers berühmtestes Gedicht schweigen, aufgetragen in großen schwarzen Lettern auf die Ausstellungswände des Kunstvereins, spielt mit diesen Ebenen. Das Wort „schweigen“ wiederholt sich neben- und untereinander ingesamt 14 Mal, wobei in der Mitte eine optische Lücke klafft – und damit das Schweigen selbst sichtbar wird, obwohl es sich nicht aufschreiben oder aussprechen lässt.
Beckett als iMessage
Der sprachkritische Ansatz und die multimediale Denkweise machen die Konkreten auch für zeitgenössische Künstler interessant, die mit neuen Kommunikationsformen experimentieren. Neben James Hoff lässt sich auch Sophia Le Fraga der Digitalen Poesie zuordnen. Sie zeigt W8ING im Bielefelder Kunstverein. Darin übersetzt sie Samuel Becketts Drama Warten auf Godot mithilfe sogenannter leetspeak, bei der Wörter durch Ziffern und Emoticons in einen iMessage-Dialog verkürzt werden, den wir auf einem Smartphone vermeintlich in Echtzeit verfolgen können. W8ING hinterfragt das Verhältnis von Sprache und Technologie, von privater und öffentlicher Kommunikation. Die Digitale Poesie lässt uns den Folgen der digitalen Revolution auf die Spur kommen. Zumal der Computer ein textbasiertes Medium ist, und das gleich zweifach: sowohl auf der Ebene des Programmiercodes als auch auf der Benutzeroberfläche, auf der das vom Code generierte Material für jeden lesbar wird.
Während Sophia Le Fragas W8ING auf der sichtbaren Oberfläche arbeitet, greifen James Hoffs Quelltextmanipulationen tiefer in die Architektur der digitalen Medien ein. Hoff reizt zudem, dass die Mutationen der Bilder und Sounds dem Virus überlassen sind, also einen Überraschungseffekt mit sich bringen. Das hätte auch den Surrealisten gefallen, die ja den Zufall zum Prinzip der Kreativität erklärt hatten.
Noch einen Schritt weiter gehen die sogenannten Codeworks – ein Begriff, der von dem Künstler und Cybertheoretiker Alan Sondheim geprägt wurde. Hier wird der Code selbst zum künstlerischen Material. Die Werke spielen mit Grenzunschärfen von Maschinen und menschengenerierter Sprache und setzen damit eine sehr gute IT-Kenntnis bei den Künstlern voraus. Und auch der Betrachter kann diese Werke ohne Kenntnisse in Programmiersprachen eigentlich gar nicht erfassen.
Die Codeworks zeigen uns somit eindeutige Grenzen auf. Der Kulturtheoretiker Vilém Flusser sprach schon 1991 davon, dass sich unsere Gesellschaft in wenige Programmierer und viele Programmierte spalte – und daran hat sich bis heute wenig geändert, allerdings sind die Folgen aufgrund der Digitalisierung in allen Lebensbereichen immer weitreichender. Dass wir einen großen Teil der Digitalen Poesie nicht entschlüsseln können, führt uns also plastisch vor Augen, dass wir zu Analphabeten geworden sind.
In technischer, ästhetischer und politischer Hinsicht haben Codeworks eine klare Affinität zu Hackerkulturen. Die wichtigsten poetischen Formen der Codekünstler, Programmiersprachen wie Perl Poetry, stammen aus eben solchen Subkulturen. Wir können Codeworks also auch als Warnung an uns Analphabeten verstehen: Uns entgehen nicht nur spannende Werke in einem speziellen Genre der Dichtkunst – durch unsere Unwissenheit ist mit fatalen Folgen zu rechnen.
Eugen Gomringer & Kunstverein Bielefeld Bis 25. Oktober
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