Im Zuge der Eröffnung von Fichte versuchte der Bildhauer Erwin Wurm in Wolfsburg wie so oft etwas klarzustellen: „Ich bin nicht jemand, der Witze erzählen will, das interessiert mich nicht.“ Vielleicht sollte man dem Mann also endlich mal glauben und ihn ernst nehmen.
Vorm Museumseingang steht ein pommesgelb glänzender VW-Bus mit Imbiss-Ausstattung – mittags wird hier Currywurst serviert. „Ich glaube, Sie müssen das probieren, sonst haben Sie die Arbeit nicht erfasst!“, ruft der Künstler beim Rundgang und schaut ein wenig schelmisch. Er hat den VW dick gemacht, rundherum beult er aus. Ein fettes Auto also in der Stadt des Automobils, was mindestens so entlarvend wie lustig ist: Kein einziger Autohersteller wollte bislang eines seiner Fa
ang eines seiner Fat Cars kaufen. Ein deformiertes Statussymbol, das entsprach wohl nicht ihrem Sinn für Humor. Volkswagen hat eine Art Sozialprojekt daraus gemacht: Auszubildende haben den Curry Bus zusammen mit Ruheständlern gebaut.Bei den One Minute Sculptures, mit denen Erwin Wurm bereits in den 80er Jahren weltweit berühmt geworden ist, werden die Besucher für eine kurze Weile selbst zum Kunstobjekt. In der Wolfsburger Ausstellung kommt da der titelgebende Johann Gottlieb Fichte ins Spiel. Romantischer Philosoph, Verfechter eines selbstbewussten Individualismus, den er später auf die nationale Ertüchtigung eines ganzen Volkes anwendete – und auf den sich die Nationalsozialisten bezogen. „Hauptquartier“ hat Wurm in blauer Jungsschrift an die Wand geschrieben, dazu den Titel des fragwürdigen Fichte-Aufsatzes von 1808: Reden an die deutsche Nation. Auf der Zeichnung darunter kniet ein Mann, die Stirn an die Wand gelehnt. „Folgen Sie den Anweisungen und realisieren Sie die Skulpturen“ steht da noch. Dann also los, was an Gedanken aufkommt – die deutsche Schuld, Knieschmerz, die eigene Lächerlichkeit in dieser merkwürdigen Pose –, taugt wahrlich nicht für große Lacher, ruft eher ein nervöses Kichern hervor.Kind der 50erFichte kommt dann noch einmal im vermeintlichen Waldstück ins Spiel. Doch Romantik will sich auch hier nicht einstellen – trotz Nadelgeruch. Denn die riesigen, rieselnden Tannen (sic) aus der Region hängen kopfüber von der 16-Meter-Decke. Nicht nur diese Verschiebungen, auch die beleuchteten Farbeimer dazwischen – bereitgestellt für weitere One Minute Sculptures – schaffen keine Versunkenheit, sondern Irritation.Erwin Wurm selbst ist Österreicher, er kennt das also, das Leiden am eigenen Land. Er könne sich überhaupt keines vorstellen, mit dem man einverstanden sein kann, erklärt er neben seiner fast mannshohen Skulptur Anger Bump, deutsch so viel wie Wut-Beule. Die Figur in rosa Pulli und beige Hose ist kopflos – und deutlich zu erkennen: erigiert. Erwin Wurm hat sie als Reaktion auf die Bush-Ära entworfen, spielt an auf die Prüderie und sagt, es komme auf den persönlichen Erfahrungshorizont an, ob man etwas als witzig empfinde. Im arabischen Raum würde das als schwere Beleidigung begriffen, aber auch in den USA sei es schwer, ein Werk wie Anger Bump auszustellen.Placeholder gallery-1Begreift man Bildhauerei als Formveränderung, rüttelt sie immer auch an Normvorstellungen – und von beidem geht Erwin Wurm ganz grundsätzlich aus. In seinem siebenminütigen Roadmovie Tell kratzt er nicht nur an fragwürdigen Übereinkünften, sondern er kippt gleich die ganze Realität. In jener ist ein Paar auf der Suche nach einem Parkplatz in Wien. Und ausgehend von Fragen wie etwa der, ob ein Kater nicht einfach Glück habe, dass seine Augen dort liegen, wo die Löcher im Fell sind, erklärt die Frau am Steuer die Wahrheit zur kollektiven Dummheit. Die sei schön und gut für alle, die sie sich leisten könnten – und so stellt sie das Auto schließlich sinnbildlich in der Vertikalen auf einer Häuserwand ab.Von all diesen Fragen nimmt sich Erwin Wurm nicht aus. Das zeigen seine Acrylgüsse von Essig- und Salatgurken auf weißen Sockeln. Sie sind Originalen nachempfunden, täuschend echt und immer anders im Detail. „Es gibt hundert Millionen verschiedener Gurken, trotzdem erkennt man sofort, das ist eine Gurke, das ist ähnlich wie bei uns Menschen“, erklärt er und betitelt die Arbeit als Selbstporträt. Dass er als Kind der 50er mit Essiggurken aufgewachsen sei, ist dabei nun wesentlich weniger interessant als die Fähigkeit zur Selbstironie. Dahinter blitzt immer wieder eine große Melancholie hervor. „Wir sind der Mittelpunkt unserer Welt, aber letztendlich scheitern wir ja alle“, sagt der Künstler. „Mir sind auch einige wirklich tragische Momente in meinem Leben passiert, und da hat es mir geholfen, zu sagen: ‚Es ist so lächerlich, du als kleines Würschtel, umgeben von sieben Milliarden anderen, dich so in den Mittelpunkt deiner Gefühle zu stellen, nimm dich jetzt nicht so wichtig.‘“ Und so sind auch die Gurken Ausdruck einer genauso individuellen wie kollektiven Verzweiflung – oder eben die Würstchen, denn auch die finden in dieser gar nicht witzigen, aber subversiven und warmherzigen Ausstellung ja ihren Platz.Placeholder infobox-1