„Nichts gegen gute Titten“

Pop Katja Ruge hat sich als Musikfotografin in einer Männerdomäne etabliert. Wie hat sie das geschafft?
Ausgabe 38/2016

Sie ist eine der bekanntesten Musikfotografinnen Deutschlands. In Hamburg zeigt Katja Ruge nun in einer Ausstellung Bilder von Künstlerinnen, mit denen sie in den vergangenen 25 Jahren zusammenarbeitete. Beim Gespräch in ihrer Hamburger Wohnung gewährt sie vorab einen Einblick in die Arbeiten. Den Schwerpunkt bilden Porträts, auf denen die Musikerinnen auffallend unsexualisiert in Szene gesetzt wurden.

der Freitag: Frau Ruge, Ihre Ausstellung heißt „Ladyflash“. Woher kommt der Name?

Katja Ruge: Ich mag das Wort „Lady“ total, mein erstes Pferd hieß so und war sehr selbstbewusst. Irgendwie habe ich gedacht, es passt gut. Das hat so etwas Lässiges, Cooles. Mir macht es bei der Arbeit immer Spaß, selbstbewusste Frauen zu treffen.

In der Ausstellung geht es auch um die Erlebnisse, die Sie mit den Musikerinnen hatten.

Ja, mit Peaches hatte ich zum Beispiel eine spannende Session. Ich habe mir ihre Musik angehört und gedacht, dass sie eine coole Lady ist. Dann habe ich einen Kumpel von mir angerufen, der einen Ford Mustang hat. So ein stereotyp männliches Auto, dass eine Person wie Peaches brechen kann. Ein Muscle-Car-Mustang ist ja eigentlich so etwas von macho-männlich. Sie sagte „Boah, supergeil!“ und zog eine Def-Leppard-Penishose an. Dann hat sich Peaches sofort hinten ins Auto gesetzt hat und eine Wegfahrsperre in die Hand genommen, die sie wie eine Pumpgun hielt. Anschließend stellte sie sich vor das Auto und hielt das Emblem im Schritt. Das ist natürlich auch eine Ansage.

Zur Person

Katja Ruge studierte Grafikdesign und machte eine Ausbildung zur Fotolaborantin. Sie war unter anderem Artdirektorin bei der Zefa Visual Media in Düsseldorf und Fotoassistentin in Manchester. Ihre Bilder sind ab 22. September in der Galerie kulturreich in Hamburg zu sehen

Foto: Konrad J . Schmidt

Hat sich die fotografische Inszenierung von Frauen im Pop in den letzten 25 Jahren geändert?

Ja, finde ich schon. Ich kann aber immer nur von mir reden. Bei mir bestimmt die Frau mit, wie sie inszeniert wird. Das ist mein Ansatz: Ich will eine gute Zeit mit den Frauen haben. Ich verbünde mich eher, als dass ich sage: „Hier bin ich, ich bin der Star und du musst jetzt so sein, wie ich dich haben will.“ Mir geht es darum, den Ausdruck, den die Mädels sowieso haben – die haben ja alle einen eigenen Stil, eigenes Selbstbewusstsein und Outfits –, einzufangen. Das ist natürlich auch tagesformabhängig. Jessie Ware, die sonst immer in Weiß gekleidet und total schick ist, hatte bei unserer Session einen nicht so guten Tag. Sie fragte dann, ob es für mich okay sei, wenn sie ihren Hut auflässt und ein Hemd trägt. Ich dachte: „Voll geil, so hat dich noch nie jemand gesehen.“ Es war immer so: Wie ist momentan das Gefühl? Wie geht es einem? Wie kann man in dem Rahmen etwas Gutes machen, womit beide happy sind?

Unterscheidet sich das von der Art, wie Musikerinnen sonst oft fotografiert werden?

Es existiert fotografisch natürlich alles – auch dieses Überglamouröse, Feingebügelte, Übersexistische. Ich glaube, dass Menschen generell mehr Echtheit wollen. Mir geht es um Echtheit. Ich will auch, dass die Frauen gut und schön aussehen. Ich mache auch Pickel weg und habe da keine Probleme mit. Aber ich finde es immer wichtig, dass man auch die Person zeigt, die sie in genau dem Moment ist. Das sind Momentaufnahmen meiner Begegnungen mit den Künstlerinnen.

Bei Ihren Porträts fällt aber auf, dass die Musikerinnen mehr Kleidung anhaben, als es in der Musikfotografie üblicherweise der Fall ist. Ist das Absicht?

Nein. Ich glaube, dass ich einfach weniger Künstlerinnen fotografiere, die über Sexyness verkauft werden und damit krass kokettieren. Einige Frauen finde ich deshalb wesentlich sexyer, obwohl sie mehr anhaben. Für mich ist Attitüde sexyer, als wenn ich die Titten sehe. Nichts gegen gute Titten. Wir sind Frauen und wir haben schöne Körper. Egal in welcher Form. Aber diese Frauen, die ich porträtiere, haben einen anderen künstlerischen Ansatz. Da geht es um die Musik, um den kreativen Ausdruck, um textliche Inhalte, um die Stärke, eine Frau zu sein. Und sicherlich auch mal um die eine oder andere feministische Aussage. Da gibt es auch Künstlerinnen, die ganz verletzlich sind und auf eine ganz andere Weise funktionieren. Mit meinen Bildern möchte ich diese Attitüde, sei es Stärke oder Verletzbarkeit, unterstützen.

Sie fotografieren aber ja auch Musiker. Wurden Sie von denen zu Beginn auch mal als Groupie betrachtet?

Oh ja! Und zwar von den Frauen. Ich habe das tatsächlich oft von eifersüchtigen Frauen, die mit irgendwelchen Bands etwas zu tun hatten, mit denen ich abhing, zu spüren gekriegt. Bei mir war Professionalität angesagt, obwohl ich natürlich auch kein Kind von Traurigkeit war. Gerade als ich anfing und noch viel unsicherer war, schlechtes Englisch sprach und die ersten Bands fotografierte, war ich natürlich über Backstage-Einladungen sehr erfreut. Man wollte dabei sein und das erzählen – und fand das cool. Aber ich habe echt oft von anderen Frauen dafür doofe Sprüche reingedrückt bekommen. Nicht von den Männern. Das fand ich erschreckend.

Gab es einen Punkt, an dem Ihnen ein Mann einmal Zugang zu einem Karriereschritt verweigert hat?

Nee, ich muss aber auch sagen: Bei mir geht es immer darum, eine Lösung zu finden. Wenn sich mir irgendwas in den Weg gestellt hätte, hätte ich alles versucht, um darüber hinwegzugehen. Ich mache meine Arbeit einfach ruhig und versuche, 125 Prozent zu geben. Das, was ich mache, soll gut sein. Gerade in der Musik- und Rock-’n’-Roll-Fotografie gibt es natürlich auch Männer, die sich sehr geil finden. Aber das ist an mir echt abgeperlt. Es hat mich nie interessiert. Ich wollte immer nur eine geile Zeit mit den Künstlern haben. Aus dieser entstehen Bilder, fertig, aus. Natürlich ist diese Fotografie kein ausschließlicher Männerberuf, aber er ist sehr männlich geprägt – auch durch die Technik, das viele Tragen und körperliche Anstrengung.

Wie erklären Sie sich, dass das so eine Männerdomäne ist?

Frauen haben Angst vor Technik.

Sind sie da selber schuld?

Nein, die Frauen sind nicht schuld. Aber ihnen wird die Angst vor Technik eingeredet. Vielleicht sind wir auch nicht so technisch interessiert, aber das ist gar nicht so notwendig. Fotografieren hat sehr viel mit Ausprobieren zu tun und damit, sich selbst zu entdecken. Wie in jeder anderen Kunstform auch. Ich habe immer sehr viel mehr Praktikumsbewerbungen von Frauen als Männern. Nur mir fehlte bei sehr vielen Frauen oft die Passion, wirklich zu wollen. Und wirklich zu sagen: „Das liebe ich, das mache ich und hänge mich jetzt voll rein und gebe alles.“ Dass das bei vielen Frauen nicht vorhanden ist, ärgert mich manchmal richtig. Weil ich denke: „Ihr habt so viel Potenzial, probiert es doch mal aus. Macht es mal.“ Da muss echt noch viel passieren. Viel mehr auf sich selber vertrauen. Mich würde es freuen, wenn noch mehr Frauen sagen: Da ist etwas in mir, das muss raus.

Haben Sie das Gefühl, dass Männer die Arbeit weniger ernst nehmen, wenn sie von Frauen kommt?

Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Den Fall hatte ich noch nie. Weil ich meine Arbeit auch einfach ernst nehme.

Sie sind heute etabliert. Gab es in anderen Kontexten Situationen, in denen Menschen sagten: Was will diese Frau?

Mir ist das scheißegal. Wenn ich all diese Dinge wahrnehmen würde, würde ich eine Vollkrise kriegen. Was Leute über mich sagen oder denken. Jeder hat eine Meinung und will was sagen. Ich mache einfach mein Ding.

Auch wenn Sie als Frau da oft allein auf weiter Flur sind.

Ich bin seit Anfang des Jahres beim „Berufsverband Freie Fotografen und Filmgestalter“. Da bewirbt man sich mit Bildern und dann entscheiden ein paar Fotografen über die Aufnahme. Ich habe mich total gefreut, dass ich aufgenommen wurde, weil man zusammen natürlich stärker ist. Man hilft sich gegenseitig, was ich für wichtig halte. Aber auch da: viele, viele Männer – wenige Frauen. Ich kann das jetzt nicht mit Zahlen benennen, aber so wie ich es empfinde, gibt es eigentlich mehr Fotografinnen. Vor allem in der künstlerischen Ecke und der Reportagefotografie. Aber in der Musikfotografie hören die meisten irgendwann auf. Weil das Thema ausgeschöpft ist, man nicht mehr kann oder, oder, oder ... Aber ich finde, es ist ein so toller Bereich in der Fotografie.

Info

Katja Ruge: Ladyflash Frauen in der Musik ist von 22.09. bis 26.10.2016 in der kulturreich Galerie Hamburg im Rahmen des Reeperbahn Festivals zu sehen

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