Auch wenn die Skulptur-Projekte bewusst parallel zur Biennale von Venedig und zur documenta 12 veranstaltet werden, startet die Stadtraum-Schau außer Konkurrenz: Anders als die Megaveranstaltungen in Italien und Kassel setzt Münster mit Kurator Kasper König und Künstlern wie Michael Asher, Bruce Nauman und Isa Genzken auf personelle Kontinuität wie auf ein durchgängiges Thema, die Kunst im öffentlichen Raum. Unsere Innenstädte seien "übergestaltet", die Künstler müssten sich "undercover" dem Stadtraum nähern, beschreibt Brigitte Franzen vom Westfälischen Landesmuseum die Situation. Sie verantwortet mit der Leiterin des Kunstvereins in Münster Carina Plath und König die Auswahl der 34 Künstler, die durch Mü
52;nster gestreift sind, auf der Suche nach neuen oder übersehenen Öffentlichkeiten.Im Vorfeld wurde von Fachleuten bezweifelt, ob eine vierte Auflage von "Münster" sein müsse, die bislang seit 1977 alle zehn Jahre stattfand. Die ortsspezifische Kunst sei durchgesetzt oder zur Beliebigkeit pervertiert, der Skulpturbegriff ins Endlose erweitert, die Kommunen gegenüber innovativen Projekten aufgeschlossen, wenn unter dem Strich nur genug Aufmerksamkeit erregt würde. Eben weil das Stadtmarketing das Sagen habe, es zu "symbolischen Aufwertungen von Identitäten" käme und "Funktionalisierungstendenzen" am Werk seien, möchte das Münster-Team dem eine zeitgemäße, individuelle Praxis entgegensetzen. Es begreift Münster als "Testfeld", um eine "Langzeitströmung" beobachten zu können.Der Hang zur Retrospektive bei dieser Ausgabe der Skulptur-Projekte ist nicht zu übersehen. Ein 1977 aufgrund von Bedenken des Staatshochbauamtes nicht verwirklichtes Projekt von Bruce Nauman kam diesen Sommer zur Ausführung. Square Depression ist eine 25 mal 25 Meter große, umgekehrt in den Boden eingelassene Pyramide. Wer sie abwärts läuft, dem entzieht sich der Blick auf die räumlich Situation, wer sie hinaufgeht, dem eröffnen sich - je nach Standort - neue Perspektiven auf das Areal des Naturwissenschaftlichen Zentrums, eines architektonisch offenen Geländes: Ein geniales wie einfaches Werk, das vom physischen Standpunkt aus nach den Möglichkeiten der Kunst fragt.Das Westfälische Landesmuseum zeigt eine umfassende Dokumentation der vergangenen Skulptur-Projekte. Und selbst die Künstler perpetuieren die Idee eines imaginären Museums der Kunst im öffentlichen Raum. Dominique Gonzalez-Foersters Miniatur-Versionen alter Münster-Projekte, die sie auf einer Wiese arrangiert hat, können den Charme einer Minigolf-Anlage allerdings nicht abstreifen. Vielschichtiger und eleganter ist dagegen der als Slapstick-Komödie daherkommende Film von Guy Ben-Ner. In dem nüchternen Vorbau eines Finanzamts hat der in Berlin lebende Israeli Heimtrainer aufgebaut. Wer in die Pedale tritt, aktiviert einen Monitor, der vor dem Lenker befestigt ist. Der Film zeigt, wie der Künstler gemeinsam mit seinen beiden Kindern ein Fahrrad baut, und zwar aus Teilen, die er im Museum findet: Der Sitz stammt von einer Picasso-Collage, die Felge von einem Duchamp-Readymade, das Hinterrad von einer Tinguely-Maschine. Gemeinsam radeln sie am skulpturenbestückten Aasee entlang, entdecken merkwürdige Dinge wie den ihnen noch fehlenden Reifen, der aber am Boden um eine Straßenlaterne herum liegt - die 97er-Arbeit von Andreas Slominski.Das Spektrum ist breit gefächert: Martha Rosler betreibt wie Silke Wagner, Gustav Metzger und Manfred Pernice in unterschiedlicher Qualität und Form Nachhilfe im Fach Geschichte. Tue Greenfort, Annette Wehrmann und Andreas Siekmann üben ätzende Kritik an gesellschaftlichen bzw. ökologischen Zuständen. Das Prinzip "Dienstleistung" griff Hans-Peter Feldmann auf und renovierte die öffentliche Toilette am Dom. Die Verwandlung des Ortes sozialen Abstiegs in eine Oase zielt auf das Problem von Randgruppen-Asylen inmitten der Überflussgesellschaft. Soziale Studien betreiben auch Jeremy Deller mit seinem Kleingartenprojekt und Maria Pask, die in ihrem Zeltdorf Beautiful City Debatten über unterschiedliche Glaubensrichtungen anregt.Nahezu minimalistisch nehmen sich dagegen die Erlebnisräume von Pawel Althamer und Susan Philipsz aus. Althamer legte am hinteren Ende des Aasees einen Trampelpfad an, der durch wogende Kornfelder führt und an einer Zufahrt zu einem Bauernhof endet. Vincent van Gogh hätte keine besseren Landschaftsausschnitte wählen können. Wird der Pfad im September zugewachsen sein oder hat er sich verzweigt? Auf dem Rückweg ins Zentrum überrascht den Flaneur unter einer Brücke der Gesang von Philipsz. Es erklingt die "Barcarole" aus Jacques Offenbachs Oper Hoffmanns Erzählungen. Der Brückenuntergang verwandelt sich in einen beseelten Raum, in ein von Empfindungen geschwängertes Kontinuum. Die beiden Künstler fügen dem Stadtraum nichts Materielles hinzu, sondern verstärken Situationen.Den Rahmen der bisher stattgefundenen Skulptur-Projekte sprengen hingegen die zahlreichen filmischen und performativen Beiträge. Das Schlechtwetter-Programm bedient sich nicht nur der neuen medialen Kompetenz des Publikums, sondern hat auch den Vorteil, den Betrachter an imaginären Streifzügen teilhaben zu lassen. Das gilt für Valérie Jouves Video-Projektion in einer schmuddeligen Unterführung und für Clemens von Wedemeyers beängstigende Wanderung durch das nächtliche Münster. Völlig abgehoben, aber dennoch fesselnd, ist die mit philosophischen Überlegungen überfrachtete, 37-minütige Filmcollage von Eva Meyer Eran Schaerf. Sie lädt zur Reflexion über die Konstruktion von Geschichte, Erinnerung und Identität ein. Der Betrachter sitzt drinnen, im Konferenzraum des Hotel Mauritzhof, und sieht Bilder von draußen, von Münster von vor über fünfzig Jahren. Das zusammengeschnittene Material inszeniert die Verschiebung gewohnter Codes. So verraten die authentischen Privataufnahmen der jüdischen Familie Gumprich aus den Jahren 1937/39 so gut wie nichts über die Judenverfolgung, während der Hollywoodschinken Desperate Journey von 1941/42 den deutschen Widerstand dramatisch vor einer Kulisse inszeniert, die Münster sein könnte.Völlig verabschiedet vom Gedanken einer im urbanen Raum erlebbaren Kunst haben sich offenbar Michael Elmgreen Ingar Dragset mit ihrem ironischen Theaterstück, in dem berühmte Skulpturen - Four Cubes (Sol LeWitt), Rabbit (Jeff Koons), Brillo Box (Andy Warhol) - sich einen witzigen Schlagabtausch nach dem andern zum Thema Plastik liefern. Drama Queen wird später immerhin als Projektion im Foyer des Landesmuseums zu sehen sein. Die schier endlose Bandbreite der Künstlerbeiträge bezeugt den Wunsch, die Frage nach der "Kunst im öffentlichen Raum" offensiv in alle Richtungen anzugehen und keinen neuen Trend auszurufen. Ein Glossar im Katalog stellt Stichworte von "Allemende" über "Drop Sculpture" und "Institutionskritik" zu "Urbanität" zusammen, die der weiteren Differenzierung dienen sollen und wie eine Grundlage einer zukünftigen Bestandsaufnahme in zehn Jahren anmuten. Solch ein intellektuelles Instrumentarium ersetzt aber nicht die künstlerische Entscheidung vor Ort. Hier liegt vielleicht der wunde Punkt der sicherlich notwendigen Veranstaltung. So gut wie alles war möglich, selbst skurrile Extravaganzen wie Pae White´s Tacos aus Marzipan, die sie von der ersten Konditorei am Platze herstellen ließ.skulptur projekte münster 07. Noch bis zum 30. September 2007. Katalog, Walter König, 28 EUR
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