Die Demokratie bittet zu Tisch

Ausstellung In der Karlsruher Ausstellung "Come in, friends, the house is yours!" geht es viel um Partizipation. Sehr löblich, aber der künstlerische Mehrwert ist eher gering

Unter dem locker klingenden Titel Come in, friends, the house is yours! lädt der Badische Kunstverein zur Revision der westlichen Selbstgenügsamkeit ein. Wie gewohnt geht es unter Kuratorin Anja Casser nüchtern zu bei der ästhetischen Verhandlung von Fragen wie: Ist unser Staat noch demokratisch? Sind unsere Formen der Mitbestimmung nicht erstarrt zu Ritualen, bestimmt von Hierarchien, unterwandert von den Mechanismen des Marktes? Die Auswahl der Positionen muss als präzise beschrieben werden. Zwölf international renommierte Künstler, darunter das Regiekollektiv Rimini Protokoll, das jüngst zur realen Aktionärsversammlung von Daimler eingeladen hatte.

Dass die Kollegen vom Theater in dieser Ausstellung überzeugen, hat mit der Materie zu tun. Das Video und die Hörspielfassung von Deutschland 2 dokumentieren eine Aktion, die den Grad an Inszenierung politischer Debatten vor Augen führt. Rimini Protokoll ließ eine reale Bundestagsdebatte 2002 simultan nachspielen. Frappierend, wie sich das theatralische Element des medialen politischen Alltags herausstellt, wie Körpersprache und Stimme als Teil der Rhetorik entlarvt werden.

Nachdenklich stimmt der Morelli Orbis von Erick Beltrán. Was aussieht wie eine Weltkarte, entpuppt sich als fehlerhafte Version: Der Nahe Osten, Irak und Iran fehlen komplett. Auch Afrika erscheint viel zu klein, während die neue Balkan-Ordnung auf ersten Blick recht exakt wirkt. Die Fehler und Leerstellen stammen von einer Jugendgruppe, mit der Beltrán spontan und ohne Hilfsmittel die Karte erstellt hat. Die Methode geht auf den Kunsthistoriker Giovanni Morelli zurück, der aus der Analyse von Details auf die Identität des Malers schließen wollte. Beltráns Werk ist nicht repräsentativ, könnte aber als Hinweis auf die Perspektive verstanden werden, aus der das Weltgeschehen immer betrachtet wird.

Ähnlich funktioniert die Dia-Dokumentation der Amerikanerin Sharon Hayes, die Protestaktionen im öffentlichen Raum durch Schilder mehr karikiert als nachstellt. Unwillkürlich fragt man sich: Was bringt das Demonstrieren noch? Sind wir nicht Teil einer unübersichtlich Manipulationsmaschinerie, wie es Florian Wüst in seiner Wandarbeit Ohnemichel im Glück nahelegt?

So regiert in der Ausstellung durchweg die gute Absicht; alles ist rational kontrolliert, orientiert an dem Ziel, die Welt durch die Entschleierung des medialen Puppentheaters zu verbessern. Was den künstlerischen Mehrwert betrifft, so bewegt der sich im Rahmen der Vorgaben in einer Ästhetik des Vorhersehbaren. Julika Rudelius etwa geht in ihrer Filmarbeit den amerikanischen Initiationsriten für junge Führungskräfte auf den Grund, wo Charisma wichtiger ist als Wissen.

Als künstlerische Strategie spielt Partizipation eine wichtige Rolle. Eingelöst wird der Anspruch in Karlsruhe von dem TISCH (Foto), den Martin Kaltwasser und Folke Köb­berling vis-à-vis dem Bundesverfassungsgericht (BVG) aufgestellt haben. Er kopiert die Tribüne des obersten deutschen Gerichts. Nicht nur auf der Richterseite sind Stühle aufgestellt, auch gegenüber kann jedermann Platz nehmen. Das Wachpersonal des BVG hat bereits angekündigt, sich künftig an der aus Sperrmüll zusammengezimmerten Tafel sein Pausenbrot genehmigen zu wollen. Hoffentlich tun es ihm viele nach.

Come in, friends, the house is yours! Bis 14. Juni. Badischer Kunstverein, Karlsruhe

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