Die Rundung der Welt

Schwäbische Venus Die Beschäftigung mit der 35.000 Jahre alten Venus-Figur von der Schwäbischen Alb sagt mehr über die erotischen Fantasien der Betrachter aus, als über die Figur selbst

Sex sells: Warum sonst bildete die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen archäologischen Fund, die „Venus“ von Hohle Fels, vergrößert ab, so dass deren realistisch herausgearbeitete Vulva in nahezu natürlicher Größe erschien? „Sexuelle Energie in der Eiszeithöhle“ titelte das Blatt. Verdutzt starren wir auf eine im Original sechs Zentimeter hohe weiblichen Figur aus Elfenbein, ohne Kopf, dafür ausgestattet mit einer Öse, durch die man eine Sehne hätte ziehen können. Sie soll mehr als 35.000 Jahre alt sein soll, also deutlich älter ist als alle Pferde-, Mammut- und Löwenstatuetten, die auf der Schwäbischen Alb, einem weltweit bedeutsamen archäologischen Fundort, entdeckt wurden.

Die Frankfurter Rundschau machte das Kultobjekt gleich zum Covergirl, allerdings ohne Blow up. Dafür gelingt es dem Autor des zweiseitigen Artikels nicht, seine erotischen Fantasien außen vor zu lassen. Im Zentrum aber steht natürlich das „große Ganze“. So fragt er, ob es etwas Wichtigeres gäbe, als über den Ursprung der Kultur nachzudenken. Was lässt sich da entgegnen? Dass das „Nachdenken“ über die prähistorische Phase unserer Kultur oftmals ein Spekulieren ist, dass es oftmals die eigene Perspektive wiederspiegelt, die eigenen Projektionen.

„War die unscheinbare Höhle früher womöglich ein heißer Sex-Unterschlupf?“ spielte Bild unverhohlen auf das offenbar latente Bedürfnis an erotischen Schlüpfrigkeiten an, eine Übertreibung, die wir schon nicht mehr ernst nehmen können. Die diffamierende Wortwahl in der FAZ und in der FR stimmt hingegen nachdenklich. Von einer „Wuchtbrumme“ ist die Rede, von einer „eiszeitlichen Vorliebe für Damen mit katastrophalem Body-Mass-Index“.

Schon auf der Website des Science-Magazins Nature, wo der Tübinger Ur- und Frühhistoriker Nicolas Conard seine Entdeckung publiziert hat, ist von einem „prehistoric pin-up“ die Rede. Auch er konstatierte eine „sexuelle Energie“, mit der die Figur aufgeladen sei, die im Herbst 2008 unweit von Blaubeuren am Grabungsort „Hohle Fels“ zerbrochen in sechs Einzelteile gefunden wurde. Was im Kontext wissenschaftlicher Artikel als auflockernde Ironie herüberkommt, gerät in den renommierten Feuilletons zum peinlichen Fauxpas: „Eindeutig ein Busen aus der Silikon-Epoche“ (FR).

Hineingetappt in die Falle der Projektion. Die Frau der Prähistorie zum Objekt der Begierde machen, das grenzt schon an Comedy, ist doch anzunehmen, dass Sexualität vor 40.000 Jahren einen völlig anderen Stellenwert hatte als in einer komplexen, zivilisierten Gesellschaft. Aber nein: Sex ist archaisch, das war (für Männer) immer so: Begierde, Lust, im Schoß, im Urgrund versinken.

Niemand ist indes auf die Idee gekommen, die Matriarchats-Forschung zu konsultieren, Johann Jacob Bachofen, Marie König, Heide Göttner-Abendroth. König etwa begriff die Leibesfülle der weiblichen Figuren als „Rundung der Welt“, „mit dem Nabel als Mittelpunkt und der Vulva als Symbol für die Wiedergeburt“. Für sie stand die Frau im Mittelpunkt des Kultes, ihr Bild wurde verehrt, davon zeugen, Hunderte von weiblichen und das weitgehende Fehlen männlicher Bildnisse. Doch bewegen wir uns auch hier auf unsicherem Terrain. Wissenschaftlich anerkannt sind die Ergebnisse der Mythenforschung nicht. Alles nur Projektionen, Wunschbilder eines heute anachronistisch wirkenden Weiblichkeitskults?

Fest steht, dass die Archäologen ausschließlich weibliche Figuren gefunden haben, aus Elfenbein geschnitzt, aus Kalkstein geritzt, aus Ton geformt. Es existieren übrigens auch schmale, stilisierte Idole aus Elfenbein und Pechkohle, die wahrscheinlich ebenfalls an einer Schnur um den Hals getragen wurden. Diese Funde sind aber in der Regel sehr viel jünger. Interessant an der „Venus vom Hohle Fels“ ist vor allem, dass die Menschen offenbar bereits vor 35.000 Jahren das Geheimnis ihrer Existenz über stilisierte Abbilder reflektiert haben. Sex hin oder her. Wer aber damals das Sagen hatte, Frauen oder Männer, darüber gibt es weiterhin keine Gewissheit, und wird es niemals geben.

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