Was finden die eigentlich alle an der Trockel, fragte mich letztens eine Kollegin, und ich muß zugeben, ich konnte nicht gleich präzise antworten. Fest steht, daß Rosemarie Trockel, 1952 geboren in Schwerte, Deutschland bei der diesjährigen Biennale von Venedig vertreten wird, allein; das erste Mal eine Künstlerin. Als Vorlauf dieses epochemachenden Ereignisses ist wohl die erste große Retrospektive (Werkgruppen 1986-1998) Rosemarie Trockels in ihrem Heimatland zu begreifen, die bereits in Hamburg zu sehen war und nun - angepaßt an die Räumlichkeiten - in Stuttgart besichtigt werden kann.
Um es vorweg zu nehmen: Die Ausstellung in der Staatsgalerie ist bis ins letzte Detail durchdacht und handwerklich brillant wie amüsant zusammengestellt. So schmuggelte die Künstlerin ihre von der Decke hängende Bronzerobbe in das Ambiente von Filz und Fettstuhl des Beuysraums. Da das hilflose Tier einen blonden Haarkranz trägt, gehört die Arbeit zur Abteilung »Brigitte Bardot«, zwei Räume weiter. Insgesamt zeigt die Künstlerin neun Themenräume, die auf vergangene Ausstellungen zurückgehen: Wollarbeiten präsentierte sie in Köln, den Hühnerstall in Brüssel, Fansouvenirs von Brigitte Bardot in Paris, Entwürfe/Zeichnungen zur »Familie« in der ersten Wiener Schau und das Plakatprojekt »Beauty« in der zweiten; ihre Videos waren in Opladen zu sehen, Zeichnungen in Schwerte, die fotografische Untersuchung »Paare« in Düren und die Diaserie »Seaworld« in Hamburg.
Diese Aufzählung zeigt: Das Werk von Rosemarie Trockel ist äußerlich ziemlich disparat. Dennoch wirkt die Schau homogen, den Begriffsfeldern Erotik, Feminismus, Anthropologie folgend, ausgestattet mit einer Logik des inneren Widerspruchs. Die Künstlerin scheint beständig an der Umkehrung der Publikumserwartung zu feilen, Abstoßung und Anziehung rhythmisch zu organisieren. Doch spielt sich keine dieser Strategien in den Vordergrund. Immer überlagern sich mehrere Muster, so daß Dinge aus der Alltagswelt zu Gegenständen des Nachdenkens werden oder der Projektion, wie etwa das Segel des Optimisten, auf das per Dia Schnappschüsse aus dem Hamburger Hafen geworfen werden.
Doch wie kann eine halbwegs aufgeklärte Frau am Ende des 20. Jahrhunderts eine ihrer Arbeiten »Leben heißt Strumpfhosenstricken« nennen? Rosemarie Trockel tut es. Die Ironie dieser absurden Sentenz ist nicht mit einmaligem Hinsehen zu haben. Außerdem, aber das nur nebenbei, werden Strumpfhosen nicht mehr per Hand gestrickt, höchstens noch Socken. Sorgfältig verbirgt Rosemarie Trockel ihre zahllosen Anspielungen - auch auf die Arbeiten berühmter Kollegen - hinter der Banalität der weiblichen Kulturtechnik. Zu sehen ist aber zunächst nur die Fotografie einer auf dem Bauch liegenden Frau, lediglich angetan mit einer von der Kölner Künstlerin entworfenen Strickstrumpfhose.
Dazu muß man wissen, daß Rosemarie Trockel in den achtziger Jahre eben gerade mit Strickbildern und - objekten bekannt wurde. Die industrielle Fertigung pervertierte das Klischee der stricknadelklappernden Ehefrau. Verhüllt nimmt Trockel die Absage der Minimal Art an den handwerklichen Prozeß des Künstlerischen auf, transportiert aber weiter die Konnotation der sowohl sinnvollen wie harmlosen Frauenbeschäftigung. Einige wenige Wollarbeiten dokumentieren in der Ausstellung dieses Thema. Aber zurück zu der kryptischen Fotografie: Das Muster der besagten Strumpfhose besteht aus bemalten Eiern. Folgerichtig liegt die wie in einem Kinderbuch aufgeklappte Figur in der Stuttgarter Schau im Raum zum Thema »Das Ei«, ein komplexes Arrangement von Arbeiten aus der Zeit von 1993 bis 1998.
Das Ei galt als Symbol des Ursprungs und des werdenden Lebens, im Christentum zu Ostern als Sieg über den Tod und die Unterwelt. Gleichzeitig ist es banales Lebensmittel. Und so schreckt die Künstlerin nicht vor zoologischen Extratouren zurück. Ursprünglich hatte die Kölner Künstlerin den in Stuttgart aufgestellten Hühnerstall 1993 für die Brüsseler Galerie Hufkens konzipiert. Das Treiben der Hühner war durch die Glaswand der Galerie zu beobachten. Der Galerist sollte die gelegten Eier ausblasen und aus den aufgezogenen Schalen einen Vorhang für die Glaswand basteln. Daraus wurde nichts, doch baute die Künstlerin den Vorhang für die Retrospektive nach und stellte zudem eine Fototapete mit diesem Motiv her. Aus dem Eierschalenvorhang wurde ein Muster - wie auf der Strickstrumpfhose. Das vorbildliche Hühnerhaus steht nun in der Staatsgalerie. Drinnen picken aber keine Hühner, sondern läuft ein Monitor mit Trockel-Videos zum Thema.
Und damit nicht genug der unsichtbaren Bedeutungsfäden: Die liegende Figur hat sich aufgestützt und schaut im Beisein eines Hundes Fotografien an, die skurrile Abbildungen zum Thema Ei zeigen. Die anthropologische Dimension wird verquickt mit dem Strickmuster und dem ambivalenten Verhältnis Tier-Mensch.
Solche Zusammenhänge erscheinen anfangs beliebig, weil Trockels intertextuelles Arbeiten in immer neuem Gewande erscheint. Aber das ist eine der großen Qualitäten des Werks der Künstlerin: Die Versponnenheit der Muster, der Motive, der Ideen. Wer formale Durcharbeitung sucht, gerät nicht in den Sog der Assoziationen.
Um diese uneinheitliche Verbundenheit zu beschreiben, bedienen sich viele Interpreten im Katalog der Texte der französischen Strukturalisten. Um zu sagen, daß es keine endgültigen Wahrheiten gebe, alles mit allem verwoben sei, schieben viele die Theorie vor. Wenn jedoch die Theorie von der Lebenspraxis bereits eingeholt werde, wirken solche Konstruktionen reichlich verkrampft. Zudem braucht Rosemarie Trockels Arbeit diese Legitimation nicht. Ihr Kosmos funktioniert auch so. Leben heißt Fäden spinnen - nur nicht nur solche aus Wolle, sondern auch aus Gedanken und Bildern.
Staatsgalerie Stuttgart, bis zum 24. Mai. Öffnungszeiten: täglich (außer Montag) 11-19 Uhr; der im Kölner Oktagon-Verlag erschienene Katalog kostet 34,- DM
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