Menstruieren Vampire?

Pop Die Norwegerin Jenny Hval widmet sich auf ihrem neuem Album Blut aus feministischer Perspektive, auch Menstruationsblut. Nun war sie in Berlin zu Gast

Kein Kunstblut. Jenny Hvals viertes Album heißt zwar Blood Bitch und erforscht Blut. Aber auf der Bühne fließt und spritzt es nicht. Blutig sind nur ihre Videos und Texte. Die schreibt sie "für Jungfrauen, Huren, Mütter, Hexen, Träumer und Liebende". Zu ihrem Konzert in der Berghain-Katine sind an diesem Abend aber auch erstaunlich viele Männer gekommen.

Die kurzen Haare wasserstoffblond gefärbt, trägt Hval einen Body mit Rollkragen, dazu Jeans. Mit dabei hat sie ein aufblasbares Planschbecken, Obst und eine kleine Gurke. Die Tänzerin Orfee Schuijt isst die Gurke, verteilt Rosenblätter und Teebeutel. Keine Tampons. Hval sagt, sie versuchen verschiedene Sachen auf der Bühne, aber nicht alle klappen. Ihre Nonchalance bringt das Publikum zum Lachen.

"Menstruieren Vampire?", fragt Hval auf ihrer Homepage. Eine Frage, die Stephenie Meyers Vampirroman Twilight nicht beantwortet. Kein Wunder: Menstruation ist ein Tabu-Thema. In der o.b.-Werbung wird Blut wahlweise durch eine lila oder blaue Flüssigkeit dargestellt. Blut muss unsichtbar bleiben. Als M.I.A-Schlagzeugerin Kiran Gandhi den London Marathon mit blutgetränkter Hose lief, weil sie kein Tampon verwendete, war die Empörung groß. Und auch in der Popkultur gibt es selten Szenen wie die des Tampon-Tausches in Charlotte Roches Feuchtgebiete.

"Eine Sprache dafür?"

Hval beginnt mit "Lorna", dem letzten Lied von Blood Bitch. Der Song dreht sich um weibliches Begehren. Niemand habe sie je nach ihrem Begehren gefragt, noch das Wort überhaupt in den Mund genommen. "Hat irgendjemand eine Sprache dafür? Können wir sie finden?", fragt sie mit hoher, zarter Stimme.

Wer spricht schon offen darüber, was im Bett passiert? Es fehlen die Begriffe, die nicht nach Porno klingen. Und es ist schwer auszudrücken, was einen wirklich berührt. Hval zerdrückt das Innere einer Banane in ihrer Hand. Zwischen ihre Fingern quillt es gelblich hervor. Ihr einziger Kommentar dazu ist, dass sie besser ein Handtuch auf der Bühne haben sollte. Eine Zuschauerin reicht ihr ein Taschentuch.

In "Conceptual Romance" klingt das Vampir-Thema an, auch musikalisch. Die Romantik unterscheidet sich stark von der in Twilight: Hval will den Ursprung der Welt zeigen. Tänzerin Orfee Schuijt malt dazu mit rotem Edding auf Papier, bis es fast voll ist. Das hängt Hval dann auf, für die Inspiration später. Nach ihrem Auftritt streiten sich zwei Fans, wer es mitnehmen darf.

Zu dem Song "The Great Undressing" läuft ein Video. Dessen aerobig-artige Choreographie stellen die zwei Frauen auf der Bühne dar. Hvals Stimme klingt dabei wunderschön, sogar wenn sie vom Kapitalismus singt. Die Leute wippen im Beat. "It's hard work, you know", sagt Hval. Davon handelte schon ihr vorheriges Album Apocalypse, girl.

"Es ist doch nur Blut"

Jetzt ist Pool Party. Die Sängerin und die Tänzerin ziehen sich bis auf Badeanzug und Body aus und räkeln sich im Planschbecken. An den Waden und Unterarmen der Tänzerin ist orangene Farbe. Es geht um Menstruationsblut: "Ich tauche meinen Finger ein und es riecht nach warmen Winter." Verglichen mit anderen Liedern, die sich bereits diesem Thema widmeten, ist das viel sanfter. Die Grrrl-Punk-Band Respect My Fist schmetterte rotzig "Ich blute" und die Punkrockerinnen von White Lung forderten lautstark: "Kiss me when I bleed". Hval sieht es so: "Es ist doch nur Blut."

So schafft sie eine angenehm unaufgeregte Atmosphäre. Einen Raum, der nicht steril ist, aber auch nicht schmutzig, sondern ein Ort, an dem man sich wohlfühlt. Obwohl oder gerade weil dort Tabuthemen endlich auf den Tisch kommen. Und das zum Glück nicht nur vor weiblichem Publikum.

Zum Abschluss gibt es dann doch Vampire beziehungsweise Vampirinnen. Der Song "Female Vampire" bezieht sich auf den gleichnamigen Film. Darin befriedigt eine Vampirin ihre Opfer so lange oral, bis sie sterben. Bei Jenny Hval geht es um eine blutrünstige Vampirlady auf der Tanzfläche. Dazu streifen sich die beiden schwarze Umhänge über und tanzen zu einem schnellen Beat über die Bühne. So poppig ist Feminismus selten.

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Geschrieben von

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden