Moderne Mammy

Was läuft Über „Scandal“ und die Haltbarkeit von rassistischen Stereotypen. Spoiler-Anteil: 15 Prozent
Ausgabe 10/2017

Morgens aufzuwachen und neben einer blutig zugerichteten Leiche zu liegen, ohne zu wissen, wie diese dort hingelangt ist. Erpressung wegen eines Sexvideos mit der Prostituierten. Oder wegen der Affäre mit einer Assistentin. Sich solchen Problemen der Washingtoner Elite anzunehmen, ist Alltag für Olivia Pope, die Protagonistin der ABC-Serie Scandal. Sie muss Skandale gerade verhindern und hat dafür mit ihrem Team hinter den verschlossenen Türen der ganz Großen zu tun. Verdeckte Organisationen, die im Auftrag der Regierung foltern und morden, kommen hier zutage, geheime Machenschaften im Weißen Haus. Wer großes Drama und komplizierte Handlungsstränge liebt, wird an Scandal seinen Gefallen finden.

Die Serienschöpferin Shonda Rhimes, die schon Grey’s Anatomy und How to Get Away with Murder produziert hat, erfährt Lob für ihre progressiven Akzente. Heikle Themen werden angegangen, aktuelles Politikgeschehen wird einbezogen. In Scandal kommen rassistisch motivierte Polizeigewalt und eine Präsidentenwahl vor. Für die kandidiert eine ehemalige First Lady, die, welch Überraschung, aber nicht gewinnt. Ob sich Trumps Präsidentschaft in der Serie niederschlägt, wird die sechste Staffel zeigen, die gerade angelaufen ist.

Positiv hervorgehoben an Rhimes’ Serien wird auch die diversifizierte Besetzung. Querschnitt einer Gesellschaft, in der Homosexuelle und Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe selbstverständlich Platz haben – im Fernsehen noch immer eine Seltenheit.

Olivia Pope, gespielt von Kerry Washington, ist eine Frau of Color. Auf den ersten Blick erscheint sie wie Superwoman – unabhängig, erfolgreich, gutaussehend. Auf den zweiten zeigt sich aber auch bei Scandal, dass Charaktere nicht frei von Stereotypen sein müssen, selbst wenn sie ein fortschrittliches Gewand tragen. Beim genauen Hinsehen erkennt man in Olivia Pope nämlich moderne Versionen von „Mammy“ und „Jezebel“.

Die Mammy ist das häufigste Stereotyp für afroamerikanische Frauen in Hollywood. Gutmütige und großherzige Assistenzfiguren, die sich um die Kinder einer weißen Familie kümmern und dabei ihre eigenen Bedürfnisse und die ihrer Familie zurückstellen. Das Bild der Mammy zeichnet eine übergewichtige, nach dem westlichen Schönheitsideal unattraktive, völlig asexuelle Frau. Eine Ersatzmutter, der alles an der Entwicklung der weißen Familie liegt. Ein jüngeres Beispiel liefert der Oscar-gekrönte Film The Help von 2011.

Bei Olivia Pope zeigen sich diese Muster im Umgang mit ihrem Team, an ihrem Arbeitsplatz. Sie stellt ihre eigenen Bedürfnisse stets hinter die ihrer Klienten, die meist weiße, mächtige Männer sind. Ständig muss sie diese aus Notsituationen retten, steht ihnen in emotionalen Problemen bei, ist zum Händchenhalten da. Mitgefühl und Fürsorge sind beileibe keine negativen Eigenschaften. Und doch aktualisiert sich selbst in einer Serie, in der die afroamerikanische Frau im Mittelpunkt steht, ein Bild aus der Zeit der Sklaverei. Ganz direkt wird die Mammy in Episoden ins Bild gesetzt, wenn privilegierte Familien nicht mehr in der Lage sind, sich um den Familienzusammenhalt zu kümmern, und Pope als Babysitterin ranmuss. Sie wird dafür bezahlt, es ist ihre Profession, aber es ist eben auch das Stereotyp.

In ihrer Affäre mit dem Präsidenten erscheint Olivia Pope dagegen als Jezebel – als Frau, die immer sexuell verfügbar ist. Das Bild, das ebenfalls aus der Zeit der Sklaverei stammt, zeigt eine schwarze Frau, die nicht sexuell belästigt und missbraucht werden kann, weil sie immer Lust auf Sex hat. In Grundzügen lässt Scandal das Motiv in Szenen zwischen Olivia und ihrem Liebhaber erkennen. Die Szenen dienen nicht dazu, über sexuellen Missbrauch zu sprechen; die Serie romantisiert die Verknüpfung von Sex und Gewalt und interpretiert sie als lustvolles Verlangen des Mannes.

Keines der beiden genannten Stereotype erfüllt Olivia eindeutig, jedoch lassen sich von beiden Aspekte in ihrem Charakter wiederfinden. Sie changiert hin und her, sodass es für die Zuschauer den Anschein haben kann, als hätte die Serie die Stereotype überwunden. Stattdessen konstruiert Scandal sie aber immer wieder neu. Gerade wurde bekannt, dass die Serie um eine 7. Staffel verlängert wird. Es besteht also Hoffnung, dass sich die Macher auf spannende Cliffhanger konzentrieren und von rassistischen Stereotypen lassen.

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