WM der Scheinheiligkeit

Brasilien Man bezeichnet es als eine Hochzeit der Völkerverständigung, der Fairness, der Esktase und des Nationalstolzes. Doch es wird Zeit, dass man hinter die Kulissen blickt.

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Schon seit Wochen muss alles brasilianisch sein: der Joghurt, die Bratwürste, die Limonade – man könnte meinen, dass sich plötzlich die ganze Welt für dieses riesige und schöne Land interessiert. Plötzlich redet man über die politische, soziale und ökologische Lage dieses Staates. Man könnte hoffen, dass sich die Weltgemeinschaft für die Zukunft dieses Schwellenstaates interessiert, und viele wollen es einem im Moment versprechen.
Doch wenn man sich an die letzte Herrenfußballweltmeisterschaft erinnert, wird schnell klar: die Diskussionen finden nur innerhalb der intellektuellen Eliten statt. Spätestens ab dem ersten Anstoß wird auch diese vom fließenden Gerstensaft berauscht, und nachdem das letzte Tor geschossen wurde, gibt es auch keine Berichterstattung mehr. Nichts hat sich in Südafrika geändert, noch immer gibt es soziale Ungeleichheit, Kriminalität und AIDS. Tausende Menschen sind gekommen, haben sich in der Sonne gebräunt, ausgelassen gefeiert und das einzige, was sie von Südafrika mitgenommen haben, waren Vuvuzelas. Kein Kulturaustausch, keine Entwicklungshilfe, kein Aufschwung.
Im Gegenteil, die Idee, ein Ereigniss von solcher Dimension in unterentwickelten Länder mit fehlender Grundversorgung oder teils sogar fehlender Demokratie und Freiheit auszurichten, ist geradezu sadistisch. Es mangelt in diesen Ländern an medizinischer Versorgung, fließendes Wasser und Elektrizität, dennoch sollen sie innerhalb weniger Jahre gigantische Stadien, Hotels, Tourismuszentren und Infrastruktur errichten, wo es doch für das Nötigste an Geld und Kompetenz fehlt. So kommt es zu fragwürdigen Paradoxien, wenn zum Beispiel ein Manager aus den USA in einer Premiumloge auf spätrömische Weise dekadent feiert und auf perfekt gewässerten Rasen blickt, ohne wirklich dem Spiel zu folgen, während kaum 2 Kilometer weiter ein einfacher Bürger des Gastgeberlandes in seiner Wellblechbarackestatt fließendem Trinkwasser bestenfalls eine schleimig-braune Brühe aus dem dem Wasserhahn erhält und den Tod eines Verwandten betrauert, der bei der Errichtung eben jener Loge zu Tode kam.
Nun wird natürlich dem Austrägerland versprochen, dass es letztendlich zu seinem Besten ist – die Stadienbauten würden ja von Investoren finanziert werden, während die Einnahmen dem Staat und der Wirtschaft zu Gute kommen. Dieses Versprechen und die Geltungssucht der Führungsschicht führten auch zur Bewerbung Brasiliens. Fakt ist jedoch, dass sich keine Investoren gefunden haben und die Veranstaltung auf Kosten des brasilianischen Steuerzahlers gehen. Auch in Südafrika nahm die FIFA 3 Milliarden Euro (steuerfrei) ein, Südafrika blieben 2 Milliarden Euro Schulden und leere Stadien.
Nicht nur, dass diese Massenveranstaltungen den verarmten Austragungslädern (als ob es nicht genug Industriestaaten gäbe, die dies übernehmen könnten) keine Vorteile verschaffen und Steuermittel verschwenden. Sie verschärfen auch noch die soziale Situation. Um wieder in diesem Jahr zu bleiben: Wer hat die Zahl der Hütten in den Favelas gezählt, die für die WM niedergerissen wurden? Wer die Anzahl der Arbeiter, die mir ihrem Leben für den Fußball zahlen mussten? Wer die unglaublichen Flächen an Regenwald und Ureinwohnerterretorien, die vernichtet wurden?
Es ist bedenklich, wenn in blinder europäischer Vergnügungslust die Leute über den verzweifelten Widerstand der Indios lachen, die mit Pfeil und Bogen gegen die repressiven Polizeitruppen vorgehen, um demonstrieren zu können.
Perfide ist auch das Maskotchen der diesjährigen WM – ein stilisiertes Gürteltier (das Original ist aufgrund der Regenwaldabholzungen praktisch ausgestorben) namens „Fuleco“, eine begriffliche Verschmelzung von „futebol“ (Fußball) und „ecologia“ (Umweltschutz). Das wäre ungefähr das gleiche, als wenn die NATO eine Friedenstaube als Maskotchen hätte.
"Cui bono?"
Natürlich hatte die FIFA enorme Interessen daran, die WM in Brasilien auszurichten. Hier gibt es ein enormes Potential für Fußball, da die Bevölkerung bereits fußballbegeistert ist und es nur noch an einer verbesserte Sportinfrastruktur fehlt, um es voll auszuschöpfen. Konkreter wird das Interesse jedoch bei den kommenden Herren-Weltmeisterschaften sichtbar.
Warum wohl wird die nächste in Russland ausgetragen? Natürlich, um mit Putin zu liebäugeln und von seiner Macht zu profitieren.
Die Frage nach Katar brauche ich nicht zu stellen – es ist allgemein bekannt, dass eine Menge Geld geflossen ist. Korruption in der FIFA ist jedoch nichts neues – ich erinnere an die WM in Argentinien zu Zeiten der Diktatur. Hier wurde knallhart mit einem menschenrechteverachtenden Regime verhandelt, sogar den Sieg hat es sich erkauft. Menschenrechte sind der FIFA sowieso unbekannt – so manch hoher Posten der FIFA hat Diktaturen unterstützt oder sogar selbst Blut an den Händen. Schmutzige Geschäfte mit der lokalen Mafia gehören natürlich ebenfalls dazu. So verwundert es nicht, dass vor vier Jahren auch kein Wort über die Apartheid verloren wurde.
Dies entspricht selbstverständlich überhaupt nicht dem Bild, dass uns die FIFA von sich vermitteln will. Sie sei gemeinnützig, wolle den Sport fördern, Menschen aller Nationen und Klassen Freude bereiten. Die Realität ist: Die Korruptheit der höchsten Ämter kennt keine Grenzen, sie sind absolut käuflich und veruntreuen massenhaft Geld. Ein wunderbares Beispiel sind die enormen Summen für ein "Trainingslager", das auf dem Grundstück eines FIFA-Offiziellen errichtet wurde. Diese Ansicht über die FIFA teilen viele Journalisten sowie der Ex-Chef des englischen Fußballverbandes.
Wer regelmäßig über den ADAC erbost ist, könnte von der FIFA einen wahren Wutausbruch bekommen. Auch sie ist ein Verein, verdient aber unglaubliche Mengen an Werbevertägen und Ausstrahlungsrechten. Die Ausgaben sind vergleichsweise gering, es stechen nur die Anwaltskosten herraus, denn die FIFA verklagt gerne mal jeden, der bei ihren absurden rechtlichen Geschäften nicht mitmacht. Dabei hat sie das perfide Druckmittel, wie Teams von der WM auszuschließen – das Risiko geht kein Land gerne ein. So verwundert es noch weniger, dass die FIFA zusammen mit ihren Sponsoren für die WM keinen Cent Steuern zahlt. So geschehen bei der WM in Deutschland. Da ihr Sitz in der Schweiz und sie wie ein Jodelclub ein Verein ist, zahlt sie nur 4,25% Steuern. Sie hat aber noch mehr Macht: In Brasilien verbietet sie Straßenverkäufern in einem riesigen Umkreis um die Stadien, ihre Produkte zu verkaufen und nimmt ihnen damit die Lebensgrundlage – ohne jede Legitimation.
Die größte "Leistung" der FIFA ist allerdings die absolute Kommerzialisierng der Fußballs "For the Game. For the World". Es besteht eben kein primäres Interesse daran, den Fußball zu fördern, die Menschen zu verbinden oder ähnliches. Es geht nur ums Geld, auch wenn dazu keine Notwendigkeit besteht, da es sich ja eigentlich nicht um ein Unternehmen, sondern um einen Verein handelt. Aus diesem Grund ist die FIFA auch absolut intransparent – Journalisten können sich an ihr lange die Zähne ausbeißen.
Die kriminellen Machenschaften rund um den Fußball sind außerhalb der FIFA noch schlimmer. Immer wieder wird deutlich, welch unglaublichen Einfluss die Wettmafia hat. Anscheinend werden die meisten Spiele bei großen Turnieren durch bestochene Schiedsrichter so manipuliert, dass stochastisch praktisch unmögliche Ergebnisse erzielt werden. Hier bleibt fraglich, ob Fußball wirklich noch fair ist, ob hier wirklich noch jeder respektiert wird oder ob es sich nicht in Wirklichkeit um ein ganz großes Geldgeschäft handelt, bei dem es keine Regeln, Gesetze oder Grenzen gibt.
Dies hat auch Folgen für die nationalen Fußballverbände. Wer wirklich noch denkt, dass deutsche Fußballer irgendeine Vorbildfunktion hätten, sollte an der Berechtigung von Vorbildern allgemein zweifeln. Das deutsche Fußballteam ist längst bei einem Verhaltensmuster angekommen, dass sich zwischen Asozialität (Großkreuz) und Opportunismus bewegt – man bedenke die Werbeverträge mit der Commerzbank (mit Steuermitteln gerettet) sowie für Kartoffelchips und Nussnougatcreme (welche wohl beide an dem Vierteljahrhundert ohne gewonnene WM schuld sind). Noch scheußlicher ist die Selbstbeweihräucherung und das Mitlaufen großer Teile der Bevölkerung. Ist die deutsche Mannschaft wirklich so gut, dass für sie ein luxuriöses Trainingscamp auf einer Regenwaldinsel im Naturschutzgebiet errichtet werden muss? Ist es wirklicht notwendig, den Spielern schnelle Autos zu geben, mit denen sie Passant verwunden? Braucht es wirkliche medizinische Versorgung im Preisspektrum eines Einfamilienhauses? Die primäre Funktion von Fußballern ist nicht mehr, Sportlichkeit zu vermitteln, sondern die Menschen mit ihrer Persönlichkeit zu unterhalten, halbgöttliche Ikonen zu schaffen und als lebendige Werbeplakate zu funktionieren.
Interessant wird natürlich, wenn wir betrachten, für wen geworben wird. Ein Beispiel ist das Triko der Nationalelf – es wird zurzeit massenhaft von Fans gekauft und von einem namenhaften Hersteller prodziert. Dieser Marktgigant ist bekannt dafür, seine Mitarbeiter in der dritten Welt auf bestialischte Art auszubeuten. Das wird zwar abgestritten. Werden jedoch bessere Bedingungen gefordert, so droht er, die Fabriken zu verlegen. Ich halte es für bedenklich, wenn mit diesen unter Schweiß und Tränen gefertigten Stoff eine Nation vertreten werden soll, die sonst solch hochstehende Werte propagiert. Der Hersteller will davon nichts wissen, reitet auf einer sportiven Lifestyle- und Fangemeindenwelle. In seinen Werken könnten sich noch viel schrecklichere Szenen abspielen (die allerdings bereits jetzt jede Vorstellungskraft sprengen) – die Menschen würde den Fummel kaufen, denn die Nationalelf trägt ihn – das ist doch die Pflicht als Fan!
Noch bedenklicher ist die Werbestrategie eines namenhaften Limonadenherstellers. Nicht nur, dass er blinden Hedonismus in seinem Slogan verpackt; dieser hält von kritischem Nachfragen ab. Gleichzeitig stellt er sich auch noch als bester Freund der Fans und als Kosmopoliten sowie Pazifisten dar. Ziel ist ganz klar Greenwashing. Die Konsumenten sollen nur Gutes mit dem Produkt verbinden und darin das sehen, was es für viele einst war: ein Symbol der modernen Welt und des Wohlstands für alle, also das, was Warhol auch einst daran faszinierte.Wer jemals die Folgen des Limonadenkonsums der reichen Stadtinder für die ärmere Landbevölkerung gesehen hat, weiß es besser: Massenhaft wird das Wasser abgepumpt, sodass ganze Landstriche verdorren und die braune Brause zum Todessymbol Nr. 1 wird. Ist es zu verantworten, dass ein Spaßgetränk, dass mit Gutmenschentum beworben wird, zum Tod tausender Menschen führt?
Autor: Niklas Götz
Teil II folgt am 11.6.2014

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