Das Elend vom Tier? Die Gier

Konsum Eine Steuer auf Fleisch, wie von SPD, Grünen und CDU-Ministerin Julia Klöckner geplant, träfe die Falschen. Christian Baron plädiert für eine grundsätzliche Reform
Ausgabe 10/2021
Das Elend vom Tier? Die Gier

Illustration: Ira Bolsinger für der Freitag

Noch nie haben wir so viel über Leid und Leben der Tiere debattiert wie derzeit, und trotzdem ist für sie kaum etwas besser geworden. Das gilt auch für die Menschen, die in Schlachthöfen schuften. Inmitten der Pandemie müssen sie weiterhin die miserabel bezahlte Drecksarbeit erledigen, empfindsame Wesen zu töten und zu zerlegen. Auf engem Raum, mit unethischen Mitteln, ohne Gesundheitsschutz – und am Abend kehren sie zurück zu ihren Familien, die sie einem erhöhten Covid-19-Infektionsrisiko aussetzen müssen.

Ausgerechnet diese Menschen sollen bald eine Fleischsteuer zahlen, wie es Grüne und SPD fordern und Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) jetzt erwägt? Die wahrscheinlichste Variante ist diese: Aktuell gilt für Fleisch der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben statt 19 Prozent. Das soll sich ändern. Dadurch könne zum einen der Fleischkonsum zurückgehen. Zum anderen sollen die Mehreinnahmen den Landwirten zugutekommen, um die Haltungsbedingungen ihrer Nutztiere verbessern zu können.

Doch wer glaubt ernsthaft, dass in der bevorstehenden Wirtschaftskrise ein relevanter Teil der Steuereinnahmen zweckgebunden für eine bessere Lebens- und Sterbequalität in den Ställen eingesetzt wird? Wer kann Klöckner überhaupt noch abnehmen, ihr gehe es um das Tierwohl? Die Ministerin, für deren Partei die Bauern traditionell eine treue Wählergruppe sind, hat erst zu Beginn dieses Jahres die Ferkelkastration ohne Betäubung verboten – nach einem sieben Jahre währenden Prozess. Sieben Jahre, in denen Abermillionen Neugeborene unter schlimmsten Schmerzen das Abschneiden ihrer Hoden ertragen mussten, weil ihr Fleisch sonst später unangenehm riechen könnte. Der sogenannte Kastenstand, in dem Muttersauen monatelang in körpergroße Kästen gesperrt werden, in denen sie sich nicht einmal ausstrecken können, ist mindestens noch acht Jahre lang legal. Acht Jahre!

Völlig absurd ist der Kurzschluss, wonach mehr Geld für die Landwirtschaft automatisch das Elend der Tiere mildere. Eine aktuelle Studie des Bündnisses „Gemeinsam gegen die Tierindustrie“ belegt, dass der Staat die Erzeugung tierischer Produkte bereits mit mehr als 13 Milliarden Euro pro Jahr subventioniert. Es gibt zahlreiche Steuervergünstigungen für Landwirte (Zugmaschinen sind etwa von der Kfz-Steuer befreit). An der systematischen Tierquälerei hat sich dadurch nichts geändert.

Wer die Belastung durch Steuererhöhungen allein auf die Verbraucher abwälzt, kann kein Interesse an einer grundlegenden Verbesserung der Tierhaltung haben. Die lässt sich in einer Demokratie ohnehin nicht erzwingen, schon gar nicht durch den Ausschluss finanzschwacher Bevölkerungsgruppen vom Fleischkonsum. Menschen, denen die Politik jahrzehntelang die soziale Sicherheit entzogen und sie damit gezwungen hat, sich als Einzelkämpfer zu definieren, sorgen sich logischerweise mehr um ihre eigene Haut als um die eines Schweins. Mehr Würde kann es für Tiere darum nur nach einer massiven ökonomischen Umverteilung von oben nach unten geben.

Doch das reicht noch lange nicht. Anstatt die vorgetäuschte Weltrettung mit dem Griff in die Tasche der Prekären und Armen zu finanzieren, wäre es an der Zeit, auch in der Fleischindustrie die Eigentumsfrage zu stellen. Der Schweineschlachter Clemens Tönnies hat ein Vermögen von 1,5 Milliarden Euro aus der Arbeitskraft seiner Belegschaft herausgepresst. Als in seiner Tötungsfabrik die Corona-Infektionszahl nach oben schnellte, verlangte er vom Staat, die Löhne seiner in Quarantäne befindlichen Arbeiter zu erstatten. Nur in einer profitgetriebenen Wirtschaft kann ein Mensch dem Leben der anderen mit so viel Verachtung begegnen wie dieser Mann. Befände sich die Produktion von Fleisch, Milch und Eiern unter gesellschaftlicher Kontrolle, könnte der Weg zu mehr Empathie über mehr Transparenz führen. Niemand müsste aus Profitgründen die Schmerzensschreie der Tiere unterdrücken oder verdrängen. Die Verantwortung läge bei uns allen. Und wir alle könnten dafür sorgen, dass kein Mensch mehr unter Tönnies-Bedingungen arbeiten muss.

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