Gibt es einen linken Rassismus? Geht es nach jenen, die nicht damit klarkommen, dass auch Frauen und Migranten das Internet zur Verbreitung ihrer Meinung nutzen, dann existiert ein linker Rassismus, der noch viel schlimmer ist als der Fremdenhass der Neurechten und Nazis. Das unter Netzfeministinnen beliebte Twitter-Phänomen, alte weiße Männer zu verhohnepipeln, ist ihnen Anlass genug, um nun auch weiße Mitteleuropäer als diskriminierte Gruppe in den allgemeinen Opferwettbewerb hineinzupalavern.
Ali Ertan Toprak ist kein rechter Dampfplauderer, und er verharmlost nicht den Hass, den Rechte verbreiten. Aber auch er spricht von linkem Rassismus. Den identifiziert er, wenn Linke die Migranten nur als bemitleidenswerte Opfer sehen: „Sobald man sich als Migrant das Recht nimmt, für sich zu sprechen, wird man auch von diesen Kreisen als Migrant behandelt und nicht als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft.“ Anstatt in ihnen Individuen mit allen Widersprüchen zu erkennen, positionierten sich Linke als Anwälte der Sprachlosen und sähen ihre Aufgabe darin, „den Muslim“ zum neuen revolutionären Subjekt heranzubilden.
Vielleicht wäre die Bezeichnung „Paternalismus“ hier treffender als der inflationär gebrauchte Begriff des Rassismus. Es sollte auch nicht außer Acht bleiben, dass es „den Islam“ ebenso wenig gibt wie „den Muslim“. Und es sei erwähnt, dass Toprak im Jahr 2014 von den Grünen zur CDU überlief. Dennoch liefert er dem Journalisten Samuel Schirmbeck das stärkste Argument für dessen neues Buch. In Gefährliche Toleranz kritisiert der Autor den „fatalen Umgang der Linken mit dem Islam“.
Linkssein versteht der ehemalige Nordafrika-Korrespondent der ARD parteipolitisch. Er meint damit die SPD, die Grünen und die Linkspartei. Von ihnen verlangt er, sie müssten „endlich ihre Islam-Software wechseln“. Weil sie ausgerechnet in Bezug auf diese Religion ihre Kritik an Dogmen und Fanatismus aufgegeben habe, treibe die Linke immer mehr Menschen politisch nach rechts.
Das ist eine Zustandsbeschreibung, über die sich diskutieren lässt. Schirmbecks Schlussfolgerungen sind aber dürftig: Wegen ihres Schuldgefühls aufgrund der Nazi-Vergangenheit weigere sich die deutsche Linke, die aufgeklärten Strömungen des Islams zu unterstützen. Darum sei ihr die Religionskritik abhandengekommen. Reicht das als Erklärung?
Seitenweise zitiert Schirmbeck aus einer Koran-Übersetzung, um nachzuweisen, dass „der Islam“ eine gewaltverherrlichende, frauenfeindliche und homophobe Religion sei. „Wie soll“, fragt er, „auf der Grundlage solcher Verse Integration gelingen?“ Da drängt sich eine Gegenfrage auf: Warum sollte die Integration von Muslimen unmöglich sein? Die Bibel, die das heilige Buch des christlichen Abendlandes ist, steht dem Koran in puncto Menschenverachtung in nichts nach.
Buschkowsky, hallo?
Absurd wird es, wenn Schirmbeck einen gewissen Heinz Buschkowsky als „echten Linken“ lobt. Das verärgert nicht nur aufgrund der Tatsache, dass der SPD-Politiker als Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln ein Law-and-Order-Mann war. Seit einiger Zeit zieht er außerdem einmal pro Woche bei einem Radiosender über die „Gesellschaft der Gutmenschen“ her.
Schirmbecks Modus der reinen Anklage allein hilft bei diesem Thema nicht weiter. Wichtige Fragen, die einer Analyse bedürfen, stellt er nicht: Wie kann der politische Islam zurückgehalten werden in einer Einwanderungsgesellschaft, die sich der Dominanz der „eigenen Religion“, also des Christentums, noch immer nicht entledigt hat? Und vor allem: Was, wenn der Islamismus kein Rückschritt in vormoderne Zeiten ist, sondern die Folge einer Politik des „freiheitlichen Westens“, deren Ideologie die Linken kritisieren müssten?
Info
Gefährliche Toleranz. Der fatale Umgang der Linken mit dem Islam Samuel Schirmbeck Orell Füssli 2018, 172 S., 20 €
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.