Lange schon versucht die evangelische Kirche, im 21. Jahrhundert anzukommen. Weil sich an der Lehre nichts ändern soll, muss die Christenheit anderweitig mit der Zeit gehen. Zum Beispiel beim Personal. Seit dem vergangenen Jahr tourt „Bless U-2“ (auf Deutsch: Segne dich auch) durch Deutschland, der weltweit erste Segensroboter. In sieben Sprachen (inklusive Hessisch) spricht er im Gotteshaus zur Gemeinde. Zuerst fragt er die zuhörende Person, ob sie lieber von einer männlichen oder einer weiblichen Stimme gesegnet werden möchte. Spendet er dann seinen Segen, hebt er die knochigen Arme, die dürren Hände leuchten, und die Augenbrauen wackeln, ehe er den Segensspruch zum Mitnehmen auf Thermopapier ausspuckt wie einen Kassenzettel.
Wenn es um die Frage geht, wie wir in Zukunft arbeiten werden, dann sind es solch kuriose Beispiele, die einen Weg aufzeigen: Demnächst übernehmen die Roboter. Das, so die gängige These, betrifft nicht nur Segnen, Forschen oder Schreiben, sondern auch körperlich harte Tätigkeiten wie Fahren, Putzen oder Schleppen. Kein Mensch werde mehr die Drecksarbeit erledigen müssen, stattdessen können wir uns demnach schon bald um die schönen Dinge des Lebens kümmern. Unter allen Zukunftsszenarien ist dies das beliebteste. Das liegt vor allem an dem darin enthaltenen Erlösungsversprechen. Dessen Attraktivität ergibt sich aus der paradoxen Idee, den Kapitalismus überwinden zu können, ohne den Kapitalismus zu überwinden.
1995 veröffentlichte Jeremy Rifkin sein Buch Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft. Darin warnte der Ökonom vor einer im Zuge der Automatisierung rasant steigenden Arbeitslosigkeit. In Einzelhandel, Landwirtschaft und Dienstleistungssektor, prophezeite er, würden extrem viele Arbeitsplätze überflüssig werden. Aus heutiger Sicht hätte Rifkin kaum deutlicher danebenliegen können: In den meisten OECD-Ländern kam es seit 1995 zu einer Polarisierung der Arbeitswelt. Stellen mit mittlerer Qualifikation wurden zahlreich gestrichen, während neue Arbeitsplätze im hoch qualifizierten und gering qualifizierten Bereich entstanden. Nicht die Arbeit geht uns bislang im Zuge der Digitalisierung aus, sondern die sichere Arbeit für die Mittelklasse.
Mehr Demokratie wagen
Die Philosophin Lisa Herzog geht in ihrem kürzlich erschienenen Buch Die Rettung der Arbeit von diesen Befunden aus und entwickelt eine Perspektive für die Arbeitswelt, die über den zu Tode debattierten Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens hinausweist. Ihre Kernforderung: Mehr Demokratie in der Wirtschaft wagen! Die Arbeit der Zukunft, schreibt Herzog, solle nicht mehr notwendig hierarchisch organisiert sein. Sie zitiert die Soziologin Isabelle Ferreras, der für Betriebe ab einer gewissen Größe ein Zwei-Kammern-Modell vorschwebt, in dem jeweils die Kapital- und die Arbeiterseite vertreten sind. Um Entscheidungen zu treffen, müsste es in beiden Kammern eine Mehrheit geben.
Eine attraktive Idee, die aber eine wichtige Frage elegant umschifft: Wem gehört der Betrieb, und wem gehören die Maschinen? Wenn es sich nicht um eine Genossenschaft handelt, dann befindet sich das Unternehmen im Eigentum der Kapitalseite. Außerdem blendet das Modell die Tendenz des Kapitalismus aus, in jeder seiner Phasen die Arbeitskraft neu in Wert zu setzen: Weil Arbeit die Quelle des Wertes ist, wollen Unternehmen stets neue Reservoire an Arbeitskraft erschließen.
Das geschieht beispielsweise dadurch, dass reguläre Stellen durch unbezahlte Praktikanten oder unterbezahlte Volontäre ersetzt werden, aber auch durch die Beschäftigung von Arbeitsmigranten aus dem globalen Süden, wenn etwa Nordafrikaner in Andalusien für europäische Firmen auf Erdbeerfeldern ackern. In der einfachen Dienstleistungsarbeit wird es nicht zu einer umfassenden Rationalisierung kommen, weil die Technologie etwa für bestimmte Fingerfertigkeiten nicht ausgereift oder aber zu teuer wäre im Vergleich zu den geringen Kosten menschlicher Arbeit dieses Kalibers. Im künftig wohl weiter wachsenden Niedriglohnsektor wird es wenig helfen, ein bisschen Demokratie zu spielen, wenn die Kapitalseite das Eigentum für sich behält.
Sinnvoller erscheint da ein anderer Vorschlag von Herzog. Sie plädiert dafür, dass der Staat die Arbeitslosigkeit eines Menschen als Übergangsphase betrachtet, zum nächsten Job – oder zum neuen Beruf. Prognosen, die belastbarer erarbeitet wurden als Rifkins These vom Ende der Arbeit, gehen davon aus, dass in den kommenden Jahrzehnten mehr als 40 Prozent der aktuellen Berufsbilder verschwinden werden.
Arbeitgeberwechsel, ein steter Tausch zwischen Festanstellung und Selbstständigkeit, Phasen in Teilzeit und Phasen in Vollzeit lösen seit Jahren schrittweise das sogenannte Normalarbeitsverhältnis ab, auf dem westliche Sozialstaaten bis heute beruhen. Erwerbslosigkeit gilt noch immer als um jeden Preis zu vermeidende Lebenslage, weshalb etwa das Hartz-IV-Regime in Deutschland diesen Zustand für Betroffene so unangenehm wie möglich machen will. Würde die Bürokratie weniger auf Strafen, Beschämen und Kleinhalten setzen und stattdessen mehr in Ausbildung, Hilfe und Muße investieren, ließe sich die Arbeitswelt im Kapitalismus menschlicher gestalten.
Der Klassenkonflikt aber wird sich in der schönen neuen Arbeitswelt keinesfalls auflösen. Selbstverwirklichung und Autonomie finden in abhängiger Erwerbsarbeit immer nur innerhalb der Grenzen dessen statt, was aus Unternehmenssicht profitabel erscheint. Bedeutete das Home-Office nicht eine Entgrenzung von Arbeit und Freizeit, dann würde kein Betrieb es unterstützen. Würde ohne Kontrolle nicht beinahe jeder mehr arbeiten als vertraglich vereinbart, kein Chef spräche sich gegen die Arbeitszeiterfassung aus. Ließe sich daraus kein Profit erwirtschaften, würde kein Boss seine Untergebenen ermutigen, mehr von ihrer „Persönlichkeit“ für den Unternehmenserfolg dienstbar zu machen.
In der jüngeren Vergangenheit stieg der Anteil der psychischen Erkrankungen wie Burn-out an den Arbeitsunfähigkeitstagen deutlich an. In Zukunft dürfte das Problem nicht kleiner werden. Denn die Subjektivierung von Arbeit verschärft die Ausbeutung. Wobei Ausbeutung nicht meint, dass der Unternehmer die Belegschaft hintergeht. Ganz im Gegenteil: Er zahlt dem Personal den gesellschaftlich durchschnittlichen Gegenwert (also den Tauschwert) aus, den es zur Reproduktion seiner Arbeitskraft braucht. Den darüber hinaus produzierten Rest eignet sich der Unternehmer als Mehrwert an. Ausbeutung entspringt nicht einem Bruch der Regeln des Kapitalismus, sondern ergibt sich aus deren Befolgung. Entfremdung und Ungleichheit werden fortbestehen, solange das Wirtschaftssystem unangetastet bleibt.
Wandel von unten
Lisa Herzog verweist darauf, wo bislang die Verbesserungen herrührten: „Guter Wandel der Arbeit kam meist von unten.“ Es geht ihr somit auch darum, den Klassenkampf dort zu führen, wo es etwas zu holen gibt. Und hier kommen die Frauen ins Spiel. Die Wirtschaft erleichtert ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt nicht aus Empathie, sondern weil sie in ihnen auszubeutende Produktivkräfte sieht. Und die entsprechen den Paradigmen des softskillgetriebenen Unternehmertums mutmaßlich besser als viele ihrer männlichen Kollegen.
Die Feminisierung der Arbeitswelt muss nicht zwangsläufig dazu führen, dass die Brutalisierung des Kapitalismus durch sensible Sprache und flache Hierarchien beschönigt wird. Sie könnte auch die Spielregeln verändern. Privatleben und Erwerbsarbeit unter einen Hut zu bekommen, könnte ins Zentrum der betrieblichen Kämpfe geraten. Ebenso eine Neudefinition der „Vollzeit“, mehr Urlaub, eine strikte Trennung von Erwerbsarbeit und Freizeit, mehr Raum für zwischenmenschlichen Kontakt in Gesundheit und Pflege.
Darüber hinaus ist es eine Frage des politischen Willens, den Niedriglohnsektor zu humanisieren, vor allem durch einen drastisch höheren Mindestlohn ohne jede Ausnahme. Das sind Fragen, die mittelfristig virulenter sein werden als die scheinbar ultimative Befreiung des Menschen von der Erwerbsarbeit durch Maschinen.
Denn die Tendenz, den „ganzen Menschen“ im Beruf zu fordern, führt mit und ohne Roboter zu einer Entmenschlichung der Arbeitswelt. Pfarrerin Elke Räbiger, die den Segensroboter „BlessU-2“ zu Beginn des Jahres in die Kirchengemeinde des westfälischen Oelde holte, sagte dem NDR: „Ich könnte mir vorstellen, dass er an Bahnhöfen steht oder an Flughäfen. Vielleicht sogar in Krankenhäusern, denn dort gibt es ja oft nicht ausreichend Personal.“ Anstatt mehr Menschen und bessere Arbeitsbedingungen einzufordern, sieht eine sich hauptberuflich mit den Nöten des Alltags befassende Geistliche die Lösung darin, dass Kranke Trost von Maschinen erhalten. Wir stehen noch ganz am Anfang.
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