Mit ehrlicher Arbeit ist noch kaum jemand nach oben gelangt – eine Weisheit aus dem „Volksmund“, die auch auf den Bundeskanzler zutrifft. Als Generalsekretär der SPD hielt Olaf Scholz den innerparteilichen Widerstand gegen die Agenda 2010 klein, die dem deutschen Arbeitsmarkt unter anderem einen der größten Niedriglohnsektoren Europas beschert hat. Zuvor legalisierte er als Hamburger Innensenator für Ermittlungen bei mutmaßlichen Drogendealern ein Brechmittel, dessen Einsatz anschließend mindestens einen Menschen das Leben gekostet hat. Auch im Wirtschaftsskandal um Cum-Ex, der den Staat um Milliarden Euro an Steuereinnahmen gebracht hat, spielte er als Hamburger Bürgermeister und späterer Bundesfinanzminister eine unrühmliche
rgermeister und späterer Bundesfinanzminister eine unrühmliche Rolle.Ausgerechnet dieser Kanzler hat nun der Bevölkerung unter ungelenkem Verweis auf das Fußballstadionlied You’ll Never Walk Alone versprochen, niemand werde in der Energiekrise alleingelassen. Ein Autor, der eine Politsatire mit einem solchen Protagonisten ersinnen würde, müsste sich ernsthaft fragen lassen, ob das nicht etwas überspitzt sei. Doch damit nicht genug: Scholz hat noch nicht erklärt, was seine Regierung konkret tun wird, um ökonomischen Schaden abzuwenden. Was daran liegen könnte, dass die FDP mit am Kabinettstisch sitzt; eine Partei, die bislang nicht dadurch auffiel, sich sonderlich für die Anliegen der ärmeren Hälfte der Bevölkerung zu interessieren.Dabei wird Scholz sich wohl jeden Tag freuen, dass er seine Politik mit Christian Lindner abstimmen muss und nicht mit – sagen wir: Klaus Lederer von der Linkspartei. Der ist nicht Bundesfinanzminister, sondern „nur“ Kultursenator in Berlin. Gerade hat er der Bundesregierung vorgeschlagen, Energieunternehmen zu vergesellschaften, um die massiv steigenden Kosten für Gas und Strom abzufedern. Eine Idee, beiläufig geäußert bei einer Senatspressekonferenz, versetzte den „Energieexperten“ Christian Wolf (FDP) sofort in Aufregung. Das sei eine „absurde Forderung“, sagte er dem Boulevardblatt B.Z.Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiertIn der Bundesrepublik steht die Wirtschaftsdemokratie im Ruf, ihre Verwirklichung führe auf direktem Weg in den Gulag. Das liegt an einem jahrzehntelang kultivierten Antikommunismus. Noch mehr aber liegt es daran, dass das Kapital auf der Suche nach profitablen Anlagemöglichkeiten seit den siebziger Jahren dank umfassender Deregulierung und Privatisierung durch den Staat immer mehr Bereiche der Wirtschaft durchdringt. Uralte staatliche Monopole wie Post oder Bahn sind Geschichte, immer mehr Krankenhäuser sollen ökonomisch rentabel sein. Und wenn große Banken sich an den Finanzmärkten verspekulieren, betätigt sich der Staat als Firmenlazarett: Steuergelder reparieren, was das Kapital angerichtet hat. Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert.Darum lohnt sich gerade jetzt eine Debatte über das Ende kapitalistischer Prinzipien in Schlüsselindustrien und in Bereichen, in denen es um Grundbedürfnisse geht wie Gesundheit, Bildung, Wohnen, Mobilität – und Energieversorgung. Eine Vergesellschaftung der Energieriesen wäre allein schon darum richtig, weil der Staat sehr wohl die Preise deckeln und dafür sorgen könnte, dass Vergünstigungen bei den Endkunden ankommen und nicht in den Taschen der Konzerneigentümer landen. Zumal vier Bundesländer erst kürzlich im Bundesrat mit dem Vorschlag gescheitert sind, eine Übergewinnsteuer für Unternehmen einzuführen, die aufgrund des Ukraine-Krieges deutlich mehr Profit generieren als zuvor.Der Staat allein ist freilich nicht die Lösung. In Frankreich verstaatlichte die Regierung Mitterrand in den achtziger Jahren die fünf größten Industriekonzerne, zwei Finanzkonzerne und fast 40 Banken. Trotzdem fand das Kapital damals Wege, um die Politik wirkungsvoll zu bekämpfen. Denn Mitterrand blieb auf halbem Wege stehen. Das staatliche Eigentum ging nicht in die Verwaltung der Werktätigen über. Das ist auch der Grund, warum die staatliche Verwaltung großer Wohnungsgesellschaften in Berlin nicht dazu geführt hat, dass Mieten gesunken und Zwangsräumungen verboten worden wären. Wer also soll die verstaatlichten Unternehmen leiten? Sollen sie Profit erwirtschaften oder gemeinwohlorientiert investieren? Welche Grenzen setzt ihnen der globalisierte Kapitalismus? Vattenfall befindet sich etwa im Eigentum des schwedischen Staates und ist kaum von privaten Konkurrenten wie RWE zu unterscheiden.Wie es besser geht, dazu kursieren in den Sozialwissenschaften viele diskutable Ideen: von Mitarbeitergesellschaften über die gesetzliche Erklärung grundrechtsrelevanter Bereiche für „privateigentumsunfähig“ bis zu demokratisch gewählten und jederzeit abwählbaren Firmenleitungen. Der Kanzler und seine Regierung müssten sich dafür nur einmal durch andere Menschen beraten lassen als jenen „Experten“, denen seit Jahr und Tag nichts anderes einfällt, als möglichst viele Bereiche der Wirtschaft dem „freien Spiel der Marktkräfte“ zu überlassen. Im besten Fall gelangen dann auch in hohe Regierungsämter nicht mehr nur Menschen, die man als fiktive Figuren wegen mangelnder Glaubwürdigkeit aus Serienskripts streichen müsste.