Deutschland vor der sozialen Zerreißprobe: Diese Bundesregierung ist ein Albtraum

Meinung Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner: Sie alle tun so, als sei die gegenwärtige Krise ein Schicksal, über das allein der Kreml bestimmt. Damit stiehlt sich die Ampel-Koalition dreist aus der Verantwortung
Ausgabe 28/2022
Vizekanzler Robert Habeck zeichnet sich bisher nicht durch eine rigorose Bekämpfung von Armut aus, im Gegenteil...
Vizekanzler Robert Habeck zeichnet sich bisher nicht durch eine rigorose Bekämpfung von Armut aus, im Gegenteil...

Foto: IMAGO/ photothek

Bislang ist Robert Habeck nicht dadurch aufgefallen, dass ihm die Bekämpfung der Armut besonders am Herzen läge. Nun war es aber ausgerechnet der grüne Vizekanzler, der vor einem „politischen Albtraumszenario“ warnte. 50 Prozent der Bevölkerung liefen „auf eine Situation zu, in der sie weniger verdienen, als sie ausgeben“. Das werde Deutschland vor eine „Zerreißprobe“ stellen, „wie wir sie lange nicht hatten“. Kurz darauf sagte Kanzler Olaf Scholz bei einem Bürgerdialog: „Die Preise werden nicht schnell wieder sinken, sondern das wird lange ein Problem bleiben.“ Für Regierungsvertreter ist diese Klarheit bemerkenswert, dafür gab es viel Anerkennung. Corona, Krieg, Inflation, Sanktionen: All das sind Preistreiber, die Millionen sogar in relativ reichen Ländern in blanke Existenznot bringen.

Habeck und Scholz vermitteln den Eindruck, bei den Härten handele es sich um ein nur vom Kreml auferlegtes Schicksal. Doch ist die Bundesregierung so machtlos, wie sie erscheinen will? Es steht außer Frage, dass die globale Lage ihren Handlungsspielraum begrenzt. Die Pandemie hat Lieferkettenprobleme verursacht, die nicht den Deutschen anzulasten sind. Für den Personalmangel in vielen Branchen infolge eines hohen Krankenstands ist die Koalition kaum verantwortlich. Nicht zuletzt hat der russische Angriffskrieg für eine Teuerung gesorgt, weil mit der Ukraine ein wichtiger Lebensmittelexporteur militärisch unter Beschuss steht.

Doch ist die Aufrüstung der Bundeswehr für 100 Milliarden Euro die Entscheidung der Bundesregierung. Die Sanktionen gegen Russland waren ihre Entscheidung. Es war ihre Entscheidung, die Gaspipeline Nord Stream 2 nicht in Betrieb zu nehmen. Und es ist ihre Entscheidung, diese Position in Anbetracht der Notlage nicht zu überdenken. Gerade hat das Kabinett eine Reform des „Energiesicherungsgesetzes“ beschlossen. Deren Kern ist die Möglichkeit für Gashändler, die Kosten der Energiekrise an die Verbraucher weiterzugeben. Womöglich dürfen Vermieter ihren Mietern bald vorschreiben, die Wohnung maximal auf 18 Grad zu „heizen“ und Warmwasser zu sparen. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger fordert die Ausrufung eines „nationalen Notstands“, um das Streikrecht der Beschäftigten einzuschränken. Finanzminister Christian Lindner hat Kürzungen bei Leistungen für Langzeiterwerbslose angekündigt.

Gleichzeitig sind vier Bundesländer im Bundesrat mit ihrer Idee einer Sondersteuer auf hohe Zusatzgewinne von Unternehmen durch den Ukraine-Krieg gescheitert. Eine Debatte über die Wiedereinführung der Vermögenssteuer oder eine Erhöhung der Erbschaftssteuer ist nicht in Sicht. Dafür geistert die Forderung durch den Debattenraum, „die Deutschen“ sollten „die Freiheit der Ukraine“ nicht opfern für ihren Komfort.

Doch um wessen Komfort geht es hier? Wer in einer heruntergekommenen Mietwohnung lebt, ist von der Energiekrise anders betroffen als ein Eigenheimbesitzer, der auch noch Solarzellen auf dem Dach hat. Wer mit einer spritfressenden Rostlaube zur Arbeit fahren muss, weil der Mindestlohn zu niedrig ist und weil es im Dorf keinen Bus gibt, ist anders betroffen als ein Start-up-Chef in Berlin-Mitte mit U-Bahn-Anschluss.

Moralische Überlegenheit muss man sich leisten können. Da erscheint es umso dreister, dass Habeck der Bevölkerung empfahl, weniger zu duschen und im Winter die Heizung herunterzudrehen. Eine Bundesregierung, die sich im Angesicht der durch sie mitverschuldeten Katastrophe aus der Verantwortung stiehlt, ist ein politischer Albtraum.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden