Layla und die Liberalen: Triebabfuhr statt Klassenkampf

Debatte Geht es wirklich darum, den „Verbotseifer“ der Linken anzuprangern? Was die Debatte um einen Ballermannsong namens „Layla“ über die Liberalen verrät
Ausgabe 29/2022
So wird das nichts mit Revolution
So wird das nichts mit Revolution

Foto: Jochen Tack/dpa

Youtube als Debattenlagerfeuer fürs Feuilleton? Willkommen in Deutschland! Seit Tagen sitzen Kulturmenschen vor ihren Rechnern und betrachten Männer, die zu den Klängen eines sexistischen Superhits – nennen wir es kulanzhalber: tanzen. In der Süddeutschen Zeitung vermisst eine Autorin „die Suche nach einem Funken Form, wenn es um die Erotik zwischen den Geschlechtern geht“. Im Cicero dagegen sieht ein Autor „eine Minderheit puritanischer Tugendwächter“ am Werk. In der taz beschreibt eine Autorin, die Bilder mit grölenden Kerlen auf Mallorca wirkten auf sie „wie ein durch Urlaub und Alkohol legitimiertes Paralleluniversum“.

Worum es geht? Darum: DJ Robin & Schürze stehen seit Wochen auf Platz eins der deutschen Single-Charts mit einem Lied, in dem das lyrische Ich die Titelheldin besingt, die als „Puffmama“ arbeite und „schöner, jünger, geiler“ sei. Die Stadt Würzburg bat darum, das Chanson auf der örtlichen Kirmes nicht zu spielen, weil es frauenverachtend sei. Skandal um Layla!

Einer der aufschlussreichsten Texte zum Thema erschien in der Welt. Der Autor rät darin zu Gelassenheit, weil sie im Interesse der Herrschenden liege. In Zeiten ökonomischer Zumutungen müsse den „Proleten“ ihr Bierzelteskapismus bleiben: „Wenn man ihnen auch das kleine Vergnügen entzieht, kann das der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.“ Was sagt uns das über den Liberalismus?

Vor wenigen Jahren erschien das Buch Das Reich des kleineren Übels von Jean-Claude Michéa. Seine Prämisse: Heute gelte es als selbstverständlich, dass der „linke“, sich auf Freiheitsrechte berufende Liberalismus und der „rechte“, den freien Markt verabsolutierende Wirtschaftsliberalismus zu trennen seien. Michéa sagt, beide besäßen dieselbe Wurzel. Jede liberale Gesellschaft beruhe auf dem Gedanken, der Staat müsse „neutral“ agieren, die Gesellschaft handele marktförmig ihre Regeln selbst aus. In einer Zeit steigender sozialer Ungleichheit, in der Alternativen zu Marktmechanismen denkbar würden, müsse der Liberalismus immer mehr Kraft aufwenden, um das Rationale als in der Natur des Menschen liegend nachzuweisen. Deshalb werde der Ruf nach mehr rationaler Eigenverantwortung und weniger irrationaler Ambivalenz lauter, je deutlicher die „neutrale Aushandlung“ und der „wertfreie Markt“ versagen. So entstehe eine Gesellschaft, in der auch die privaten Beziehungen und Vorlieben dem Primat des Ökonomischen unterliegen.

„Layla“-Streit zeugt von einer falschen Front zwischen „linken Eliten“ und „Volk“

Bezogen auf das Beispiel Layla bedeutet das: Die Wirtschaftsliberalen attackieren die Linksliberalen für ihren vermeintlichen Verbotseifer. Sie sehen den Eskapismus in Gefahr, der den Lohnsklaven jenes „kleine Vergnügen“ schenkt, das ihren Status als für die wirtschaftliche Verwertbarkeit abgerichtete rationale Wesen sichert. Die Linksliberalen wiederum denken in anderer Weise eiskalt-rational und nicht dialektisch. Als ob Frauenverachtung aus der Gesellschaft effizient verschwände, wenn frauenverachtende Lieder aus Bierzelten verbannt blieben. Warum sie das Kirmes-Aus für Layla in Würzburg gut findet, begründete die Autorin des Textes in der Süddeutschen mit diesem Satz: „Die Stadt entschied sich, so will es der freie Markt.“

Was beide Seiten ausblenden: Wer solche Songs in Bierzelten grölt, wurde über Jahrzehnte hinweg zum Einzelkämpfer gemacht in einer wirtschaftsliberalen Konkurrenzlogik, ohne dass Linksliberale es verhindert hätten. Man kann nicht oft genug daran erinnern, dass es eine Bundesregierung aus SPD und Grünen war, die den Sozialstaat abgebaut, das Gesundheitssystem privatisiert und den Finanzmarkt dereguliert hat. Beide Parteien sind nun wieder an der Macht und planen, die aktuelle Krise auf dem Rücken der ärmeren Bevölkerungshälfte zu managen. So wird das notwendig falsche Bewusstsein von einer Front zwischen „den linken Eliten“ und „dem einfachen Volk“ leider einstweilen fortbestehen und in Bierzelten eher Triebabfuhr mit Layla betrieben werden als Klassenkampf mit der Internationalen.

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