Taugt sie als linke Heldin?

Editorial Über Rosa Luxemburg, die vor 100 Jahren Rechten zum Opfer fiel
Ausgabe 02/2019
Ihre kämpferische Natur sieht man ihr in diesem Jugendbildnis kaum an. Später sollte diese Frau ihren Feinden so sehr Angst machen, dass für sie nur noch die Ermordung infrage kam
Ihre kämpferische Natur sieht man ihr in diesem Jugendbildnis kaum an. Später sollte diese Frau ihren Feinden so sehr Angst machen, dass für sie nur noch die Ermordung infrage kam

Illustration: Oriana Fenwick für der Freitag

Wer ein Jahrhundert nach ihrem Tod an Rosa Luxemburg erinnern will, hat zumindest zwei Möglichkeiten. Entweder rückt ihre Ermordung als logische Folge ihres politischen Handelns in den Mittelpunkt. Das macht es dann schwer, sie nicht als selbstlos für Frieden und Liebe kämpfende Heldin zu inszenieren. Oder das gewaltsame Sterben erscheint vor allem als Versuch ihrer Gegner, das Lebenswerk dieser radikalen Sozialistin in den Hintergrund zu drängen, unschädlich und vergessen zu machen. Das wäre dann eine Haltung jenseits des Mainstreams, der in Luxemburg heute kaum mehr sieht als eine Streiterin für undogmatisches Debattieren und die „Freiheit des Andersdenkenden“.

Was geschehen kann, wenn sich jemand diesem fabrizierten Konsens auch nur zaghaft entzieht, das zeigte soeben eine Berliner Provinzposse. Die in der Hauptstadt mitregierende Linkspartei lud kürzlich zu einer Veranstaltung anlässlich der 100 Jahre zurückliegenden Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in den Festsaal des Abgeordnetenhauses. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Burkard Dregger kritisierte, die Linke zeige „ein politisches Streben, das verfassungswidrig ist“. FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja wiederum sagte: „Ein Ort unserer Demokratie darf nicht für solche Events beschmutzt werden.“ Denn die KPD, so ergänzte ausgerechnet der kürzlich als Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen entlassene Hubertus Knabe, sei eine Totengräberin der Weimarer Republik.

Wer also gegen Antikommunismus ist, der darf den Shitstorm nicht fürchten. Bei der Beschäftigung mit Rosa Luxemburg gilt das umso mehr. Denn da stellen sich heute umso mehr Fragen jenseits des Mainstreams: Wie wurde der Mord an Rosa Luxemburg aufgearbeitet? Was sagt uns ihr Sozialismus-Verständnis noch heute? Und: Taugt sie wirklich als linke Heldin?

Rozalia Luksenburg, 1871 in Zamost in Russisch-Galizien geboren, war erst Polin und später Deutsche ohne jeden Patriotismus, sie war Jüdin ohne Religion, und sie war schon zu Lebzeiten die zentrale Symbolfigur und Hoffnungsträgerin der radikalen Linken. Sie stand und steht für Frieden statt Krieg, Revolution statt Reform, Widerstreit statt Opportunismus. Als promovierte Juristin und geübte Parteischul-Dozentin verband sie habituell wenig mit dem Industrieproletariat, für dessen Selbstbefreiung sie eintrat. Sie war eine Intellektuelle, die in ihren Reden die Säle zum Kochen bringen konnte.

Nicht nur darin finden sich Gemeinsamkeiten zur großen Hoffnungsträgerin der heutigen Linken. Auch Sahra Wagenknecht gilt als brillante Rhetorikerin, belesenste Parlamentarierin und kompromisslos von ihrem Weg überzeugte Politikerin. Sogar ihre vielfach bezeugte Liebe zu Goethes Faust eint Wagenknecht mit Rosa Luxemburg. Letztere habe, so berichtete es der Autor Dieter Ertel in seiner szenischen Dokumentation Der Fall Liebknecht / Luxemburg, in ihrer letzten Stunde in einer Ecke des Dienstzimmers von Waldemar Pabst gesessen und im Faust gelesen.

Der zentrale Unterschied besteht freilich darin, dass Rosa Luxemburg eine Revolutionärin war, während Wagenknecht meint, zunächst müsse der Kapitalismus erträglicher gemacht werden. Während Umfragen zeigen, dass es in Deutschland seit sehr langer Zeit keine linke politische Führungsfigur gab, die bei der Bevölkerung ähnlich beliebt war wie Wagenknecht, ist sie innerhalb des linken Spektrums umstritten, teilweise gar verhasst. Gemessen am Grad an hymnischer Verehrung und abgrundtiefer Verachtung, der Sahra Wagenknecht widerfährt, war Rosa Luxemburg für die einen eine Göttin und für die anderen der Teufel.

Ob Luxemburg nun als Helding taugt oder nicht, das mögen Aktivisten und Journalisten, Politiker und Historiker je nach politischer Vorliebe unterschiedlich beurteilen. In jedem Fall war sie nicht die bequeme Heldin, als die mancher Liberale sie heute gern darstellt. Für Rosa Luxemburg lag das "geschichlich notwendige Ziel" in nichts anderem als einer "Diktatur des Proletariats". Den real existierenden Sozialismus stalinistischer Prägung erlebte sie nicht mehr. So umweht ihre sozialistische Haltung aus heutiger Sicht ein Hauch von friedfertiger Unschuld, in dem die gedankliche Tiefe ihres Werkes nicht untergehen sollte. Die Konsequenz, mit der Rosa Luxemburg für ihre berühmte Losung "Sozialismus oder Barbarei!" einstand, sollte niemanden täuschen. Ihr Lebenskampf galt der Überwindung des Kapitalismus. Notfalls mit Gewalt.

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