Manchmal muss man die Wahrheit aufblasen wie einen Luftballon, damit sie sichtbarer wird. Bei emotional aufgeladenen Themen eignet sich dafür nichts besser als die Satire. In einem Looney-Tunes-Filmcartoon aus dem Jahr 1957 verhandelte Chuck Jones tierethische Fragen am Beispiel „Jäger jagt Hase“: Unter dem Titel What’s Opera, Doc? spielen die Figuren Elmer Fudd und Bugs Bunny im mythologischen Setting die Plots mehrerer Wagner-Opern durch.
Binnen sieben Minuten zeigt sich darin die Absurdität menschlicher Hybris gegenüber dem Tier. Der Jagd-Mythos und der Brünnhilde-Mythos finden zusammen; von dem Hasen Bugs Bunny geht eine libidinöse Anziehung aus, die den Jäger Elmer Fudd erreicht. Nach wilden Szenen aus dem Ring des Nibelungen, dem Fl
des Nibelungen, dem Fliegenden Holländer und dem Tannhäuser passiert am Ende etwas Unerhörtes: Elmer erlegt den Hasen! Zum Walküre-Ritt schleudert er Blitze auf Bugs Bunny, der getroffen niedersinkt und im Regen stirbt. Elmer bedauert seine Tat und trägt den leblosen Karnickelkörper in die Götterburg Walhall. Ehe der Vorhang fällt, wendet sich Bugs ans Publikum: „Sie erwarten von einer Oper doch nicht etwa ein Happy End?“Requisite fürs ForschungslaborOper und Realität liegen nah beieinander. Kürzlich hat das Verwaltungsgericht Berlin eine Entscheidung getroffen, die den Bugs-Bunny-Cartoon in einen aktuellen Kontext leuchten lässt. Die Tierschutzorganisation Peta hatte einen Eilantrag eingereicht, wonach die Staatsoper Berlin bei einer Inszenierung von Richard Wagners Ring des Nibelungen keine lebenden Kaninchen auf der Bühne mehr einsetzen sollte. Dort dienen sie bislang als Requisiten für ein Forschungslabor in Walhall. Was auch so bleiben dürfe, befand die Justiz in ihrem Urteil: Die Kaninchen seien nur eine Viertelstunde auf der Bühne, niemand dürfe die Käfige berühren, und die Lautstärke der Musik sei oben leiser als im Zuschauerraum.Erstaunlich ist an diesem Fall die Reaktion der Staatsoper. Sie teilte mit, trotz des Gerichtsbeschlusses werde man bei der Wiederaufnahme im Frühjahr 2023 nicht nur auf Meerschweinchen (das war ein erstes Zugeständnis) verzichten, sondern auch keine Kaninchen mehr auftreten lassen. Hat man in diesem Haus der hohen Kunst also begriffen, dass es einer Folter gleichkommt, scheue Tiere solchem Stress auszusetzen? Oder handelt es sich um reine Vorsorge aus Angst vor Image-Schäden? So oder so: Es ist ein kleiner Schritt für den Tierschutz, aber ein großer Schritt für alle Tiere in der Unterhaltungsindustrie.Seit der Antike ist der Einsatz lebender Tiere am Theater ein gern genutztes Mittel gewesen. Fanden jahrhundertelang sogar Hetzjagden auf offener Bühne statt, hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert. Inzwischen steht in Spanien sogar der Stierkampf in der Kritik, der bis vor gar nicht allzu langer Zeit als Inbegriff der spanischen Kultur galt. In Katalonien und auf den Kanaren findet er seit Jahren nicht mehr statt. In Deutschland wiederum käme heute niemand mit Herz und Verstand mehr auf die Idee, ein Recht auf Hahnenkampf zu fordern.Es ist erst ein paar Jahre her, da setzte der Theaterregisseur Frank Castorf in seinen Inszenierungen regelmäßig Tiere ein. Anfang der 90er Jahre ließ er in seiner Version von Schillers Die Räuber den Franz Moor lebende Mäuse quälen. Sieben Jahre später standen in seiner Interpretation der Weber von Gerhart Hauptmann dann Ziegen auf der Bühne, die das erbärmliche Dasein der Unterklasse versinnbildlichen sollten. Und in Castorfs Fünf-Stunden-Abend an der Berliner Volksbühne zu Friedrich Hebbels Judith stapfte 2016 noch ein Kamel übers Geläuf. Der Theaterkritik galt das als netter Einfall. Ob es tierethisch legitim sein kann, fragte damals fast niemand.In den vergangenen 20 Jahren lässt sich ein schrittweiser Wandel zu mehr Sensibilität im Umgang mit Tieren im Entertainment beobachten. Im Jahr 2004 tötete der Zoo Kopenhagen ohne nennenswerten Protest ein Giraffenjunges, weil es kein diversifiziertes Erbgut aufwies. Vier Jahre später tötete der Zoo Magdeburg drei Tigerbabys. Untersuchungen hatten gezeigt, dass deren Vater kein reinrassiger Sibirischer Tiger war, sondern einen Sumatra-Tiger in der Ahnenreihe hatte. Damit waren die Babys nicht zur Zucht geeignet und wurden umgebracht. Diesmal gab es Konsequenzen: Das Magdeburger Amtsgericht befand ebenso wie das Oberlandesgericht Naumburg, der Zoo habe kein Recht zur Tötung der Tiger gehabt.Ist einfach nicht artgerechtHeute führen sogar Maßnahmen zu Kritik, die noch vor wenigen Jahren kaum jemanden interessiert hätten. Weil beispielsweise aktuell auf Hiddensee wegen Personalmangels die Busse nicht fahren können, setzt die Verwaltung der Insel auf Pferdekutschen. Bei Spiegel Online läuft diese Nachricht unter der Kuriositätenrubrik „Panorama“, einige andere Medien haben in ihren Meldungen aber wie selbstverständlich auch die Einwände der Tierschützer berücksichtigt. Pferde seien von Natur aus Fluchttiere, die bei lauten Geräuschen instinktiv davonlaufen. Das berge Gefahren, zumal Kutschen nicht über Sicherheitssysteme wie Gurte oder Airbags verfügen. Ganz abgesehen davon, dass dieses Umhergaloppieren für Pferde nicht artgerecht sei.In der Spanne eines menschlichen Lebens vollzieht sich der Fortschritt langsam, doch im historischen Kontext rasen wir in eine Situation, in der sich die Kritik am menschengemachten Tierleid nicht mehr so verlachen und bagatellisieren lässt, wie es jahrhundertelang üblich war. Dass etwa mit Julia Klöckner zuletzt ausgerechnet eine Bundeslandwirtschaftsministerin der CDU, die sich als Lobbypartei der Bauern versteht, ein Verbot des Kastenstandes für Sauen und das Verbot des Kükenschredderns auf den Weg bringen musste, ist allein schon ein Meilenstein auf dem Weg zu einer Welt mit Happy End für ein leidfähiges Tier wie Bugs Bunny.