Wir müssen über Femizide reden!

Gewalt gegen Frauen Es gibt viel zu besprechen. Aber das tun wir nur, wenn die AfD aufschreit, weil es ein Geflüchteter war, der eine Frau tötete
Ausgabe 25/2018
In Deutschland wurden letztes Jahr laut Kriminalstatistik 147 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern umgebracht
In Deutschland wurden letztes Jahr laut Kriminalstatistik 147 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern umgebracht

Foto: Damine Meyer/AFP/Getty Images

Seit dem Mord an Susanna in Wiesbaden werde ich oft gefragt, was ich über Frauenmorde im Islam denke. Ob das „in meinem Kulturkreis“ häufiger vorkommen würde, dass Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind. Ich bin erst einmal etwas überfordert mit diesen Fragen. Dann wütend. Wenn ein Geflüchteter ein Mädchen vergewaltigt, werden alle geflüchteten Männer zu Vergewaltigern und Frauenmördern. Der Islam wird zu einer frauenmordenden Vergewaltiger-Religion. Am Ende der Vergewaltiger-Kette bin ich: Kanake, Schwarzkopf, Bartträger. Vergewaltiger und Frauenmörder?

Ich möchte antworten: „In meinem Kulturkreis, dem Münsterland, sind Femizide zum Glück eine Seltenheit.“ Das Thema ist jedoch zu wichtig, um mit solch einer saloppen Antwort vor Diskussionen zu fliehen. Im Gegenteil antworte ich also: Wir müssen über Femizide reden! Denn die sind im christlichen Abendland genauso ein Problem wie im islamischen Orient. Natürlich ist ein frauenverachtendes Bild ein Grund, warum Femizide verübt werden. Sowohl in migrantischen als auch in deutschen Kreisen.

Reden wir also über Femizide. In einer Kleinstadt bei Bonn stach vergangene Woche ein Mann auf eine Frau ein. Der Grund: Sie hätte sich von ihm getrennt. In den deutschen Medien heißt das übrigens „Beziehungsdrama“ und nicht „versuchter Femizid“. In Deutschland wurden letztes Jahr laut aktueller polizeilicher Kriminalstatistik insgesamt 147 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern umgebracht. Also doch keine Seltenheit.

Wir können auch über Femizide in anderen Kulturkreisen reden. Werfen wir einen Blick nach Lateinamerika. In Argentinien gibt es Massenproteste gegen Femizide, alle 36 Stunden wird dort eine Frau ermordet. Seit 1983 starben zudem wegen des Abtreibungsverbots 3.000 Frauen bei heimlichen Schwangerschaftsabbrüchen. 3.000 Femizide als Folge struktureller staatlicher Gewalt. Zum Glück stimmte das Parlament vergangene Woche für die Legalisierung von Abtreibungen.

Es gibt viel zu besprechen, wenn es um Femizide gibt. Aber das tun wir nicht. Das tun wir nur, wenn die AfD aufschreit, weil es ein Geflüchteter war, der eine Frau tötete. Und dann stehen wir uns zähnefletschend gegenüber: auf der linken Seite die sogenannten „Realitätsverweigerer“, die die Femizide „relativieren“, auf der rechten Seite die „populistischen Hetzer“, die den Femizid nur dann als schlimm empfinden, wenn der Täter Muslim war.

Insofern gebe ich die Fragen gerne zurück: Wie können wir über Frauenmorde in gewissen Kulturkreisen diskutieren, ohne dass die AfD mit den Toten Wahlkampf macht? Wieso können wir nicht Vergewaltigungen von Frauen verurteilen, ohne dass sich der weiße, deutsche Mann vor der Tatsache drückt, dass auch er sexualisierte Gewalt anwendet? Wieso verdammen wir nicht das frauenfeindliche Bild von Männern – und meinen dabei nicht nur das des Irakers Ali B.?

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