Donald Trump hat in den letzten dreieinhalb Jahren viele Verfehlungen begangen. Trotzdem gelang es dem US-Präsidenten lange Zeit den Eindruck zu erwecken, er wäre der Repräsentant einer großen konservativen Wählerschicht, die ihn zur Wiederwahl verhelfen wird. Doch die Unruhen seit der Ermordung von George Floyd und Trumps unmittelbare Reaktion darauf könnten sein Ende im Weißen Haus besiegeln.
Seitdem hunderttausende Amerikaner auf die Straßen gehen und sich manche von ihnen Auseinandersetzungen mit teils entfesselten Polizeikräften liefern, wenden sich selbst prominente Unterstützer von Trump öffentlich ab oder schweigen im Wissen, dass sich der Wind zuungunsten des 73-Jährigen gedreht hat. Trumps Kampfparolen und seine Drohung, das Militär im Landesinnern einzusetzen, sind Ausdruck einer immer größeren Hilflosigkeit.
Die aktuellen Ereignisse, die Aufstände gegen Rassismus und Polizeigewalt, sind für sich genommen keine Ausnahmeerscheinung in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Unruhen als Reaktion auf Rassismus gab es regelmäßig seit den 1960er Jahren. Man denke nur an den "heißen Sommer" von 1967 oder die Ausschreitungen in Miami 1980. Immer wieder waren die gesellschaftlichen und sozialen Spannungen derart stark, dass die USA am Rande der totalen Gewalteskalation standen. Immer wieder erhoben sich vor allem unterdrückte Schwarze und forderten gewaltlos oder auch mit Gewalt mehr Gerechtigkeit in ihrem Land ein.
Diese Unruhen hatten stets einen unmittelbaren Einfluss auf Präsidentschaftswahlen. Studien zeigen, wie sich in den USA in Zeiten von Protesten die Wählerschichten noch stärker spalteten. Die eine Gruppe folgte dem Ruf nach Gesetz und Ordnung, nach "Law and Order", die andere nach mehr Gerechtigkeit und gegen rassistische Diskriminierung. Oftmals profitierten vor allem konservative Kandidaten, weil ihre Wählerschichten angesichts von Ausschreitungen in ihren Städten und Regionen zunehmend mobilisiert wurden.
Trump hat sich bereits dafür entschieden, dass er ähnlich wie Richard Nixon im Zuge dessen erfolgreicher Wahlkampagne 1968 – dem Jahr der Ermordung von Martin Luther King – den Kurs von "Law and Order" einschlägt. Momentan patrouillieren schwer bewaffnete Einsatzkräfte in Washington und sichern Regierungsgebäude ab. Polizisten in Spezialausrüstung gehen derweil gegen Protestierende vor in der Gewissheit, dass ihr Präsident hinter ihnen steht. Trump handelt nicht unbedingt aus klugen wahltaktischen Überlegungen heraus, sondern weil es seinem Instinkt entspricht, den starken Mann zu mimen.
Auf seine Chancen auf eine Wiederwahl im Herbst hat sein Handeln in diesen Tagen allerdings erhebliche Auswirkungen, denn die neueste Forschungen zeigen, dass amerikanische Wähler zunehmend den Amtsinhabern die Schuld geben, wenn es zu Unruhen und gewaltvollen Auseinandersetzungen auf den Straßen des Landes kommt. So spielten etwa die Ausschreitungen in Ferguson und Baltimore nach den Tötungen von Michael Brown und Freddy Grey durch Polizisten 2014 beziehungsweise 2015 Trump selbst in die Karten. Er konnte im Rahmen seiner Wahlkampagne die Idee vermitteln, er würde im Gegensatz zu den damals noch regierenden Demokraten für Sicherheit sorgen und dem Chaos ein Ende bereiten.
Nun allerdings befindet sich Trump in der Rolle des Amtsinhabers. Ihm könnte insofern ein Schicksal wie dem Republikaner George H. W. Bush im Jahr 1992 ereilen. Zur Erinnerung: Am 29. April 1992 sprach eine von Weißen dominierte Gerichtsjury in der Nähe von Los Angeles vier Polizeibeamte frei, die bei der Verhaftung des Schwarzen Rodney King diesen mit 50 Stockschlägen traktiert hatten. Das Video der Tat verbreitete sich rasend schnell. Was nach dem Freispruch folgte, waren fünf Tage Aufstände, die sogenannten "L.A. Riots", bei denen 53 Menschen ums Leben kamen. Einige Monate später verlor Amtsinhaber Bush gegen seinen demokratischen Herausforderer Bill Clinton und musste nach vier Jahren das Weiße Haus verlassen.
Bush hatte bereits vor den Unruhen in Los Angeles mit schwachen Zustimmungswerten zu kämpfen. Aber die Vorfälle, bei denen er auf die Bitte des kalifornischen Gouverneurs Pete Wilson hin militärische Streitkräfte einsetzte, verpassten Bush einen schweren Schlag, von dem er sich bis zum Wahltag nicht mehr erholte. Zeitweilig lagen seine Werte sogar unter 30 Prozent. „Die Aufstände führten zu einem Schwenk hin zur stärkeren Unterstützung der Demokraten bei den Wahlen“, schreiben Ryan Enos, Aaron Kaufman und Melissa Sands in ihrer Analyse für American Political Science Review. Statt das Land stärker zu spalten, sorgten die "L.A. Riots" vor allem für eine Mobilisierung von afroamerikanischen und liberalen weißen Wählerschichten, die den smarten und progressiven Clinton ihre Stimme gaben.
Wenngleich Trumps Herausforderer Joe Biden keine nur annähernd so jugendliche Dynamik wie einst Clinton ausstrahlt, kann er sich als liberaler Gegenspieler zum Hardliner-Präsidenten positionieren. Allerdings ist Trump nicht nur als Charakter einmalig. Auch seine Fähigkeit, einen harten Wählerkern hinter sich zu vereinigen, ist beeindruckend, denn seit knapp zwei Jahren bleiben seine Zustimmungswerte stabil im mittleren bis hohen 40er-Bereich – trotz Amtsenthebungsverfahren und Corona-Krise. Eine solche Konstanz hat es in der modernen Wahl- und Meinungsforschung in den USA noch nie gegeben.
Republikanische Analysten hofften lange, dass Trump mit seinem Talent für Wahlkampfinszenierung noch die letzten Prozentpunkte herauskitzelt. Die Ereignisse nach der Ermordung von George Floyd könnten diese Hoffnungen allerdings vernichten. In einer Reuters/Ipsos-Umfrage letzte Woche erklärten 64 Prozent ihr Wohlwollen gegenüber den Demonstranten. 55 Prozent missbilligen, wie Trump mit den Unruhen umgeht, davon 40 Prozent sogar stark.
Genau wie 1992 sitzt ein unbeliebter Präsident im Weißen Haus, gegen den sich afroamerikanische und generell liberale Wähler nun erst recht mobilisieren, während sich christliche und moderat-konservative Wähler langsam abwenden. Der Spuk könnte bald ein Ende haben.
Kommentare 9
Wo haben Sie denn abgekupfert?
»Trump hat sich bereits dafür entschieden, dass er ähnlich wie Richard Nixon im Zuge dessen erfolgreicher Wahlkampagne 1968 – dem Jahr der Ermordung von Martin Luther King – den Kurs von "Law and Order" einschlägt. Momentan patrouillieren schwer bewaffnete Einsatzkräfte in Washington und sichern Regierungsgebäude ab.«
Schon clever, wie ihr das macht: Möglichst viele negative Assoziationen der Bevölkerung züchten, möglichst viele diffuse Irrationalismen mobilisieren – und das möglichst unisono als Kampagnen-Journalismus, schreibt offensichtlich voneinander ab.
Richard Milhous Nixon war ein US-amerikanischer Politiker der Republikanischen Partei und von 1969 bis 1974 der 37. Präsident der Vereinigten Staaten. Infolge der Watergate-Affäre trat Nixon als bisher einziger US-Präsident der Geschichte von seinem Amt zurück. – Die Assoziation Richard Nixon ist allgemein negativ besetzt, das ist es, was ihr methodisch/didaktisch gezielt einsetzt und ist die Fortsetzung des monströs/perversen Vergleichs von euch Kampagnenjournalisten der US-amerikanischen Corona-Toten und den gefallenen Amerikanern in ihrem verkommenen Vietnamkrieg.
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Hubert Wetzel, USA-Korrespondent der SZ, war der erste:
»Trump kupfert bei Nixon ab. Wie das funktioniert, kann man gut anhand von Trumps Reaktion auf die Demonstrationen und Krawalle studieren, welche die USA überrollt haben. Der Präsident weiß, dass gerade
seine konservative, weiße Kernwählerschaft das mit Grausen sieht, vor allem die Plünderungen. Deswegen hantiert er mit Begriffen, bei denen er sicher sein kann, dass sie bei seinen Anhängern Angst und Empörung anheizen: Terrorismus, linksradikale Verbrecher, Antifa, Chaos. Dem setzt er ein Versprechen gegenüber: Recht und Ordnung. "Law & Order" ist eine Phrase, die sich derzeit in vielen Trump-Tweets findet.
Damit kupfert Trump bei Richard Nixon ab. Der Republikaner hatte 1968 ebenfalls mit diesem Slogan Wahlkampf gemacht - sehr erfolgreich. Und Trump verwendet noch einen zweiten Begriff, der Ende der Sechzigerjahre von Nixon benutzt wurde: "silent majority". Wie einst Nixon behauptet auch Trump, er vertrete die "schweigende Mehrheit" – den größeren Teil der Amerikaner also, die nicht laut und gewalttätig protestieren.«
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Es folgte Karl Doemens. Der RND-Korrespondent Washington (USA), unterstellt in den Ruhr Nachrichten am 06.06.2020
»den gezielten Versuch des Präsidenten, die Unruhen zu eskalieren und für seinen Wahlkampf auszunutzen. Es ist offensichtlich, dass er sich im Taktikhandbuch von Richard Nixon bedient – Trumps Satz „Ich bin der Law-and-Order-Präsident“ ist direkt von Nixon übernommen. Weil viele Wähler die Krawalle von 1968 ablehnten, gewann damals der Republikaner Nixon, der sich als harter Hund gab. Es ist aber nicht sicher, dass das Trump auch so gelingen wird.«
Ihr betreibt Sensationsjournalismus – und selbstverständlich eskaliert ausschließlich Herr Trump. Wie heißt es bei Ihnen: »Allerdings ist Trump nicht nur als Charakter einmalig.«
»…seit knapp zwei Jahren bleiben seine Zustimmungswerte stabil im mittleren bis hohen 40er-Bereich – trotz Amtsenthebungsverfahren und Corona-Krise.«
Amtsenthebungsverfahren? Der US-Senat hat Donald Trump in der Ukraineaffäre freigesprochen, die Demokraten sind mit dem Amtsenthebungsverfahren gescheitert. Und das Amtsenthebungsverfahren hat euren Schmierenjournalismus entlarvt, mit dem ihr Trump eine Russland- und eine Ukraine-Affäre angedichtet, aber nie bewiesen habt. – Offensichtlich hat sich die US-amerikanische Öffentlichkeit von dem Machwerk wenig beeindrucken lassen.
Die Tage der (wirklichen) Entscheidung sind nicht jetzt, sondern im November und Dezember – vorausgesetzt, der Stand der aktuellen Umfragen, denengemäß Biden rund fünf Prozent vorne liegt, perpetuiert sich – wovon derzeit auszugehen ist – in den Herbst fort.
Bis dahin fließt den Mississippi noch einiges an Wasser hinunter – Zeit, die Trump nutzen wird, auch in Sachen Wahlrecht, Wahlzulassungen etcetera seine Chancen nach Kräften zu optimieren. Dass es in Wirklichkeit ziemlich unrosig aussieht und die US-Demokratie bereits jetzt im Begriff ist, den Bach runterzugehen, ist in diesem Artikel dargelegt. Wichtigstes Fazit dort: Der Demokratie-Index des britischen Magazins Economist stuft die USA als »unvollständige Demokratie« ein und listet sie zwischenzeitlich auf Platz 25.
Persönlich tendiere ich zu der düsteren Prognose, dass Trump sich im Fall einer (absehbaren) Wahlniederlage nicht mit dem Ergebnis abfinden wird. In Sachen Demokratiekrise in den Vereinigten Staaten halten Wissenschaftler, die sich auskennen (unter anderem der Soziologe Torben Lütjen in seinem aktuellen Buch »Amerika im Kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert.«), das Intervall zwischen November (Wahl) und Januar (Amtseinführung) für potenziell das Brisanteste.
Sicher – es kann auch anders kommen; wir sollten nicht zu eitel und siegesgewiss sein. Im Fall einer Wiederwahl wird Trump erst recht versuchen, das System zu seinen Gunsten umzubauen. Die Polarisierung wäre dadurch natürlich nicht abgestellt (eher im Gegenteil). Realistisch einpreisen muß man in dem Fall allerdings die Widerstandskräfte, die sicherlich nicht unendlich sind. Das solideste Bollwerk gegen Trump ist aktuell die Demographie – konkret: der Anteil der Non-Whites an der Gesamtbevölkerung und die weiter zunehmende Urbanisierung. Gerade deswegen ist die Geschichte a) hochbrisant, b) eine Entwicklung, wo sich schlecht sichere Prognosen abgeben lassen. Fazit: Hoffen wir das Beste und schauen uns die Entwicklung dort weiterhin mit wachen Augen an.
>>Die Tage der (wirklichen) Entscheidung sind nicht jetzt, sondern im November und Dezember – vorausgesetzt, der Stand der aktuellen Umfragen, denengemäß Biden rund fünf Prozent vorne liegt, perpetuiert sich – wovon derzeit auszugehen ist – in den Herbst fort.<<
Diese Umfrageergebnisse würden mich schon mal interessieren. Sind die realistisch genug? Das amerikanische System hat bei der letzten Wahl hervorgebracht, dass Clinton mehr Stimmen erzielte als Trump und trotzdem verlor. Sie hatte einen Vorsprung von 2,8 Millionen Stimmen.
Für manche ist dieser Sachverhalt komplex. So hat der Correctiv-Mitgründer David Schraven damals nach der Wahl geschrieben:
>>Nun ist es vorbei und fast amtlich. Donald Trump hat die US-Präsidentschaftswahlen verloren. Hillary Clinton hat gewonnen. (...) Trump: ein anderes Wort für mieser Verlierer.<<
»Diese Umfrageergebnisse würden mich schon mal interessieren. (…)«
Die wurden, ohne dass ich jetzt nochmal nach Links krimskrame, Ende letzter Woche bei tagesschau.de berichtet; denke allerdings, das ist der generelle Trend. Inwieweit das was aussagt über die reellen Abwahlchancen, weiß ich nicht. Man muß das Wahlsystem mit einpreisen. In Sachen tiefergehender Einschätzung empfehle ich zur Abwechslung mal einen CDU-Mann (Norbert Röttgen) sowie den Chefredakteur des Tagesspiegel (--> letzte Anne-Will-Sendung).
Kurzum: Ich bin ebenfalls nicht der Meinung, dass die Kuh bereits vom Eis ist. Ebenso glaube ich kaum, dass die liberalen US-Medien sich nochmals so ein Berichterstattungs-Desaster erlauben wie 2016. Also: Man darf gespannt sein.
"Für manche ist dieser Sachverhalt komplex."
Das Ding heisst unter anderem neben Wahlmännern Gerrymandering.
Gerrymandering, eine Gepflogenheit, die in den USA besondere Blüten treibt. So soll es tatsächlich immer wieder Absprachen zwischen den Demokraten und den Republikanern geben, die Wahlkreise so zu formen, dass vorher schon klar ist, welche Partei gewinnt. Der Oberste Gerichtshof billigt diese Gepflogenheit, wenn der Einteilung politische und nicht rassistische Motive zugrunde liegen. Neue Parteien bleiben chancenlos. Das Establishment kapselt sich ein. Deshalb ist es zweispältig, wie auch hier im Artikel praktiziert, Demokraten und Republikaner dichotomisch gegenüberzustellen.
In den demokratischen USA zählen nicht Stimmenmehrheiten, sondern Repräsentanten-Mehrheiten und der Grundsatz "The winner takes all!".
Der US-Präsident wird nicht auf nationaler Ebene gewählt, sondern in den einzelnen Bundesstaaten. Diese entsenden je nach Bevölkerungsgröße eine bestimmte Anzahl von Wahlmännern und -frauen ins Electoral College. Dort sind 270 Stimmen nötig, um die Präsidentschaft zu gewinnen. Der Kampf ums Weiße Haus ist daher in der Praxis ein Kampf um einzelne Bundesstaaten, in denen die Kandidaten eng beieinander liegen.
Diesen Josef Biden, der zusammen mit William Clinton das rassistische Gefängmissystem der USA beförderte, als Retter hinzustellen ist nun wahlich etwa daneben. Abgesehen davon, daß dieser Herr bisher als ein eifriger Fördrer volkerrechtswidriger Interventionskriege hervorgetreten ist.
Ja, schwer zu sagen wer in solchen Wahlen als Pest, und wer als Cholera zu sehen ist.