Zelai Nikolas Ezkurdia träumt davon, dass die Basken so zahlreich und leidenschaftlich mit Holzlöffeln auf Töpfe und Pfannen schlagen, dass ihr Protest in Madrid nicht zu überhören ist. Doch in Bakio an der Bizkaia-Küste unweit von Ezkurdias Wohnort ist an diesem Abend nur das Gurgeln des Atlantiks zu hören. Die 49-jährige Ezkurdia sitzt bei einer Tasse Tee in der Pizzeria La Parra und trägt einen duftenden Seidenschal auf den Schultern. Wer sich eine baskische Separatistin als Guerillera vorstellt, dürfte enttäuscht sein, doch verwendet sich ihr Verband Gure Esku Dago (Es liegt in unseren Händen) seit Beginn der Katalonien-Krise für Solidaritätsmeetings und ruft zu den „Caceroladas“ auf, dem abendlichen Topfschlagen.
Tausende Basken ziehen dann durch die Straße, um sich den Katalanen verbunden zu fühlen. Manche beteiligen sich von Balkonen aus am lärmenden Protest. Die Angst, sich politisch zu äußern und das auch noch öffentlich, sitze tief in den Köpfen der Basken, meint Ezkurdia. Jahrzehnte der Gewalt würden nachwirken. Der von der separatistischen Partei EH-Bildu tolerierten baskischen Regierung der bürgerlich-nationalistischen PNV gehe es derzeit kaum anders. Niemand könne abschätzen, wie weit man gehen könne. Immerhin habe der baskische Ministerpräsident Iñigo Urkullu gedroht, der Minderheitsregierung des Konservativen Mariano Rajoy die Zustimmung zum Haushalt 2018 zu verweigern, sollte es zu keiner politischen Lösung mit Barcelona kommen. Ansonsten halte sich die Regierung der Autonomen Gemeinschaft Baskenland zurück, so Ezkurdia. „Ich glaube, es gibt die Angst, dass Madrid gegen sie vorgehen wird, sollte es nur irgendeinen Grund dafür geben.“ Es gehe die Furcht um, dass die Regierung Rajoy zum Angriff auf jede Form der Dezentralisierung Spaniens blase. Ezkurdia spricht bei Katalanen und Basken nur vom „wir“, beim Rest Spaniens vom „sie“.
„Nach der Zerstörung von Guernica durch die deutsche Luftwaffe am 26. April 1937 sind unsere Kämpfer nach Katalonien gezogen, um dort gegen den Feind zu kämpfen und die Republik zu verteidigen“, erzählt Ezkurdia. Ihr Großvater sei damals Teil der baskischen autonomen Regierung gewesen, sodass die Familie nach dem Sieg der Franco-Truppen im Baskenland geächtet wurde. Für viele Basken seien die Repressionen nach dem Tod Francos 1975 nicht zu Ende gewesen. „Diejenigen, die unter der ETA gelitten haben, erhalten Entschädigung. Diejenigen aber, die von der GAL ermordet oder gefoltert worden sind, bekommen gar nichts.“
Die Grupos Antiterroristas de Liberación, kurz GAL, stehen wie ETA für ein Trauma der jüngeren baskischen Geschichte. Die verdeckt agierenden Paramilitärs jagten und töteten im Auftrag des Staates zwischen 1983 und 1987 Dutzende tatsächlicher oder vermeintlicher ETA-Mitglieder. Auch mutmaßliche ETA-Sympathisanten gerieten ins Visier. Die sozialistische Regierung von Felipe González muss die Feldzüge der GAL zumindest gebilligt haben, sind sich Historiker einig.
Die Katalanen seien lange naiv gewesen in ihrer Sicht auf den spanischen Staat, meint Ezkurdia. „Unsere baskische Regierung hat 2010 mit dem Plan Ibarretxe schon einmal ein Projekt vorgelegt, wie eine Autonome Gemeinschaft innerhalb Spaniens zu mehr Eigenständigkeit kommen könnte. Madrid hat das prompt abgelehnt.“ Hoffnung gebe es nur, sollte die EU der Idee von Konföderationen anstelle der heutigen Nationalstaaten nähertreten. „Wir sind bereit, darüber zu verhandeln, aber nicht mit einem Staat, der jederzeit unter Berufung auf die Verfassung seine Armee vorbeischicken kann.“
Es stellt sich die Frage, sollte Katalonien das Baskenland infizieren, könnte dann ETA ihre seit 2011 unbefristete Waffenruhe aufkündigen? Allerdings haben die Basken ETA selbst in die Schranken gewiesen, nicht der spanische Staat allein. Und der liefert gerade denen Argumente, die nicht an eine friedliche Konfliktlösung glauben.
Bomben vergisst man nicht
Während der Atlantik in der Bucht von Bakio das Land mit seinen Brechern zu verschlingen scheint, geht er mit der Promenade von San Sebastián behutsamer um. Wie in Nordirland Katholiken ein- und dieselbe Stadt Derry nennen, Protestanten aber von Londonderry reden, heißt San Sebastián für patriotische Basken Donostia, ansonsten San Sebastián. Auf den meisten Ortsschildern folgt hinter dem baskischen Namen die im Ausland geläufige spanische Bezeichnung der Stadt.
Unweit der Kathedrale reibt sich der 42-jährige Urtzi Errazkin den Schlaf aus den Augen. Sein Mitstreiter Naike Diez bestellt ihm einen doppelten Cortado. Beide sind Mitglieder der Organisation Etxerat, was auf Baskisch „heimwärts“ bedeutet. Diese betreut Familienangehörige in spanischen oder französischen Gefängnissen. Errazkins jüngerer Bruder Ugaitz wurde als ETA-Mitglied verhaftet – der Vater von Naike Diez, weil er sich in der verbotenen Partei Herri Batasuna engagiert hat, die lange als politischer Arm von ETA galt. Errazkin ist erst gestern von einem Besuch bei seinem Bruder in einer Pariser Haftanstalt zurückgekehrt. Ihn beunruhige die Ahnung, dass Katalonien die Lage von ETA-Gefangenen weiter verschlechtern werde.
„Alle paar Wochen“, erzählt der 42-Jährige, „komme ich von der Arbeit, packe meine Sachen, setze mich ins Auto, um 650 Kilometer zu fahren und meinen Bruder zu sehen.“ Seine Familie sei groß, also könne man sich abwechseln. „Andere gehen jedes Wochenende auf Tour, um Gefängnisse zu erreichen, die Hunderte Kilometer entfernt liegen. Immer wieder schlafen manche am Steuer ein. Wir haben in unserem Verband den Tod von 16 Mitgliedern zu beklagen, die auf solchen Fahrten bei Unfällen ums Leben kamen.“ Spanien verlange von Frankreich, festgenommene ETA-Mitglieder in Gefängnissen weit von der Grenze entfernt unterzubringen, sagt Errazkin.
Während Großbritannien 1998 nach dem Karfreitagsabkommen über Nordirland Amnestien für IRA-Kämpfer verkündet hat, blieb Vergleichbares im Baskenland völlig aus. ETA hält sich seit 2011 an einen Waffenstillstand, ohne dass Madrid auch nur im Traum an Gespräche oder die Begnadigung von Gefangenen denkt.
Der Streit um Katalonien kann dazu führen, dass die Regierung Rajoy keinen Anlass sieht, über die international umstrittenen Haftbedingungen für ETA-Gefangene nachzudenken, fürchten die Aktivisten von Etxerat. „Die Art des Umgangs mit einem Konflikt ist stets ein Zeichen an die Gesellschaft, dass Kompromisse unerwünscht sind“, sagt Naike Diez. Sein Großonkel sei im Bürgerkrieg als Kommunist erschossen worden. Die Familie galt unter Franco als „rot“ und finde sich im Baskenland erneut auf der Verliererseite wieder. Wo Wert darauf gelegt werde, dass es Gewinner und Verlierer gebe, liege die Saat für Gewalt, fürchtet Diez. „Für uns ist es im Grunde so, als hört der Bürgerkrieg einfach nicht auf.“
In Bilbao, der größten Stadt des Baskenlandes, liegt unweit der Plaza Federico Moyúa das Hotel Ercilla. Der Polizist Josu Puelles betritt die Lobby im offenen Jeanshemd und genehmigt sich ein Bier, als müsste er seine Zunge lockern, bevor er erzählt, dass sein Bruder Eduardo am 19. Juni 2009 in seinem Auto verbrannte. Es war die letzte Autobombe der ETA, die den 39-Jährigen tötete. Wie Puelles damals fühlte, was er heute empfindet, will er nicht verraten. Er bezeichnet sich als normalen Menschen aus einer normalen Familie, der Terroristen eben Schreckliches angetan hätten. „Nichts Ungewöhnliches hier“, sagt Puelles. Als Vizepräsident des Opferverbandes Covite setzt er sich dafür ein, dass es für die Verwandten von Naike Diez und Urtzi Errazkin niemals einen Strafnachlass geben wird. Das Gift der ETA zersetze die baskische Gesellschaft bis heute. „Zur ETA gehören nicht nur bewaffnete Kriminelle. Reisen Sie bei uns aufs Land, dort gibt es Dörfer, da traut sich noch immer keiner, bei Wahlen für eine nichtnationalistische Partei anzutreten. Da werden weiter die Mörder gefeiert.“ Die baskische Gesellschaft stehe erst am Anfang einer Selbstreinigung. Es bedürfe einer harten Hand, glaubt der Polizist.
Ist also der Weg falsch, den die britische Regierung seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 in Nordirland eingeschlagen hat? „Dort gibt es noch immer Gewalt – nicht so bei uns.“ Auf Nachfrage meint Puelles, mit „uns“ meine er die gesetzestreuen Bürger, die sich zu Demokratie und Verfassung bekennen. Wer im Baskenland und nun in Katalonien das Recht in die eigenen Hände nehme, dem müssten Grenzen aufgezeigt werden. „Warum sollte es ein Problem sein, wenn die Armee diejenigen in Katalonien schützt, die zur Verfassung stehen? Das hat sie im Baskenland auch getan.“ Und dann erzählt er doch, was der Verlust des Bruders in seinem Leben verändert hat. Er habe seine Nächte mit Geschichte und politischer Theorie verbracht, um zu verstehen, warum sein Bruder sterben musste. Dabei habe er gelernt, dass der Nationalismus der Basken und Katalanen nichts anderes sei als eine Kopie der deutschen Romantik. „Eine Ausgeburt von Intellektuellen, die angewidert von der Industrialisierung etwas erträumten, was andere später Volksgemeinschaft nannten.“ Die historischen Begründungen für den Unabhängigkeitstaumel der Katalanen seien Mythen.
„Meine Familie ist während der Industrialisierung ins Baskenland gezogen, so wie die Vorfahren der Hälfte aller Leute hier. Und dann haben sich die Basken im Bürgerkrieg schneller mit Franco arrangiert als alle anderen.“ Puelles will nicht falsch verstanden werden, er sei kein Neofranquist, sondern liberaler Demokrat. Nur die historischen Lügen, die für andere – vielleicht schon am Tisch nebenan – unverrückbare Wahrheiten seien, die lehne er ab. Spanien dürfe nicht nachgiebig sein gegenüber denen, die ihren Opferkult über das Gesetz stellen, egal, ob es sich um Basken oder Katalanen handle.
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