Dieses Buch durchzieht eine Rhetorik des „wir“ gegen „die“, die en vogue ist und nicht nur von Rechten bedient wird. Denn in Eure Heimat ist unser Alptraum geht es um Unterschiede von Deutschen und Ausländern. Vorherrschend ist ein ethnizistischer Blick, der abweichende Erfahrungen von Menschen mit Migrationshintergrund unterschlägt.
Denn „wir“ sind auch nicht alle gleich. Ich bin in Duisburg geboren. Und ich habe auch so meine Erfahrungen sammeln dürfen, die mich an der Zugehörigkeit zu Deutschland haben zweifeln lassen. Das führte mich in jungen Jahren zum Traum einer staaten- und klassenlosen Gesellschaft – nicht in die Identitätspolitik. Schon damals haben mich Ansätze wütend gemacht, die aus mir einen Türken machen wollten. Oder einen Ausländer. Wo sonst als in Deutschland hätte meine Heimat sein sollen? Im regelmäßigen Urlaubsland? Im türkischen Fernsehen? Aber ja, ich hatte auch meine Zweifel und wusste nicht, wo ich stehe. Aber als ich dann für die Verteidigung der Demokratie und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung eintrat, lag das auch an einem Denken, das Unterschiede theoretisch leugnet, praktisch aber ständig betreibt. Das führt dann zu solch unterkomplexer Folklore: „Doch um ehrlich zu sein: Wenn ich mich umschaue, sehe ich in diesem Land niemanden, der so hart arbeitet wie Migrant_innen. Niemanden. An Burn-out aber leiden immer nur die Deutschen“, schreibt Fatma Aydemir, eine der beiden Herausgeberinnen.
Aha. Mal abgesehen davon, das man bei hart arbeitenden Migranten oft nicht weiß, worunter sie leiden, weil das Sprechen über psychische Probleme in ihrer Herkunftskultur verpönt ist: Mich ärgert es, wenn Leute ihre kulturelle Herkunft einerseits überbetonen, jegliches Recht auf Herkunftsverweise aber Deutschen (wie mir), andererseits absprechen wollen. Mich ärgert es, weil in Deutschland geborene Kinder von Menschen mit Migrationserfahrung im Jahr 2019 einfach nicht mehr behaupten können, frei von deutscher Kultur zu sein. Das würde an Selbstleugnung grenzen. Würde man sich selbst eines Stereotyps bedienen wollen, könnte man sagen: Genau diese ständige Nörgelei ist etwas, das die Autorinnen und Autoren durch ihre deutsche Sozialisation mit der Muttermilch aufgesaugt haben. Gepaart mit Weltschmerz. Souverän klingt anders.
Und so geht das weiter: Hengameh Yaghoobifarah, die andere Herausgeberin, bezeichnet Menschen als Kanaken. Allerdings nicht alle, und sie gibt dieses Recht es zu tun auch nicht jedem: „Ja, es ist rassistisch, wenn weiße Personen den Begriff nutzen. Nur weil ich es tue, heißt es nicht, dass weiße Deutsche es können“. Ihr Beitrag, der wie eine Seminararbeit aus den Post Colonial Studies klingt, beklagt das rassistische Unterscheiden („Othering“) von Menschen. Dabei tut sie so, als wenn das etwas wäre, das ausschließlich von weißen Menschen betrieben wird.
Sasha Marianna Salzmann bezeichnet Assimilation als Weg ins Verderben, und klingt dabei wie Erdoğan. Deniz Utlu klingt nicht wie Erdoğan. Doch er greift die NSU-Morde und das verlorene Vertrauen Türkeistämmiger in deutsche Sicherheitsbehörden auf, um bei rassistischen Potentialen zu landen. Der Vertrauensverlust erschöpft sich aber nicht mit dem NSU. Weder der Anschlag vom Breitscheidplatz noch die erhöhte Zahl von Tötungsdelikten an Frauen scheinen in Utlus Erfahrungswelt vorzukommen. Zum Glück gibt es Beiträge, die eine andere Tonart anschlagen. Da wäre etwa Sharon Otoo, die ihren Sohn Tyrell zu Wort kommen lässt: „Mein Zuhause ist ein Ort, für den ich gekämpft habe. Ich habe gekämpft, damit ich mich wohlfühlen kann, Berlin als meine Heimat zu bezeichnen. Diesen Kampf zu führen ist Teil meiner Heimat geworden. Inzwischen liebe ich es.“ Nicht jede Kritik an einer Gesellschaft ist bloße Nörgelei. Es gibt auch berechtigte Kritik an Schulwesen und Arbeitsmarkt.
Aydemir schließt mit einem German Dream, der gewollt provozierend klingt, aber in ihrem Fall schon nahe an der Verwirklichung ist: „Ich will den Deutschen ihre Arbeit wegnehmen. Ich will nicht die Jobs, die für mich vorgesehen sind, sondern die, die sie für sich reservieren wollen – mit der gleichen Bezahlung, den gleichen Konditionen und den gleichen Aufstiegschancen.“
Die Karrierechancen für jemanden wie Aydemir sind in Deutschland 2019 glücklicherweise nicht so schlecht. Wäre es anders, wäre ihr Band nicht im renommierten Ullstein-Verlag erschienen, sondern allenfalls in einem Nischenverlag. Nur Schade, dass sie ihr Geschäftsmodell auf einem Freund-Feind-Denken baut, dass in der Welt gerade sein Unwesen treibt.
Info
Eure Heimat ist unser Albraum Fatma Aydemir, Hengameh Yaghoobifarah (Hg.) Ullstein Verlag 2019, 208 S., 20 €
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