Wie Fremd sind uns „die Flüchtlinge“?

Fremdenfeindlichkeit Deutschland ist Multi-Kulti und bunt, beteuern wir alle - aber wie viel Farbe verträgt inzwischen das deutsche Leitbild?

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Die letzten Krisenzeiten haben tiefe Spuren in unserem Leben hinterlassen, die Angst vor allem Erdenkbaren: 11. September, War on Terror,Irakkrieg, Fukushima, Klimakrise, Energiekrise, Finanzkrise, Euro-Krise, Griechenlandkrise, Terror in Paris. Und nun: die Flüchtlingskrise. Das Flüchtlingsproblem ist nicht nur ein Problem des Sommers 2015; es hat sich inzwischen zur Herausforderung des 21. Jahrhunderts entwickelt.

Wer sich mit Migrationsthemen beschäftigt, weiß, dass die Migrationsbewegungen für die Zielländer soziale, politische und wirtschaftliche Folgen mit sich bringen. Wenn es um Kriegsflüchtlinge geht, dann kommen noch einige zusätzliche Probleme hinzu.

Im vergangenen Sommer hat Angela Merkel den Menschen in der Not die Tür geöffnet. Es waren schöne Bilder: Tausende Flüchtlinge stiegen am Münchner Hauptbahnhof aus den Zügen und wurden von vielen Menschen mit Blumen und Plakaten begrüßt.

Zunächst waren die Flüchtlinge aus unserer Sicht „Freunde“, weil Merkel Deutschland ein soziales und ein freundliches Gesicht schenken wollte. Das ging ein paar Wochen gut, aber inzwischen ist das deutsche Gesicht verkniffen. Es war der Beginn von dem, was einen Augenblick lang aussah wie ein Sommermärchen und nun vor allem Flüchtlingskrise genannt wird. Seit Monaten steht die Kanzlerin unter Druck, die Zahl der Flüchtlinge zu senken.

Während die CDU-Chefin aber mit der Flüchtlingskrise beschäftigt ist, flirtet ihre Schwesterpartei CSU heimlich mit Russland. Nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. An vorderster Front befindet sich wie so oft CSU-Chef Horst Seehofer. Seit Monaten befeuert er die Debatte mit rechtspopulistischen Tönen gegen Merkel, nun droht sie mit einer Klage gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Merkel wird also nicht durch die Flüchtlingsdebatte geschwächt, sondern durch die Kritik ihrer Schwesterpartei CSU, und durch ihre Partei-KollegInnen. Über Helmut Schmidt wurde einmal gesagt: Guter Mann, leider in der falschen Partei. So ist es nun wieder. Angela Merkel: Große Kanzlerin, leider in der falschen Partei.

Wendepunkt der Flüchtlingsdebatte

Eine (Silvester)nacht hat ausgereicht, um das Thema in eine andere Richtung zu lenken. Dieser Vorfall hat in Deutschland politisch, gesellschaftlich und medial kontroverse Reaktionen ausgelöst. Köln wird als Wendepunkt der Flüchtlingsdebatte in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen. Plötzlich sind die Flüchtlinge in einer Nacht von „Freunden“ zu „Fremden“ geworden und gleichzeitig eine Gefahr für die Gesellschaft. Der Karneval hat zahlreiche internationale und nationale Medien nach Köln gelockt, - wie eine Katze, die auf eine Maus wartet - in der Hoffnung, dass wieder etwas geschieht.

Da die Bundesregierung in den letzten Monaten keine konkrete Lösung gefunden hat, war Merkel diese Woche zu Besuch in der Türkei, um mit Präsident Erdoğan über das Thema der Flüchtlingswelle zu verhandeln. Die EU-Länder fordern, dass die Türkei die Grenzen in Richtung Europa künftig deutlich besser kontrollieren solle, damit die unkontrollierte Migration von Flüchtlingen aus Ländern wie Syrien weitgehend gedämmt werden könne. Die Türkei ist inzwischen in der Flüchtlingskrise eine Hoffnung für ganz Europa geworden. Offensichtlich will die EU in der Flüchtlingskrise das Problem nach außen verlagern, indem sie der Türkei Milliarden anbietet. Im Gegenzug wird versprochen, die lange Zeit quasi eingefrorenen EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Kandidatenland vorantreiben zu gedenken. Die Aufgaben werden buchstäblich der Türkei zugeschoben und die EU-Länder denken, dass die Türkei das Problem allein aus der Welt schaffen kann, was die gesamte EU bis jetzt nicht gemeinsam geschafft hat.

Es ist eine Illusion zu glauben, dass wir unsere Arbeit gemacht und das Flüchtlingsproblem bewältigt ist, indem wir der Türkei Geld geben.

Nein!

So leicht ist es nicht!

Es können tausende Kilometer mit Mauern und Gittern gegen die Menschen erbaut werden. Weder die Mauern, noch die Gitter können die Menschen hindern, vor Krieg, Hunger oder Tod zu fliehen.

In einem Flüchtlingszentrum hatte ich einem Syrer die Frage gestellt: Was könnte die Flüchtlinge überhaupt aufhalten, um nach Europa zu kommen? Nach kurzem Überlegen sagte der junge Mann:

„Tod“, „Ja, nur der Tod kann uns stoppen“.

Deutschland ist Multi-Kulti und bunt, beteuern wir alle - aber wie viel Farbe verträgt inzwischen das deutsche Leitbild?

Von der Willkommenskultur bis zum Schießbefehl

Nach den Vorfällen in Köln haben einige das Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen gegossen. Deshalb werden die Flüchtlinge aus deren Sicht als „Feinde“ in der Gesellschaft dargestellt, in dem Sie sagen, dass man sie erschießen lassen soll. Sie wollen die Grenze Europas zur Todeszone machen. Überlegungen, an den Grenzen auf wehrlose Flüchtlinge zu schießen, sind inakzeptabel und menschenfeindlich. Sozio-politisch gesehen, haben die Fremdenfeindlichkeit und die Wählerstimmen der Rechtsparteien nicht nur in Deutschland, sondern europaweit statistisch zugenommen.

Es ist ein Krieg gegen die Toleranz und Willkommenskultur,

ohne Kriegserklärung,

ohne Regeln,

ohne Grenzen.

Die Flüchtlingspolitik ist leidervon der Willkommenskultur beim Schießbefehlgelandet. Die Waffen sind die Worte. Es ist ein Krieg der dazu aufruft die Menschen vor der Grenze zu erschießen. Ein „Fremdenhass“ den man von den USA über Europa bis nach Deutschland spüren kann.

Die Flucht hat Ursachen - aber die Bekämpfung der Fluchtursachen ist zu einer Floskel geworden, mit der man eigentlich nur sagen will: Da kann man nichts machen, "die" sollen doch bleiben, wo sie sind.

Die Gewinner der Flüchtlingskrise sind nach Umfragen; Frauke Petry`s AfD, Der Front National in Frankreich, Die Freiheitliche Partei Österreichs, Partei für die Freiheit in der Niederlande, Die Dänische Volkspartei, Die Fortschrittspartei in Norwegen. Vielleicht auch über den Atlantik hinaus, der US-Amerikanische Donald Trump, der versprach, keine Muslime nach Amerika zu lassen, falls er die Präsidentschaftswahlen gewinnen würde.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Cemal Sari

Doktorand an der Ruhr-Universität Bochum

Cemal Sari

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