DITIB will eigenen Verband gründen

Düsseldorf. Podiumsdiskussion in der Villa Horion am 14.11.2014 zum Thema "Islamische Wohlfahrtspflege - Auf dem Weg zum islamischen Wohlfahrtsverband?!"

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Ein Beitrag von Dr. Michael Kiefer

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Menschen, die in Deutschland geboren wurden und hier aufwachsen, haben mit großer Wahrscheinlichkeit früher oder später Kontakt mit einer der über 105.000 Einrichtungen und Diensten der freien Wohlfahrtspflege in Deutschland. Für viele beginnt die erste Begegnung bereits mit der Geburt, denn ein erheblicher Teil der deutschen Kliniken wird von den freien Trägern der Wohlfahrtspflege betrieben. Zu einer ordnungsgemäß verlaufenden Kindheit gehört im nächsten Schritt der Kindergarten mit einer Verbleibdauer von in der Regel mehr als drei Jahren. Auch hier beherrschen die Träger der freien Wohlfahrtspflege traditionell das Feld. Fürsorge und kompetente Betreuung bietet auch die Schule. Der offene Ganztag, der sich immer mehr zum Regelangebot entwickelt, ist gleichfalls eine Aufgabe der freien Träger. Diese Liste, die bis zu Pflegeeinrichtungen und Hospizen fortgeführt werden könnte, zeigt überaus deutlich, dass die freie Wohlfahrtspflege, die mehr als 1,6 Millionen Menschen hauptamtlich beschäftigt, einen enorm wichtigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Handlungsbereich darstellt.

Bei der Zahl der Akteure, die in der Wohlfahrtsliga das Feld beherrschen, hat es seit gut einem halben Jahrhundert keine Veränderungen ergeben. Neben den großen kirchennahen Organisationen Diakonie und Caritas, gibt es die Arbeiterwohlfahrt (AWO), den Paritätischen Wohlfahrtsverband, das Deutsche Rote Kreuz (DRK), und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden. Die Muslime Deutschlands sind bislang mit keinem Verband in der Liga der freien Wohlfahrtspflege vertreten. Genau um diesen Sachverhalt ging es in der Podiumsdiskussion am 14. November 2014 in der Villa Horion.

Die Veranstalter, die Aktion Gemeinwesen und Beratung (AGB e. V.) sowie die Agentur für partizipative Integration (API), hatten zum Thema ein sehr kompetentes und sachkundiges Podium zusammengestellt. Die Diskussionsrunde, die von dem Islamwissenschaftler Michael Kiefer moderiert wurde, bestand aus Emine Ogzuz (DITIB), Aiman Mazyek (ZMD), Samy Charchira (Paritätischer NRW) und Thorsten Nolting (Diakonie).

Bereits zu Beginn der Debatte wurde deutlich, dass die Gründung eines oder mehrerer islamischer Wohlfahrtsverbände nur eine Frage der Zeit ist. Auf dem Podium wurde unisono die Ansicht vertreten, dass ein muslimischer Trägerverband eine Bereicherung darstellen würde. Die Gründe, die hierzu genannt wurden, waren vielfältig. Aiman Mazyek wies darauf hin, dass ältere Muslime sich ungern dauerhaft von Pflegern mit anderem kulturellen und religiösen Hintergründen betreuen ließen. Ferner legten Eltern aus muslimischen Gemeinden bei Betreuungs- und Freizeitangeboten für ihre Kinder großen Wert auf eine Orientierung an islamischen Werten. Emine Oguz pflichtete dem bei und verwies in diesem Kontext auch auf die unzureichende interkulturelle Öffnung der etablierten Träger.

In der Diskussion wurde darüber hinaus deutlich, dass die Erfüllung von Wohlfahrtsaufgaben für die muslimischen Gemeinden keine Neuigkeit darstellt. Samy Chachira referierte die Leistungspalette der muslimischen Gemeinden. Dort gäbe es bereits Hausaufgabenhilfe, Jugendarbeit, Konfliktberatung und Sellsorge. Das Problem sei nur, dass all dies in ehrenamtlichen Kontexten geleistet werde. Dies müsse sich ändern. Emine Oguz berichtete, dass der Weg zu professionellen und öffentlich geförderten Strukturen alles andere als leicht sei. Anträge von muslimischen Gemeinden und Organisationen fänden nicht immer den ungeteilten Zuspruch der Verwaltung. Mitunter gäbe es auch Vorurteile, die nur mit erheblichem Aufwand aus dem Weg geräumt werden könnten.

Angesprochen wurde auch das Thema Konkurrenz zwischen den Trägern. Angesichts prekärer Haushaltslagen in vielen Städten wird es für neue Träger in den klassischen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe wohl kaum mehr Geld geben. Dies bedeutet, dass es allenfalls zu Umverteilungen im Kreis der Träger kommen kann. Zumindest für Thorsten Nolting, Geschäftsführer der Diakonie in Düsseldorf, stellt dies kein Problem dar. Nolting begrüßt die Gründung von Trägerstrukturen auf muslimischer Seite ausdrücklich und bot im Verlauf der Diskussion potentiellen muslimischen Partnern Kooperation und fachlichen Beistand an.

Am Ende der lebhaften Diskussionsrunde ging es auch um die Frage, ob denn ein Wohlfahrtsverband das heterogene muslimische Spektrum zur Abbildung bringen könne. Aiman Mazyek bejahte dies und führte pragmatisch aus, dass die Muslime mit der Schaffung eines Verbandes für alle Muslime gut beraten seien. Die Interessen könnten so gebündelt werden und man habe eine gute Ausgangsbasis gegenüber den anderen Verbänden. Diese Sicht der Dinge teilte zur großen Überraschung der anderen Podiumsteilnehmer nicht Emine Oguz von der DITIB. Und so hieß es am Ende DITIB werde in Bälde einen eigenen Verband gründen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Samy Charchira

Sozialpädagoge, Sachverständiger für muslimische Wohlfahrtspflege und Mitglied des Stadtrates der Landeshauptstadt Düsseldorf

Samy Charchira

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