Der Hodscha und der Holzhammer

TV-Kritik Von deutschen TV-Komödien ist nicht viel zu erwarten. Manche sind aber ganz besonders missraten. Ein schlimmes Beispiel

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Der Hodscha und die Piepenkötter
Der Hodscha und die Piepenkötter

Bild: Martin Valentin Menke/WDR

Eigentlich gibt es keine Entschuldigung dafür, sich sowas anzuschauen. Deutsche Fernseh-Komödie ist ein dreifacher Warnhinweis, angesichts dessen jede Ausrede verfällt und jede Klage abgeschmettert werden kann. Egal also, wie es dazu kam, dass ich in einen Film mit dem Titel „Der Hodscha und die Piepenkötter“ reingeschaltet habe - aber wo es nun einmal passiert ist, kann ich die Angelegenheit auch nicht unkommentiert verdrängen: Was derartig nach Meinungsbildung schreit, soll mit Meinung bedacht werden.

Es handelt sich um eine Produktion von 2015, die im Februar 2016 von ARD erstmals ausgestrahlt und kürzlich bei WDR wiederholt wurde. Eine laut Eigenwerbung "Komödie zum Ernst der gegenwärtigen Lage" oder auch „Integrations-Komödie“ – was schon Schlimmes befürchten lässt, aber es kam tatsächlich noch schlimmer. Allein, ich wollte und konnte es nicht fassen und blieb davor kleben bis zum verzuckerten Ende.

„Alles klar“, dachte ich alle paar Minuten, und alles klar dachte ich auch zusammenfassend danach: So sieht es also aus in der Parallelgesellschaft der öffentlich-rechtlich beauftragten TV-Schaffenden. Dies ist also unser Land, wie es sich denen darstellt, die uns via Abendunterhaltung sein komisch transformiertes Abbild auf die Bildschirme zaubern, auf dass wir uns gespiegelt sehen, amüsieren und unsere Meinung bilden. Alles klar:

Da ist „der Hodscha“: Alleinerziehender Vater, angeblich jüngst aus der Türkei eingereist, aber -wie auch die bekopftuchte Tochter- bis auf eine Spur Akzent tadellos deutschsprachig und mithin ein großer Fan von Bruce Springsteen und „westlicher Kultur“. Was darunter zu verstehen ist, wird nicht erläutert, dafür aber auch der religiöse Hintergrund dieser Figur nicht weiter ausgeführt. Als Mann Allahs scheint er zur obersten Instanz ein noch vageres Dienstverhältnis zu pflegen als seinerzeit Don Camillo, der sich auch nie groß mit fromm-rituellem Hokuspokus aufhielt, aber immerhin noch gelegentlich unter dem Kruzifix mit seinem Herrgott die Lage besprach ... Des Hodschas Frau, erfahren wir, hat ihn in der Türkei verlassen, worüber er zwar gekränkt ist, aber keineswegs in pauschalen Frauenhass verfällt, sondern mannhaft Haltung bewahrt. Seine Tochter bedenkt er mit der eifersüchtigen Fürsorge, die dem Vater-Tochter-Verhältnis in der dramatischen Phantasie von jeher zukommt. Auch das hat eigentlich nichts mit Religion oder Kulturkreis im engeren Sinne zu tun: Des Hodschas Beruf wie seine väterliche Strenge sind gegebene Formalien der beabsichtigten Handlung – nichts, was irgendwie plausibel erzählt werden müsste. Der Migrationshintergrund ist hier mehr folkloristische Ausstattung als Konfliktpotential: Kleidung, Ernährungsgewohnheiten, Allzumenschliches.

Alles klar.

Auf der anderen Seite haben wir „die Piepenkötter“: Bürgermeisterin und in der Wolle gefärbte Provinz-Politikerin - schnöselig, schnippisch, machtbewusst, patent - die, wie bald mit dem Holzhammer angedeutet wird, ihren halbwüchsigen Sohn vernachlässigt, und, weil die Autoren das witzig fanden, sich von einem unterwürfigen Aktenträger in selbstvergessenem Chauvinismus die Füße massieren lässt. Eine gerissene Karrierefrau, die auch die Sentimentalität der anderen für ihre Interessen nutzt und vor lauter Machtstreben die wahren Werte aus den Augen verliert, jedoch nicht gänzlich herz- und gewissenlos ist: Im richtigen Moment wird sie sich besinnen, zum Krankenbett des Sohnes eilen und in der mütterlichen Zuständigkeit wieder zum rechten Pfad zurückfinden.

Alles klar.

Des Weiteren gibt es zwei komisch-tumbe Naziglatzen und einen fiesen Rechtspopulisten im Anzug, deren Vorhandensein nur dramaturgisch herzuleiten ist: In der ewigen Gegenwart des schematischen Kleinstadt-Idylls wirken sie deplaziert, woher sie kommen und mit welcher Notwendigkeit, erschließt sich nicht, aber es braucht sie als Bösewichter, damit die Handlung in Gang kommt.

Ihnen gegenüber steht exemplarisch ein hartgesottener Parallelgesellschafts-Vertreter in der Moschee-Gemeinde, dem immerhin noch kurz ein Stück verunglückte Migrationsgeschichte zugestanden wird (die aber auch nicht erklärt, warum der Mann so viel schlechter Deutsch spricht als sein eben zugewanderter Chef). Natürlich ist dieser Integrationsverweigerer sehr einfach gehäkelt, dafür aber auch gründlich schlechtlaunig, missgünstig und überhaupt ein unsympathischer Mensch, der gern Kalif Hodscha wäre anstelle des Kalifen Hodschas. Obendrein ist seine Ehefrau auch zuhause (!) in einen schwarzen Ganzkörperschleier gehüllt, und natürlich, wie wir alsbald erfahren, viel schlauer, der Fremdsprache und der Kommunikationselektronik kundig - und spricht doch nur, wenn sie dazu aufgefordert wird, serviert Tee und hält ihrem Pascha das Telefon ans Ohr.

ALLES KLAR?

So haben wir uns die Ränder der Gesellschaft vorzustellen: Grimassierende Analphabeten hüben wie drüben. Hier der fiese Rechtspopulist und seine doofen Nazis, dort der finstere, fremde Islam in Reinform, wo kein Bruce Springsteen Einfluss genommen hat und Frauen unterdrückt werden... Der nette, integrierte Türke hingegen ist auch nur ein Deutscher, Allah hin, Alkoholverbot her- und ein bisschen patriarchaler Gestus (wenig überzeugend und mit einem töchterlichen Dackelblick jederzeit zu erweichen): Geschenkt, so sind eben Väter. Zu diesen übersichtlichen Behauptungen wird nun ein geplanter Moschee-Bau hinzugefügt, und die Geschichte erzählt sich von selbst:

Der vernachlässigte Sohn und die Kopftuch-Tochter erblühen in zarter Zuneigung, während die Eltern sich politisch beharken. Wobei der Hodscha als Update des edlen Wilden alles in allem die besseren Manieren an den Tag legt und seine Gegnerin die westlichen Werte (Alkohol, Arroganz, Käuflichkeit) vertritt, so gut sie es als Karikatur eben kann – aber letztendlich haben ja beide Herz und Verstand …Während die tumben Faschos zu doof sind, um die Intrigen des Rechtspopulisten wirksam umzusetzen und die verschleierte Lady die Pläne ihres tölpelhaften Ehemannes sabotiert. Weswegen dann am Ende der vom Drehbuch anvisierte humanistische Pragmatismus siegt, die Streitparteien sich zusammen- und die Hardliner sich in komischer Pose die Haare raufen…

ALLES KLAR.

Die mit einigem Abstand fieseste Szene spielt auf dem Nebenschauplatz der jungen Liebenden in der Gartenlaube, wo das Mädchen als Zeichen intimer Vertraulichkeit ihr Kopftuch lüftet, woraufhin der (wir erinnern uns: von einer toughen Bürgermeisterin alleinerzogene) Junge bekennt, er sei froh darüber, dass sie in der Schule ihr Haar verhülle, weil er sonst als amouröser Anwärter große Konkurrenz zu befürchten habe. Was von ihm und dem Film als Kompliment gemeint ist.

ALLES KLAR?

Bleiben wir, bevor wie erwartbar die Eltern die Gartenlaube betreten, unser islamischer Don Camillo endlich seine Ehre verletzt sieht und sich aufführt, als sei die Tochter bereits ungewollt schwanger, noch einen Moment bei diesem ekelhaften Detail und vergegenwärtigen uns, was hier erzählt wird:

Nicht nur, dass die junge Muslimin ihr Kopftuch zum Zweck der eigenen Verhässlichung trägt, weil ohne unbedingt „hübscher“ sein muss, sondern vor allem: Dass dies im Deutschland des frühen 21. Jahrhunderts auch wirksam und damit sinnvoll ist. Weil auch der hiesige, heutige Halbwüchsige und Sohn einer modernen Mutter nicht anders auf das unbedeckte Haar einer Frau reagiert, als es anderswo tradierte patriarchale Zwangsvorstellungen formulieren: Quasi als Naturgesetzlichkeit. Das bisschen Kultur, Aufklärung, Humanismus, Emanzipation, das wir als Fortschritt feiern: Es ist Chichi, Luxus und Selbstbetrug - die dünne Firnis der Zivilisation, unter der allseits Vergewaltigung und Blutsfehde lauern (sowie die Versuchung, persönliche Vorlieben und politische Interessen mit Argumenten wie der angeblichen Lebensweise der Höhlenmenschen und Vergleichen aus Flora und Fauna zu untermauern).

Auf der Grundlage eines solchen Menschenbildes ist vollkommen verständlich, dass an dieser Stelle der Geschichte dem erzürnten Vater niemand groß widerspricht, sondern angemessen schuldbewusste Betretenheit aufkommt. Ganz folgerichtig ist unter diesen Umständen auch, dass nach einem turbulenten Showdown die unterdrückte Lady in Schwarz endlich ohne Gesichtsschleier Skateboard fährt, während der Hodscha-Schwiegersohn in spe wohl zum Islam konvertieren wird, denn nach dem Gesetz der Seifenoper ist der jungen Liebe kein Preis zu hoch und kein Weg zu weit...

Nun ja. Wer Fundamentales über die menschlichen Auseinandersetzungen mit Integration, Vorurteilen und tradierten Konflikten erfahren will, sollte Shakespeare konsultieren. Bei ARD und WDR wird eben nicht Othello oder Romeo und Julia gegeben, sondern deutsche Fernseh-Komödie: Abwegig, schmerzfrei, klemmig, gewollt - und das alles in gründlich. Im vorliegenden Fall aber besonders entrückt und ärgerlich.

Als Komödie mag das wohl durchgehen, aber mit der sogenannten gegenwärtigen Lage hat es nicht das Geringste zu tun. Vielmehr ist der Film in blödester Gemütlichkeit den Stereotypen und Lösungsansätzen aus dem Kasperltheater verpflichtet. Aus dieser Vorstellungswelt stammt der Klischee-Baukasten, aus dessen Bestandteilen mit dem Holzhammer eine Geschichte inklusive Moral zusammengedengelt wurde, die nichts bewirkt, als unter Verwendung von folkloristischem Lametta und harmonisierendem Kitsch die beliebtesten Denkmodelle zu reproduzieren. Was vormals der Heimatfilm zumutete – heute geht es als Integrations-Komödie.

Dieser und solch ein Streifen, sehr geehrte ARD, lieber WDR, ist nicht nur vollkommen daneben, sondern in seiner Gutgemeintheit und heiteren Harmlosigkeit böse, weil maximal doof, desinformativ und die perfekte Methode, um den eigenen vordergründig humanistischen Appell zu unterlaufen, ja, Hass zu schüren: Hass auf Drehbuch und Regie, Hass auf alle Figuren, die darin vorkommen und das, was damit gemeint sein soll, Hass auf die gute Absicht und die miserablen Dialoge, Hass auf die prekären Zustände im Kulturmilieu, die Schauspieler*innen zu solchen Jobs nötigen. Hass aber auch gegen die Sendeanstalt, die sowas in Auftrag gibt oder einkauft, schamfrei und wiederholt ausstrahlt. Das, werte Programmverantwortliche, ist kein bisschen erhellend, sondern ganz und gar finster und zynisch, weil jede Intelligenz verleugnend, die eigene wie die des Publikums.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Charlie Schulze

"Bei meinen Feinden, zuweilen, finde ich Zuflucht vor meinen Genossen." (Peter Rühmkorf)

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