„Überall Experten, wo man hinschaut“ schrieb ein Freund von mir neulich in einen Kommentarstreifen. Diese Bemerkung ist, völlig abgesehen vom Anlass (weil übertragbar auf praktisch jeden anderen), keine bahnbrechende Neuerkenntnis, aber doch so tief zutreffend, dass sie mir in diesem Augenblick ein bisschen die Welt erklärte und mir in der Wirrnis und Erregung, die derzeit die online-Debatten prägt, eine Richtung wies, worüber es sich lohnen könnte, genauer nachzudenken. Denn was mein Freund als ironisches Aufstöhnen gemeint haben mag, hat auch noch in einer anderen Lesart seine Richtigkeit…
Dieser Tage wird viel über die Zuständigkeit und Verantwortung jedes Einzelnen debattiert. Und zwar aus allen und in alle Richtungen. Es scheint ein Thema unserer Zeit zu sein: Man muss doch was tun. Zumindest was sagen. Man kann doch nicht einfach zuschauen, bzw. wegschauen. Auch die, die im Netz und an Wohnhäusern gruppenbezogen menschenfeindlich Brände legen und/oder dergleichen beklatschen, argumentieren ja damit, dass der Einzelne gefordert sei, aktivzu werden, bzw. die Schnauze aufzumachen in diesen bewegten Tagen, in denen ein Defining Moment stattfindet, wie Sascha Lobo es nennt. Einspruch, Einsatz, persönliches Engagement fordern auch die Gegenstimmen. So wird das Geschrei insgesamt lauter und erregter, und wer sich nicht beteiligt, muss sich fragen (lassen), ob ein Raushalten nicht den Weg zur nächsten Diktatur ebnet - ob diese Vorstellung sich nun auf die althergebrachten Bilder hakenkreuzbeflaggter Nationalfaschismus-Zombies bezieht oder auf NWO-Visionen von Gender-ideologischen IQ-Senkungs-Absichten und Verwandtes, ist abermals egal.
Und so denken wir mit, machen uns sachkundig, steigern uns rein, äußern uns, werden tätig – alles je nach Vermögen, Neigung, eigenem Hintergrund. Soweit, so demokratisch, engagiert und doch eigentlich positiv: Wär es denn besser, uns interessierten die Vorgänge nicht? Allein durch unser Interesse werden wir dann auch tatsächlich zu Experten des jeweiligen Ausschnitts Welt, den wir uns vorgenommen haben zu beackern. Wir gestalten aktiv die Wirklichkeit. Das tun wir allerdings generell: Auch in Unterlassung, Verweigerung, selbst in der Art der Wahrnehmung lässt sich bereits ein Akt der Teilnahme und Mitgestaltung sehen. Der Gesellschaft, in der wir leben, ist nicht zu entkommen. Was wir uns aussuchen können, ist lediglich, an welcher Stelle wir uns beteiligen und in welcher Weise. Die Frage ist nach dieser Überlegung nicht, ob wir wirklich alle zuständig und Experten sind, sondern: Wofür.
Unter diesen Umständen scheint es mir legitim, mehr noch: sinnvoll, nicht bei der globalen Politik anzusetzen. Nicht, dass diese deswegen zu vernachlässigen wäre. Aber muss die Erkenntnis, dass alles zusammenhängt, unbedingt zu einer totalen Zuständigkeit des Einzelnen für alles führen? Ist diese Vorstellung wirklich hilfreich, oder führt sie bei den meisten Leuten nicht zwangsläufig in die Überforderung und bei wenigen anderen zum Größenwahn?
Wenn wir schon nicht umhinkommen, Experten und Zuständige zu sein, dürfen wir uns auch getrost um Gebiete bemühen, die naheliegen, die uns sowieso beschäftigen und auf denen wir tatsächlich wahrnehmbare Veränderungen bewirken können. Die erste Adresse ist das eigene Bewusstsein: Da ist meistens was zu machen. Das eigene Verhalten ist die nächste Baustelle, auf der immer etwas anliegt. Und wenn man anfängt, im Sinne einer gesellschaftlichen Veränderung in die Interaktion mit anderen zu investieren, muss man sich nicht unbedingt einen Gegner suchen, sondern darf sich ruhig auch an Leute halten, mit denen Verständigung möglich ist. Mein lange verstorbener Freund J.K. hat es mal so gesagt:
„Die eigene Mischpoke nerven ist viel interessanter als mit den Nachbarn streiten.“
Ein kluger Mensch. Er bekleidete keine herausragende Position, keine Titel und Ehren wurden ihm zuteil - aber mir war er Vorbild und Lehrer. Ein Mann, der zeitlebens tat, was er für richtig hielt. Er tat sorgfältig seine Arbeit und interessierte sich für den Rest der Welt. Er wusste viel und lernte gerne dazu. Und er nervte seine Mischpoke.
In seiner Gegenwart war es nicht möglich, auf die Obrigkeit zu schimpfen, einfach mal eine Behauptung zu verbreiten oder mit einem Ressentiment ein anderes zu kritisieren. Wo weltbildlich Gleichgesinnte dabei waren, sich in Selbstversicherung zu ergehen, wann immer man sich in einer komplexen Frage allzu einig war, wo man mit Eifer einen vermeintlichen gemeinsamen Feind anprangerte, da ergriff er das Wort, um die Eindeutigkeit in Frage zu stellen, die Euphorie abzubremsen, in der Sache nachzuhaken. Seine Einwände waren kaum zu ignorieren, auch wenn sie keiner hören wollte. Man musste sich Mühe geben, um ihm argumentativ standzuhalten, und seine uneingeschränkte Zustimmung zu bekommen war praktisch unmöglich: Eine Nervensäge. Ein Ärgernis vor allem in Zusammenhängen, in denen es darum ging, Ergebnisse zu erzielen.
Aber jedes einzelne Mal, wenn J.K. seine Stimme erhob, wurde es, ja: interessanter. Er ließ keine pauschale Einordnung, keine unbegründete Parteinahme gelten: Er nötigte zur Genauigkeit, man kam nicht umhin, noch mal nachzudenken. Wann immer man glaubte, nun alles kapiert zu haben und richtig zu machen, bewies er einem das Gegenteil. Wo immer es allzu gemütlich wurde, riss er die Fenster auf, um für frische Luft und andere Perspektiven zu sorgen.
Die eigene Mischpoke nerven ist viel interessanter als mit den Nachbarn streiten: Ein Satz, von dessen Richtigkeit ich überzeugt bin. Denn die Nachbarn, mal ehrlich: Die kommen von einem anderen Planeten, wieso sollte man mit denen streiten? Mit ihnen gilt es, friedlich zu koexistieren: Respekt, Höflichkeit, diplomatisches Entgegenkommen, Toleranz machen das Leben mit den Fremden von nebenan angenehmer als ständige Gefechte um offensichtliche ästhetische und prinzipielle Differenzen.
Was wäre an der neuerlichen Feststellung lohnenswert, dass man selber so nicht leben möchte? Und bitteschön: Die wollen ja auch nicht so leben wie man selber - von wem man sich nicht erziehen lassen möchte, den sollte man fairerweise auch nicht erziehen wollen. Nein, die Nachbarn mögen Helene Fischer hören, in die Moschee gehen, Discounter-Fleisch grillen, SPD wählen: Hier gibt es nichts zu überzeugen, zu informieren, denn es wäre irgendwo in der frühen Steinzeit anzusetzen, lange vor Etablierung des Patriarchats, der Erfindung der Schrift, in einer komplett anderen Wirklichkeit. Um wiederum dem Anderen als gutes Beispiel zu gelten, das durch reines Vorleben überzeugt, müsste eins ja das Modell des anderen überzeugend finden - zumindest irgendwie reizvoll - und auch dazu wird es wohl so schnell nicht kommen.
Nein: Unter Nachbarn darf man sich in Ruhe lassen. Auf dieser Basis ist es sogar möglich, sich mit der Zeit gegenseitig in seiner Andersartigkeit wertschätzen zu lernen und bei Interesse für einander zu interessieren. Das kann bis zur irritierenden Erkenntnis gehen, dass einem diese völlig anders tickenden Leute bisweilen sympathischer sind als die eigenen Schwestern und Brüder, Mitstreiter*innen und Genossen: eben jene Mischpoke, der man sich selber zurechnet und die einem mitunter wahnsinnig auf den Kranz geht.
Hier möge man mir die Unschärfe nachsehen, mit der ich Mischpoke, also Familie, mit dem größtenteils selbstgewählten Umfeld gleichsetze, den Beziehungen, die man pflegt, der „Szene“ der man sich im weiteren Sinne zugehörig fühlt: „Familie“ ist hier, wie auch „die Nachbarn“ eine Metapher. Gemeint sind die Individuen verwandter kultureller, politischer, weltbildlicher Verortung: Die Berufung auf die gleichen Grundrelevanzen, eine prinzipielle Einigkeit bei Wertvorstellungen. Man bewegt sich im gleichen Narrativ, muss sich nicht erst auf die Be- und Ausdeutung sämtlicher Vokabeln einigen, man kann, kurz gesagt, miteinander kommunizieren über die ganz grobe Verständigung hinaus.
Hier liegt die wunderbare Möglichkeit, tatsächlich zu verstehen, was der andere meint, und sich ihm mitzuteilen mit dem Ergebnis, verstanden zu werden. Gemeinsam zu neuen Perspektiven zu kommen. Auch die Möglichkeit, sich wennschon aufzuregen, dann über etwas, dem man sich nicht hilflos ausgeliefert sieht, sondern für das man selbst konkrete Verbesserungsvorschläge hätte, die man dem Gegenüber auch vermitteln kann, da beide sich mit dem Sachverhalt befasst haben und über einen größeren gemeinsamen Fundus von Informationen verfügen. Hier existiert die Möglichkeit gemeinsamer Weiterentwicklung, minimaler Verschiebungen, Veränderungen, die, obschon unspektakulär, der tätigen Weltverbesserung zuzurechnen sind und in der Summe wahrhaftig so etwas wie Fortschritt bedeuten können. Hier beginnt die Veränderung der Verhältnisse in die Richtung, die wir uns wünschen. Über den weiteren Weg zum guten Leben für alle bleibt zu diskutieren.
Kommentare 13
:-) Präzise erkannt: an dieser Stelle begebe ich mich an die Grenze zur gewagten Behauptung/ positiven Unterstellung/ Wunschformulierung. Nur, irgendwo muss man ja ansetzen mit dem Menschenbild, und da zieht´s mich auf der Skala der bisher erfahrenen/ gesehenen Möglichkeiten immer eher zum positiven Bereich. ... Wenn das eine "Freitagskrankheit" ist (was ich nicht beurteilen kann), bin ich hier offenbar im richtigen Spital.
Wenn ich das richtig verstanden habe, dient Zynismus, Sarkasmus u.ä. auch dem eigentlichen Menschenfreund als Werkzeug zur Bewältigung der Zumutungen des Bewusstseins ... So reden sich zumindest Satiriker gerne raus.
......"schöne Worte"....lassen mich, zumindest zunächst sprachlos..... hoffnungsvoll nachdenklich "zurück".
Herzlichen Dank für diesen Hinweis: Sehrschön. Feinstes Wochenende auch!
Wahr. Meiner Übersicht zufolge, die nicht über Mitteleuropa hinaus reicht, von da berichte ich. Aus einer Gesellschaft, die (der Präzision halber wiederhole ich nochmal) sich Obdach, Nahrung, fließendes Trinkwasser, Strom und medizinische Versorgung als Selbstverständlichkeit leistet.
Ist halt fraglich, ob die Welt unbedingt noch mehr krasse Geschichten braucht … Charlies Alias stünde in einem entsprechenden Wettbewerb wohl besser da, als es Charlies verschnöselter Schreibstil vielleicht vermuten lässt, und mit dem Contenance-verlieren sind wir beide nicht unvertraut - in diesem Medium und hier auf dem Teppich ist Contenance aber eine selbst gewählte, angemessene, zumutbare Aufgabe ... Wie ich ja überhaupt diesmal darauf hinaus wollte, dass wir, bevor wir uns den großen Überforderungen stellen, ruhig mal im machbaren Bereich ein paar gute Erfahrungen sammeln dürfen. Die gibt es immer. Ist ein bisschen wie beim Pilzesuchen.
:-)
J.K. gedenkend, der den Klang der Welt verbessert hat.
J.K. war Tonmeister, Hi End-Entwickler, Kaffeetrinker, Kiffer, Katzenpapa, Nervensäge, Überflieger, Freak, Freund.
...von wem man sich nicht erziehen lassen möchte, den sollte man fairerweise auch nicht erziehen wollen.
Ich möchte mich von Neonazis z.B. nicht erziehen lassen - möchte sie aber durchaus erziehen.
PS:
Ich habe einen guten Freund, den ich fast so lange kenne wie ich mich selbst kenne. Wir gerieten in unseren jungen Jahren bisweilen ein wenig aneinander, weil er mir erklärte, dass es so großartig wie ausreichend sei, die Welt im Kleinen, d.h. in der eigenen Familie zu verbessern. Wenn das jeder täte - wofür man sich einzusetzen habe - dann werde es besser in der Welt. Heute stelle ich fest: Er hat eine nette Familie. Aber in der Welt ist nichts besser geworden - im Gegenteil. Also: Es funktioniert nicht. Bestenfalls gibt es ein paar Gutwillige mehr. Unter dem Strich ändert sich nichts. Seine Theorie erwies sich als schlicht illusionär. Zwar nützte sie ihm und den Seinen. Aber das ist nicht das, was er - damals - erreichen wollte. Denn um den ersten Teil zu schaffen, will heißen, sich um seine Mischpoke und seinen eigenen Kram zu kümmern, brauche ich keine Theorie.
Mit jeder netten Familie, mit jedem sich glücklich nennenden Individuum ist die Welt aber schon besser, als sie wäre, wenn diese Leute auch dem größtmöglichen Horror ausgesetzt wären (auch wenn das vielleicht die gerechtere Welt wäre - aus einer Perspektive, die ich nicht befürworten möchte) … Ohne diese schlichten Gedanken gleich Theorie zu nennen: Der momentan laute Ruf nach persönlichem Engagement klingt so, als würde auch Weltverbesserung nach den (von Arbeitsmarkt und Wirtschaft bekannten) Leistungs- und Effizienz- Kriterien eingeordnet: Wer sich nicht mindestens in Gefahr begibt, nicht irgendwas nachweisbar heldenhaftes verbuchen kann, tut „nichts“ für eine bessere Zukunft? Wer nicht die ganz große Umwälzung auf dem Zettel hat und die entsprechenden Konzepte dazu, kann es auch gleich ganz sein lassen? Da möchte ich für die Wertschätzung des Machbaren plädieren. Darin sehe ich eine bessere Werbung für Weltverbesserung als im Slogan „unter dem Strich ändert sich nichts“.
Mit Ihrem Beitrag bewegen Sie sich auf sehr komplexem Terrain. Manches ist bedenkenswert. Am wichtigsten finde ich den Hinweis auf Selbstkritik, die beim Blick nach Innen fällig wird und oft zu kurz kommt. So jedenfalls verstehe ich Ihre Konzentration auf die eigene Mischpoke - immer wieder das eigene Denken zu hinterfragen, wenn man kritisiert und sich der Fremdkritik stellt. Wie leicht man ausrutschen kann, dafür zwei Beispiele:
1. Allein durch unser Interesse werden wir dann auch tatsächlich zu Experten des jeweiligen Ausschnitts Welt
Hat die lebenslange Beschäftigung der mittelalterlichen Mönche mit der Jungfrau Maria diese zu Experten der Jungfrauengeburt gemacht?
2. aber mir war er Vorbild und Lehrer. Ein Mann, der zeitlebens tat, was er für richtig hielt.
Zurecht wird gerne Kant zitiert, wenn es darum geht, sich aufs eigene Denken zu verlassen. Aber schon bei Kant muß es seine eigenen Grenzen kennen, und nach Kant kam erst voll zu Bewußtsein, wie sehr das eigene Denken Fremddenken, das Denken gesellschaftlicher und gruppenspezifischer Vorurteile, aber auch eines auf der Grundlage wissenschaftlich gesicherter oder vermuteter Erkenntnisse ist. Es gibt immer den Eigenanteil, aber der macht das Denken nicht unbedingt besser. Wenn ich Ihre Aussage wörtlich nehme, gilt: wer immer nur tut, was er für richtig hält, ist ein notorischer Rechthaber. Wir tun enorm viel, von dem wir wissen, daß wir nicht wissen, ob es richtig ist. Oder wissen, daß es für uns richtig ist oder erscheint, aber nicht für andere verpflichtend gemacht werden kann.
Sie werden dem Gesagten vermutlich zustimmen. Dennoch beruht Ihre zentrale Aussage auf einer grundsätzlichen gedanklichen Verkürzung, wenn ich das hier in der Familie einmal so sagen darf. Wollen wir nicht komplette Menschen sein, die ganz unterschiedlich fokussieren können, vom eigenen Ich auf die Menschheit, vom unmittelbar Berührenden zum kühnsten ausgedachten Abstraktum, vom kleinsten Tierchen, zartesten Pflänzchen zum unfaßbaren Kosmos? Daher ist es überhaupt kein Widerspruch, das eine wie das andere zu tun. Einseitigkeit, ob als Politaktivist ohne Privatleben in staatsbürgerlicher Bürokratie verstrickt, oder in heimatfixierter Abschottung als Mitglied einer natürlich gegebenen Nachbarschaft oder einer Wahlverwandtschaft Synchrondenkender, wie es Ihnen vorschwebt, ist eine Verarmung. Organisatorisch würde man die Vielfältigkeit der Aufmerksamkeitsbereiche Subsidiarität nennen.
Selbstverständlich habe ich meine Kinder gelehrt, im scheußlichen Kapitalismus die Mathematik zu lieben, die Kunst mit Verstand zu rezipieren und zu genießen. Für die Masse der Menschen müssen sich erst ihre Lebensbedingungen grundlegend ändern, daß das auch für sie Programm werden kann. Soll mir die allgemeine Zielsetzung egal sein, wo mein individueller Einfluß gegen 0 geht? Oder muß man nicht vielmehr gerade da zu einer gemeinsamen Willensbildung kommen? Zu glauben, man könne sich in eine gemütliche Privatwelt retten, ist illusionär, um Balsamico zu verschärfen, auch die kleine Welt nimmt Schaden, wenn wir die große aus den Augen verlieren.
„Man kann doch nicht einfach zuschauen, bzw. wegschauen.“ (Charlie Schulze)
„Warum nicht? Warum muss man engagiert sein, wenn man von der Aussichtslosigkeit überzeugt ist?“ (Lethe)
Das ist mehr als richtig. Ohne Selektivität würden wir überhaupt nichts sehen. Wir müssen auch wegschauen, abschalten, die Blickrichtung (und damit die Nichtblickrichtung) auswählen, verdrängen, ein uns gemäßes Verhältnis von Realem und Fiktivem herstellen. Nur sollten wir in unserer Selektivität beweglich bleiben, gelegentlich den Blick über das Übersehene schweifen lassen, unsere automatisierte Festlegung infrage stellen, unsere Selektionen nicht einfrieren lassen. Die sture Einseitigkeit ist ein todesähnlicher Zustand.
Ich bin im wesentlichen Experte für mich selbst.
Das glaube ich Ihnen gerne. Verallgemeinern kann man das nicht, im Gegenteil. Männern wird oft zurecht bescheinigt, daß sie sich selbst am wenigsten kennen. Ich fasse Ihre Aussage als dringende Aufforderung zur Selbstreflexion an alle, die sich so wie die meisten hier nicht vom Ziel der Weltverbesserung abbringen lassen wollen; letzteres ist lächerlich, wenn man bei allem Leiden an der Verfaßtheit der Welt nicht einmal mit sich selbst im Reinen ist. Das war wohl auch eine Intention des blogs.
Und deine Theorie hat zu einer besseren Welt geführt?
Ich habe nicht gesagt, dass ich eine Theorie hätte. Weltverbesserungstheorien sind mir suspekt.