Irgendwer muss anfangen

Weltverbesserung Konstruktive Debatten, gewaltfreie Kommunikation, gute Manieren online: An uns soll es nicht liegen – oder?

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Die Debatte um Debattenkultur bringt vor allem eins zutage: Verantwortlich für die Verwahrlosung unserer Kommunikation in Wort, Bild und Schrift sind an erster Stelle wir, die wir den Zirkus mitmachen. Wir mögen selber Hetze und Hass beklagen, uns lautstark zur Nettiquette bekennen und noch lauter Verstöße dagegen anprangern: Eine Stunde in einem beliebigen Online-Forum vermittelt den Eindruck, dass an Gesundung unserer Kommunikation gar kein großes Interesse besteht - nicht nur wegen vermeintlicher Vergeblichkeit, sondern auch, weil die Krankheit so einen Spaß macht.

Was da alles falsch läuft, wie die destruktiven Muster funktionieren, ist gründlich erforscht und wird immer wieder besprochen. Weniger Beachtung finden Konzepte zur Verbesserung unserer Kommunikationspraxis und Debattenkultur. Dabei gibt es sie doch, und sie werden seit der Entstehung der Sprache angewendet: Wenn verbale Kommunikation nicht gelingen könnte, hätte sie es nicht unter die Hauptmerkmale unserer Spezies geschafft. Theoretisches dazu findet sich früh in der Philosophie, aber auch moderne Wissenschaften (Konfliktforschung, Kommunikationsforschung, Hirnforschung) sind damit befasst und haben interessante Erkenntnisse formuliert. Diese werden leider oft schnell und pauschal als akademischer Luxus abgetan:

Konstruktive Debatte? Aktives Zuhören? Gewaltfreie Kommunikation? Sicher schöne Ideale, die aber z.B. für Social Network-Gefechte nicht praktikabel, wenn nicht sowieso mühsam und unsexy klingen und im rücksichtslosen Alltag wie im aggressiven medialen Geschrei eh keine Resonanz finden. Meinen wir, und wissen auch gleich Beispiele zuhauf.

Das Destruktive wird allem Anschein nach als attraktiver empfunden, jedenfalls für erfolgreicher gehalten. Das mag damit zusammenhängen, dass wir uns die Welt als Kampfschauplatz vorstellen, in dem sich die Stärksten, Schnellsten, Brutalsten, Lautesten ect. durchsetzen. Mit unserer Konditionierung, die einfach davon ausgeht, dass persönliche Durchsetzung das einzig mögliche Anliegen jedes Menschen ist. Dann tun wir so, als ließe sich Kommunikation in aktive und passive Rolle aufteilen und ein gelungenes Gespräch sei schon, wenn jede*r mal zu Wort kommt. Wir sind dabei hauptsächlich auf den Moment konzentriert, in dem wir selber dran sind. Es ist oft wichtiger, etwas zu sagen, als verstanden zu werden, und was Andere sagen, interessiert nur bezüglich dessen, was wir darauf antworten können. Das alles hat mit gelungener Kommunikation nur entfernt zu tun.

Wir haben da überhaupt ein Repertoire von Annahmen, die wir als erwiesene Tatsachen behandeln, die aber im Einzelnen eigentlich zu hinterfragen wären: Gewalt sei das wirksamste Mittel zur Durchsetzung. Egoismus sei das letztliche Grundmotiv allen Handelns, gleichzeitig aber der sozialen Realität als „Böses“ entgegengesetzt, das es zu überwinden gilt. Machtstreben und Konkurrenz seien die einzigen Faktoren, die die Evolution befördert hätten - bis zur Krone der Schöpfung und dem Kapitalismus als Gewinner unter den Gesellschaftssystemen. Aber ist das wirklich so?

Zumindest ist es eine sehr einseitige Erzählung. Die Evolution arbeitet wohl nach dem Prinzip survival of the fittest, (wobei fittest ja schon ein sehr vielmeinender Begriff ist), an dem sich langfristig eine Spezies, aber nicht grundsätzlich das Individuum zu messen hat: Auch einem zeugungsunfähigen Lebewesen gesteht die Natur ein ganzes eigenes Leben zu, und ein Rudel besteht nicht nur aus Alphatieren. Biosysteme funktionieren nicht zum einseitigen Nutzen eines Teils, sondern zum gegenseitigen Erhalt. Man könnte die Evolution auch als Geschichte der Kooperation erzählen. Ebenso wie die Zivilisation nicht nur eine Geschichte der Gewalt ist, sondern ebenso menschliche (und evolutionär sinnvolle) Eigenschaften wie Empathie, Begeisterung, Kreativität, Solidarität und Sinnsehnsucht eine Rolle gespielt und uns nicht nur zur Kunst, Musik, Literatur angetrieben, sondern auch auf so irre Ideen wie Demokratie und die Erklärung der allgemeinen Menschenrechte gebracht haben.

Im Übrigen ist Friedfertigkeit nichts für Feiglinge und mehr als eine Ausrede für Kampfunfähige. In Konflikten eine andere Option in Betracht zu ziehen als den stumpfen Automatismus von Gewalt und Gegengewalt, erfordert Phantasie und Mut, kann zu erweiterter Handlungsfähigkeit führen und tatsächlich eine Dynamik ändern, die eben noch zwangsläufig schien. Wer es erlebt hat, wo ein ideeller Konflikt drohte, handfest zu werden, weiß: Deeskalation ist eben nicht das Zurückweichen vor Gewalt, sondern im Gegenteil eine Technik, die sich durchsetzen will und kann.

Gewaltfreier Widerstand hat immer wieder Geschichte geschrieben – in großem Stil in unserem Land zuletzt mit dem Ende der DDR. Offensive Wehrlosigkeit kann eine große Kraft haben. Die pazifistische Idee überhaupt ist die, dass Gewaltlosigkeit eben nicht zwangsläufig von Gewalt weggefegt wird, sondern die letztendlich bessere Überlebensstrategie darstellt, wie auch Frieden und Gerechtigkeit kein zivilisatorischer Luxus sind, sondern existenzielle Voraussetzungen für den Fortbestand unserer Spezies.

Gewaltlosigkeit ist weniger die stolze Stimme der Ohnmacht als vielmehr eine Herausforderung, die dreist auf eine Karte setzt: Ein Menschenbild, das uns als soziale Wesen wahrnimmt, zu deren Grundausstattung die Empathie ebenso zählt wie die Aggression. Die Überzeugung, es gäbe ein allgemein menschliches Empfinden, das von Liebe ebenso stark beeinflusst wird wie von Angst. Vertrauen in das nicht nur kulturell angeschraubte, moralisch auferlegte, sondern tief evolutionär verwurzelte Gute im Menschen a.k.a. Mitgefühl: Die alten Reflexe und Spiegelneuronen, die uns Babys anlächeln, Straßenhunde adoptieren und im Kino heulen lassen, aber auch eine natürliche Hemmschwelle in uns errichten, die wir überwinden müssen, bevor wir z.B. jemandem mit der Faust das Nasenbein brechen können.

Ein beeindruckendes Dokument dieser Kraft ist die kurze Szene aus dem Juni 1989 in Peking, wo sich ein als Tank Man“ in die Geschichte eingegangener Unbekannter auf dem Tian’anmen-Platz einem Panzer in den Weg stellte. In erster Linie ist natürlich der Mann vor dem Panzer als unfassbar mutiger Akteur zu bestaunen. Aber der andere Held der Szene ist der Panzerfahrer, der vor dem unbewaffneten Zivilisten kapituliert. Ein Soldat, der während des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens an der Spitze einer Panzerkolonne fuhr, wird ein Mann gewesen sein, zu dessen Ausbildung und Beruf es gehört, empathische Regungen auszublenden, und einer brutalen Machtdemonstration ist wohl kaum etwas schädlicher als mit einem Ohnmächtigen zu diskutieren. Aber etwas, das stärker ist als alles Gewalttraining hielt den Soldaten davon ab, den Einzelnen, den Wehrlosen, den empörten Mann mit den Einkaufstüten zu überrollen. Ob es für ihn berufliche Konsequenzen hatte, dass er menschlich reagierte? Wir wissen nichts über ihn, wie auch das Schicksal des Tank Man unbekannt ist. Aber sie beide sind Akteure der Begebenheit: Hätte der Panzerfahrer nicht angehalten, wäre die gleiche Szene ein Dokument schlimmster Unmenschlichkeit geworden. Er hat aber angehalten.

Zu einer Interaktion gehören immer mindestens zwei Personen, und jede nimmt Einfluss auf ihren Verlauf. So ist es auch bei Debatten und persönlichen Auseinandersetzungen. Für eskalierende Konflikte, wir kennen es von Kindheit an, bedeutet das: Solange mit gleicher Münze vergolten wird, geht es immer weiter, wird immer noch eine Schippe draufgelegt, scheint es immer unmöglicher, eine andere Lösung zu sehen als die Vernichtung des Gegners. Was dem Einen als Angriff gilt, sieht das Andere als reine Verteidigung und umgekehrt. Kriegführende Staaten wie ganz normale Gewalttäter oder Streitende sind sich in diesem Punkt einig: Alle haben lediglich reagiert auf das, wozu sie provoziert wurden.

Nun ist die einzige Möglichkeit, diese Dynamik anzuhalten: Irgendwer muss aufhören. Einseitig. Eine*r muss aus der Logik von Ursache und Wirkung aussteigen. Es ist dies ein sehr riskanter Moment. Nicht nur, weil wir (aus unserer Sicht) aufhören, uns zu verteidigen, was uns nach den Parametern des Kampfes in eine verletzliche Lage bringt. Sondern auch, weil aufgrund unserer oben beschriebenen Konditionierung schnell die Vorstellung entsteht, die andere Seite hätte damit den Streit gewonnen, hätte sich an diesem Punkt durchgesetzt und damit Recht bekommen: Das Aufhören käme der Kapitulation gleich. Die einlenkende Seite habe mit einem Zugeständnis auch alle Verfehlung auf sich genommen und die Sache sein nun zugunsten der anderen Seite erledigt.

Dabei ist mit dem Aufhören noch gar nichts erledigt, sondern im besten Fall nur der kompletten Vergeudung von Energie ein Ende gesetzt. Erreicht ist nichts als ein Break in der Zwangsläufigkeit: Eine Chance für die andere Seite, nicht mehr mit Gegengewalt reagieren zu müssen … Wenn es wirklich darum geht, einen Konflikt zu lösen, ist dies nicht das Ende einer Auseinandersetzung, sondern erst der Beginn eines Prozesses, bei dem am Ende keine Seite triumphieren wird, sondern nur alle gewinnen und verlieren können.

Für die konstruktive Debatte gilt wiederum: Irgendwer muss anfangen. Zum Beispiel damit, auf die kritisierten Muster, Reflexe, Mechanismen selbst nicht mehr einzugehen: Die eigenen Äußerungen wie die der Anderen auf Interesse, (Miss)Verständlichkeit, Tonfall, Zielrichtung untersuchen, das eigene Engagement auf Notwendigkeit hin befragen. Ein großer Teil unserer Online-Kommunikation besteht darin, Fehdehandschuhe hinzuwerfen und aufzunehmen: Ließen wir sie einfach mal liegen, wäre es gleich viel ruhiger in den Foren.

Zu besprechen gäbe es immer noch genug, und Kritik hätte sogar bessere Chancen, Gehör zu finden, wenn wir uns abgewöhnen könnten, sie immer nur in der Sprache des Angriffs, der Anklage und Herabsetzung zu formulieren.

Aber nicht nur dem Sprechen sollte unsere Aufmerksamkeit gelten. Widmen wir uns einer vernachlässigten Gesprächstechnik von elementarer Bedeutung und Wirksamkeit, die beim analogen Gespräch einfacher, aber auch ins Virtuell- Schriftliche übertragbar ist: Zuhören, das mehr ist als Zurückhaltung, mehr als das Einräumen einer Pause, in der Andere reden. Zuhören ist der Schlüssel zum Verständnis der Sache und des Gegenübers und, wie wir seit Momo wissen, eine Superkraft.

Prof. Lyman K. Steil und seinen Erkenntnissen zum aktiven Zuhören zufolge hängt das Gelingen einer Kommunikation zu 51 Prozent vom Zuhörer ab. Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht: Zuhören ist eine Tätigkeit, die in verschiedener Qualität ausgeübt wird und unter anderem deswegen eher unbeliebt ist, weil sie anstrengender sein kann als das Mitteilen. Es ist darüber hinaus auch eine Haltung, und zwar: Eine freundlich zugewandte, am Gegenüber interessierte. Freundliche Zugewandtheit aber gehört zu den Dingen, die sich nicht erzwingen lassen.

In der Regel reicht es auch leider nicht zur gelingenden Kommunikation, wenn eins der Beteiligten sich gut aufs Zuhören versteht. Die Rollen von Mitteilen und Zuhören wechseln im Verlauf von Gespräch oder Korrespondenz, und Verständigung wird da scheitern, wo sich nur eins als dauerhaft unwilliger oder unfähiger Zuhörer erweist. An der Qualität des Zuhörens lässt sich aber (fast noch besser als an den Worten) bestimmen, in welchem Verhältnis die betreffende Person zum Gegenüber und zur Sache steht und welches gemeinsame Interesse vorhanden ist oder nicht. Ganz ohne Interesse am Konstruktiven, ohne ein Minimum an freundlicher Zugewandtheit, und sei es nur einer gemeinsamen Sache gegenüber, hat Kommunikation eigentlich keinen Sinn. Und sollte auch nicht erzwungen werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Charlie Schulze

"Bei meinen Feinden, zuweilen, finde ich Zuflucht vor meinen Genossen." (Peter Rühmkorf)

Charlie Schulze

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