Keine Witze mehr

Humorverständnis Für Satire und Redefreiheit "Nazi" geworden? Und schuld war die Political Correctness? Der Fall Elmar Hörig

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Ein Gespenst geht durch die virtuellen Eckkneipen und Wohnzimmer der Leute ungefähr meines Alters: Das Gespenst einer Stimme aus unserer Jugend ... 30 Jahre später wieder von ihr zu hören, löst bei uns keine Freude aus, sondern Irritation, Verstörung und Bedauern: Denn Elmar Hörig, heißt es, sei ein Nazi geworden... Jetzt mal abgesehen davon, was Nazi genau heißen soll: Elmar Hörig? Unmöglich. Sicher ein Missverständnis. Es ist ja schnell mal einer ein Nazi, heutzutage. Wir machen uns weiter kundig, gehen zur Quelle, und dort sieht es gar nicht gut aus … Trotzdem: Hängengeblieben, okay. Ein älterer Herr, der den Knall nicht mehr hört, gut. Ein unwürdig Entgleister, meinetwegen. Aber ein Nazi?

Für alle, die alters- und/oder Sendegebiet-bedingt nicht wissen, von wem die Rede ist: Elmar Hörig war in den 1980ern ein populärer Radio-Entertainer… Erstaunlich viele Menschen reden ja heute von den Achzigern als einer Ära, in der noch alles gut war. Das wirkt vielleicht so, von heute aus - damals, in den 1980ern, waren die Achziger ein fieses und hässliches Jahrzehnt. Aber in den Jahren zwischen Strafmündigkeit und Volljährigkeit nimmt eins, was es kriegt - in meinem Fall einen Radio-Recorder und Sendungen wie Pop Shop und die Elmi Radio Show.

Letztere war das Werk von Elmar Hörig, der im piefigen Baden -Baden bei SWF3, dem Jugendsender für die südwestdeutsche Provinz, wahrhaftig so etwas wie DJ-Kultur nach US-Vorbild betrieb: Eine regelmäßige mehrstündige Sendung in Eigenregie zu bestücken, betexten, beschallen und damit zu einer popkulturellen Marke zu werden, das ist hierzulande nicht vielen Radioleuten gelungen. Aber davon wussten wir nichts. Wir hörten eben das Programm, das der Rundfunk mittels Popmusik an uns als Zielgruppe sendete.

Elmar Hörig war die markante helle, schnelle Stimme, die immer in die Musik reinquatschte und deswegen auf viele Mixkassetten (für die Jüngeren: eine frühe Form des illegalen Downloads) geriet. Aber auch: Die Stimme, die uns mit unablässigem Geblödel von Schulaufgaben und Teenie-Katastrophen ablenkte. Eine Stimme, an der man die eigenen Versuche orientierte, gleichzeitig jung, cool und witzig zu sein... Elmar Hörig hat einem Teil meiner Generation die frühe Jugend etwas erträglicher gemacht. Wenn sich auch damals die Wenigsten die Mühe gemacht haben werden, postalisch beim Südwestfunk um ein Autogramm zu bitten und die meisten von uns seinen weiteren Weg nicht verfolgt haben werden, erinnern wir uns doch alle an ihn, mehrheitlich in Sympathie und Respekt.

So ist dann auch „tragisch“ der häufigste Kommentar rund um den Nazi-Verdacht und die letzten Schlagzeilen, die von ihm als Hetzer und Hasser kündeten. Denn Elmar Hörig ist nicht, wie es sich für einen popkulturellen Säulenheiligen nach dem Karrie-Zenit gehört, in einer seriösen Kulturnische oder im Ruhestand verschwunden, um sich nur für Jubelfeiern und rückblickende Interviews noch einmal in mildem Glanz zu materialisieren. Nein, Elmar Hörig tut genau das, was eine tragische Figur nach einem nicht enden wollenden Karriereende tut.

Er ist eifriger Nutzer eines öffentlichen facebook-Profils, auf dem er unter Verwendung von Unmengen Emojis mit laufend neuen Witzchen, Sprüchen und Kommentaren zum Weltgeschehen aufwartet. Was die verbliebenen Fans nutzen, um Kontakt zu suchen und es Hörig wiederum möglich macht, letzte Reste einstiger Verehrung und Wichtigkeit zu genießen. Aber damit, dass er das öffentliche Interesse an seiner vergangenen Prominenz und seine damalige Rolle als beliebter Radio-DJ mit der Relevanz seiner heutigen Existenz und seiner privaten aktuellen Ansichten zu allem verwechselt, bricht er eine der elementaren Regeln zur Wahrung der Würde im Showgeschäft: Die Grenze und den Unterschied zwischen öffentlicher und privater Person zu kennen und zu beachten. Darin liegt die Tragik.

Die Verstörung, die er auslöst bis hin zum Nazi-Verdacht, liegt an den Inhalten, die Hörig bei seiner Elmi-facebook-show meistens in Form von flotten Sprüchen raushaut - ganz wie damals am Mikrophon, so scheint er selbst es zu sehen… Aber ach: es ist etwas so anderes. Nicht nur, dass die Musik dazwischen fehlt - es fehlt die komplette akustische Dimension - und „Elmar Hörig“ war die längste Zeit nichts als Stimme... Die Radio-Sprüche bestanden nicht nur aus Worten, sondern auch aus Klang, Betonung, Tempo und Dynamik, die dem Inhalt zusätzliche Eindrücke hinzufügten. Nicht nur das eindeutig humoristisch Gemeinte kam dabei besser zur Geltung als durch 15 Tränenlachende Smileys, sondern auch die jeweilige Nuance konnte die Stimme transportieren: Ironie, Frivolität, Lästerei, Kalauer, parodistische Anspielung und vieles mehr…Vielleicht wäre alles ganz anders, wenn er statt einer facebook-Seite wenigstens einen youtube-Kanal betreiben würde…

Oder auch nicht: Der Tenor seiner Kommentare zu linken Hohlbirnen und der Bedrohung der Zivilisation im Allgemeinen wie der Meinungsfreiheit im Besonderen nicht nur durch Völkerwanderungen und Zwangs- Islamisierung, sondern auch durch Gutmenschen, Tunten, Lügenpresse, Pädo-Partei ect. lässt wenig Interpretationsspielraum offen, welches ungefähre Weltbild der ältere Hörig pflegt: Ein Humanist ist es in der Tat nicht, der hier witzelt. Auch kein Diplomat. Sondern vielmehr einer, der sich fest vorgenommen hat, sich von linksversifften Gender-Gutmenschen das Negersagen nicht verbieten zu lassen, und auch keine Witze über Feministinnen, Schwule und Asylanten, und auch nicht über Josef Mengele, oh nein... Und sollte es den Posts auch insgesamt deutlich an Esprit mangeln, mögen sie völlig eindimensional und tatsächlich von Hetztiraden und rechtsaußen-Pöbeleien, die nur noch wenige lustig finden, nicht mehr zu unterscheiden, von ihm nicht mal lustig gemeint und also gar keine Witze mehr sein: Er zieht das durch. Es hat mehr was von einer Zwangshandlung als von Unterhaltung oder gar politischem Diskurs.

Verbitterung spielt dabei wohl eine Rolle. Laut Wikipedia hat er mehrere Kündigungen in seiner Laufbahn wegen unangemessener Ausfälle gegen Minderheiten bekommen, bzw.: wegen der allgemein zunehmenden Zensur humoristischer Stilmittel, je nach Betrachtungswinkel. Hörig selbst scheint sich als Opfer der Political Correctness wahrzunehmen, oder auch als tapferen Humoristen im zunehmend aussichtslos werdenden Kampf gegen eine Meinungsdiktatur, die einem Entertainer verbieten will, Witze zu machen. Und da ist, zumindest vor seinem Hintergrund, auch wieder was dran…

Ja, doch. Erinnern wir uns noch einmal an die Achziger: Der Begriff „politisch korrekt“ existierte tatsächlich schon, war aber die Angelegenheit winziger Randgruppen, ebenso wie Gendergerechtigkeit, Veganismus, die Gefährdung der Ökosysteme, die Europäische Gemeinschaft – all dies gab es schon. Aber was heute Gesellschaftsdiskurs ist, waren damals die exotischen Interessen von ein paar Freaks, von deren Existenz man gerade genug gehört hatte, um sie als Kuriosität in einen Witz zu packen, wie auch alles andere in Witze gepackt wurde: Das war der Job. Zuzeiten der Elmi Radio Show wurden kulturell bereits die Weichen zu Privatfernsehen und Spaßgesellschaft gestellt, während man in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten noch dabei war, die Entwicklungen von ´68ff zu verarbeiten. Was im Falle eines Jugendsenders bedeuten konnte, ein Image des frechen, frischen, lockeren, sich vom „Seriösen“ absetzenden, im damaligen Sinne eben „Jugendlichen“ zu pflegen. Wozu neben der entsprechenden Musikauswahl auch ein schnodderiger Moderator gehören konnte, der gerade dadurch zum Kultstatus kam, dass er die Grenzen von Höflichkeit und Anstand überschritt, wie das damals noch hieß.

Zu dieser Zeit schrieben ja auch Menschen empört an den Sender wegen der unziemlichen Worte eines Entertainers: Es waren nur andere Worte, die Empörung hervorriefen (und die Briefe wurden von Hand geschrieben, frankiert und zur Post gebracht). Ob in diesen Schreiben Bedenklichkeiten geäußert wurden betreffs des verderblichen Einflusses des Moderators auf die jugendlichen Hörer, entzieht sich meiner Kenntnis, aber es ist anzunehmen. Damals war das aber anders gemeint als heute und bedeutete für den Empfänger der Kritik eine Auszeichnung, eine Bestätigung seines Auftrags als frecher, frischer, tabuverletzender Regelbrecher und Ewigjugendlicher. Dass ihn diese Attitüde gut 20 Jahre später seine Jobs kosten sollte, muss ein Elmar Hörig, innerlich hängengeblieben in seinen Glanzzeiten, als zutiefst unfair und kränkend empfinden. Für ihn muss es so wirken, als fänden sich heute rechtsaußen die letzten Mitstreiter im Kampf gegen alle, die ihm die Karriere versaut haben und das Recht der freien Rede mit Tugend-Terror und Rücksichtnahme-Forderungen bedrohen. Und von rechtsaußen kommt schließlich auch der letzte Applaus für seine "Witze".

Unser Humorverständnis hat sich gewandelt, wahrhaftig. Es ist aber (so oder so) wenig realistisch, zu erwarten, dass über immer mehr Themen keine Witze mehr gemacht werden. Gelacht wird ja doch. Manchmal auch von der falschen Seite. Aber ein Witz ohne Risiko ist auch kein Witz. Humor lebt von Fallhöhen, von Grenzüberschreitungen, von imaginierten Katastrophen, von Schrecken, von Tabus, von Konflikten und Klischees. Ohne diese Voraussetzungen wird es nicht lustig. Moralische Kriterien wie die Vermeidung von Respektlosigkeit und die Gleichwertigkeit aller Geschöpfe sind kein guter Maßstab für Humor. Die Kunst der Formulierung und des Vortrags macht den Unterschied zwischen guten und schlechten Witzen. Worüber gelacht wird, entscheidet am Ende die Mehrheit, die durchaus auch Tabus hegt. Aber auch diese ändern sich mit der Zeit und per Mehrheit, wie auch die Witze sich ändern, und die Leute, die sie erzählen: Drastisch, in ein paar Jahren ... Geringfügig, auf längere Sicht.

Übrigens: In den Achzigern gab es auch etliche Nazis. Also: die richtigen, historischen Nazis, die Mutterkreuze und Eiserne Kreuze noch vom Führer persönlich bekommen hatten und nun in Rente waren, nachdem sie den Krieg verloren und das Land wieder aufgebaut hatten. Ich habe einige dieser Leute kennengelernt: Sie hatten wenig Sinn für Humor egal welcher Couleur, aber sie pflegten eine Menge Tabus und wussten genau, was sich gehört und was man auf keinen Fall tut und sagt. Sie waren ängstlich und borniert, kamen in der neuen Zeit nicht mehr zurecht und hielten nichts von den Einflüssen anderer Kulturen. Sie sorgten sich um die Verwahrlosung der guten Sitten und schrieben Briefe an den Rundfunk. Sie hassten Elmar Hörig und alles, wofür er stand, und sie hätten es als Beleidigung des Nationalsozialismus empfunden, Elmar Hörig einen Nazi zu nennen.

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Geschrieben von

Charlie Schulze

"Bei meinen Feinden, zuweilen, finde ich Zuflucht vor meinen Genossen." (Peter Rühmkorf)

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