Mit meinen Worten

Gender-Debatte Korrekt-Sprech oder Sprachsorgfalt? Ein Versuch über den Gender-Diskurs in traditioneller Schreibung

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Letztens las ich im Blog einer laut Selbstauskunft white-passing hard-femme queer Person of Color. Es ging unter anderem um den oder das Public Display of Affection, Tokenisierung und liberales Pink-washing, auch um mangelnde Awareness, nicht aber darum, Oppression Champion zu werden. Oder so.

Wohlgemerkt, es handelte sich um einen Text in eigentlich deutscher Sprache, und selbst das Englisch-Wörterbuch konnte nur bedingt helfen. Ohne Suchmaschine und eine vage Vorkenntnis hätte ich keinen einzigen Satz verstanden. Wirklich beindruckend war dann aber der Kommentarstreifen, darin nicht nur keine Verständnisschwierigkeiten geäußert wurden, sondern sich ein Jedes scheinbar routiniert der gleichen Ausdrucksweise befleißigte. Ich befand mich auf der informiertesten Ebene des Gender- Diskurses: Educated-class-passing. Oder so.

Dies kann nun eine Mehrheit skurril finden. Dass aber die Person, die solches verfasst, evtl. einen durchaus klugen, bedenkenswerten Inhalt transportiert, erschließt sich nur hartnäckig Interessierten oder ohnehin Eingeweihten. Was für die Sache bedauerlich ist und bei mir nicht zum ersten Mal die Frage aufwirft, ob sich das alles nicht auch in mehrheitlich verständlichen Sätzen und gebräuchlichen Worten sagen ließe.

Der Wunsch nach Dekonstruktion der Geschlechternormen, ein Hauptanliegen des Gender-Diskurses, ist ein Thema, das auch mein völlig un-akademisches Leben geprägt hat, mehr noch: bei dem ich als Neunjährige schon mühelos hätte folgen können. Die Frage, was mein Mädchen-sein mit meinen Interessen, meiner Kleidung, meinem bevorzugten Habitus zu tun haben soll, konnte mir damals niemand einleuchtend beantworten; und dass sich andere Kinder scheinbar konfliktfrei in die Erzählung einer Welt der Mädchen und Jungs fügten, erklärte mir nicht die unbedingte Notwendigkeit, beim feierlichen Auftritt des Schulchors einen Rock zu tragen. Die leidigen und lästigen Vorstellungen davon, was weibliches, was männliches Verhalten sei, wie „eine Frau“ (nicht) zu gehen, zu sitzen, zu sprechen hat (und immer wieder: warum eigentlich?), haben mich über viele Jahre und Debatten begleitet, und ich kann sagen: Ich habe mich gut gehalten, bis heute. Mit meinen Worten, in der vorgefundenen Sprache und Schreibung.

Als mit dem Binnen-I der erste Versuch in Sachen Geschlechtergerechte Schreibung aufkam, war ich noch immer sehr jung und verweigerte mich der Neuerung mit einiger Borniertheit, aber doch folgerichtig: Irgendetwas an dieser Abkürzung schien mir falsch; auch ihre allmähliche Etablierung, die etwas Bekenntnishaftes hatte, etwas von Selbstversicherung der eigenen Fortschrittlichkeit, die mir eher wie ein Abwiegeln der wirklich interessanten Fragen vorkam: Substantiell ist die Anrede „BürgerInnen“ nichts anderes als eine wenig elegante Form des klassischen „Damen und Herren“ (dazu noch eine von fragwürdiger Höflichkeit: alle Angesprochenen nennen wollen, sich aber nicht die Mühe machen, es explizit zu tun…). Ein gequältes Zugeständnis an den Zeitgeist, keine wirklich neue Sicht auf die Wirklichkeit. Für mich hätte es damals schon interessanter geklungen, das Kreuzchen für „männlich“ oder „weiblich“ als wesentlichen Bestandteil jeder statistischen Befragung zu diskutieren.

Insofern rannte der Gender- Diskurs, der es in den letzten Jahren partiell aus der Hochschule in die Öffentlichkeit geschafft hat, bei mir offene Türen ein. Slogans wie „Identität ist Performance“ brauchte mir keiner zu erklären. Auch der Ansatz der Sprachsorgfalt leuchtet mir ein: dass Sprache über unser Bewusstsein die Wirklichkeit prägt, ist für die Gender-Linguistik wohl Daseinsberechtigung, aber auch mir nachvollziehbar. Allerdings: dass die angestrebte Dekonstruktion der Normative über die Dekonstruktion der Sprache erreicht werden kann, überzeugt mich bisher nicht, in der Praxis. Nicht nur, weil dieser Vorgang unter Ausschluss der Gesamtgesellschaft stattfindet. Es gibt auch einen immanenten Widerspruch: Die Befreiung von traditionellen, als falsch empfunden kodierten Beschreibungen scheint auch bei theoretisch hochgebildeten Personen nicht das Bedürfnis zu löschen, sich und andere zu beschreiben. Neue und möglichst differenzierte Zuordnungen werden benötigt, wo doch der Wunsch nach weniger Zuordnung am Anfang stand. So kommt es zu „white-passing hard-femme queer Person of Color“. So kommt es auch dazu, dass nicht nur für äußere Attribute, sondern auch für jede Form des erotischen Begehrens (das, obschon ein Teil der Identitätsperformance, vielleicht auch einfach Privatsache sein könnte) immer wieder neue Wörter in Umlauf kommen und die Eigeneinschätzung zwischen pan-, poly- und demisexuell manch eins eher in Verwirrung stürzt als in seiner Identität bestärkt.

Und damit kommen wir zum unschönen anderen Ende der Debatte, zur Seite derer, die diesen Versuchen, Bewusstsein und Gesellschaft durch (Neu-) Beschreibung zu verbessern, nicht aufgeschlossen begegnen. Die sich teils sogar ernsthaft, weil weltbildlich angegriffen fühlen. Zu Recht, sagt der Diskurs, denn nicht weniger als die privilegierten Weltbilder stehen infrage. Auf Seiten der Verständnislosen kommt aber alles in absurder Verkürztheit an, die dann vom Gegenteil dessen spricht, was eigentlich gemeint war. Wie das sehr populäre Missverständnis, dem Gender-Diskurs gehe es um Gleichschaltung, um das Negieren aller Unterschiede, den Raub der Identität. In Kreisen besonders uninformierter Paranoisierter gilt das Fach Gender-Studies gar als strategischer Teil der neuen Weltordnung, die die Menschheit versklaven möchte und zu diesem Zweck flächendeckende Gehirnwäsche verbreitet… Natürlich wird dabei Orwells Neu-Sprech ins Feld geführt (nebenbei bemerkt: von einer Lobby, deren eigene Propagandaleistung darin besteht, Begriffe wie Gutmensch und politisch korrekt nachhaltig negativ zu kodieren). Sprachexperimentelle Vorschläge wie Gender-Gap oder Pronomen-x werden als übergriffige Verordnungen gelesen. Manch eins sieht sich im Geiste schon in Haft wegen Verwendung unbotmäßigen Vokabulars … Auch das hat sein Komisches, ebenso wie der Korrekt-Sprech bzw. die aktuellen Versuche in Sprachsorgfalt selber.

Nun ist es aber nicht der eigentliche Zweck eines Diskurses, dass die Beteiligten in verschiedenen Zungen reden und das Publikum was zu lachen hat - was zur Frage zurück führt, ob sich das alles nicht auch so sagen ließe, dass es verstanden werden kann. Ob es der Verbreitung konstruktiver Gedanken nicht gut täte, wenn man die Einladung, mitzudenken, nicht mit derart elitären Voraussetzungen wie einem Studium der Linguistik belegen würde? Ob es, einmal dabei, für die Gender Studies nicht eine reizvolle und lohnende Aufgabe darstellen könnte, all die eingangs genannten adaptierten englischen Begriffskonstrukte in unsere Sprache zu übertragen, wenigstens versuchsweise? Auch: Ob die coole Theorie wohl zwangsläufig an der Wirklichkeit zerbräche, wenn sie aus der Komfortzone eines Codes zwischen Informierten herausträte - oder ob sie dabei lediglich ein paar Federn ließe, und was dann von ihr bliebe?

So, wie die Dinge liegen, wäre es vielleicht gut, noch einmal nachvollziehbar über das grundsätzliche Anliegen aufzuklären. In traditionellen Worten. Für alle, die inhaltlich eventuell sogar beipflichten würden, wenn ihnen klar wäre, worauf diese komischen Gender-Leute eigentlich hinaus wollen. Dass es ihnen nicht darum geht, „Frauen zu Männern“ zu machen, nicht um Auslöschung von Identität, nein - es geht um das genaue Gegenteil: Die Feststellung, dass wir eben nicht alle gleich sind, sondern alle verschieden, und dass Geschlecht nur eins von vielen Merkmalen ist, die uns zum Individuum formen… Es geht um Inhalte, denen doch eigentlich eine satte Mehrheit beipflichten dürfte: das Recht auf freie Entfaltung einer jeden Person und ein respektvolles Miteinander in einer immer noch nicht besseren Welt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Charlie Schulze

"Bei meinen Feinden, zuweilen, finde ich Zuflucht vor meinen Genossen." (Peter Rühmkorf)

Charlie Schulze

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