Nett sind sie alle

Debattenkultur Abgrenzung gegen Ausgrenzung: Müssen wir Gegner hassen? Ist Verständnis schon Zustimmung? Ist Höflichkeit eine Haltung?

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Der bemerkenswerteste Satz, den ich im letzten Jahr im deutschen Fernsehen gehört habe, war eine einfache Feststellung, in der viel zusammenläuft, das unsere Diskurse um Spaltung der Gesellschaft, Hass und den allgemeinen Umgangston der Debatten betrifft. Der Satz war völlig zutreffend, kam aber aus denkbar unangenehmer Richtung… Überhaupt, die ganze Situation war bizarr: Ein tief ambivalenter Moment und eine Sternstunde journalistischer Arbeit…

Netter Nazi

In der NDR-Reportage „Im Nazidorf“ redet Michel Abdollahi, iranischstämmiger Hanseat und letzter echter Gentleman der deutschen Showmoderation, bei Grillgut und Kartoffelsalat mit Sven Krüger, einem kantigen 40jährigen mit Vorstrafenregister, der seinerseits nichts dabei findet, vor der Kamera als öffentliche Stimme eines Nazidorfs zu sprechen… Er kann halt mit dem Begriff Nazi nichts anfangen: Er sei eben anderer Meinung als sein Gegenüber - aber man könne ja trotzdem miteinander reden, findet er.

Überhaupt ist Sven Krüger, wenn man ihn so hört, ein ziemlich gelassener Mensch, der beispielsweise den Wegweiser zu Hitlers Geburtsort (Braunau a. Inn 855 Km) in Jamel, Mecklenburg-Vorpommern, gar nicht problematisch findet. Mehr noch: Er deutet an, es sei um die Verfassungskonformität dieses Wegweisers bereits ein Rechtstreit gewonnen - ganz korrekt und legal und im Rahmen geltender Gesetze – und erzählt es wie einen gelungenen Schülerstreich. Allgemein scheint ihn die Aufregung um sein Neonazi-Dorf eher zu amüsieren.

Krüger selbst hat laut Eigenauskunft mit gewalttätigen und strafbaren Handlungen aus Altersgründen abgeschlossen. Andererseits spricht er schulterzuckend von „Volkszorn“ wie einer Regel der Physik, mit der gerechnet werden muss. Wenn, wie im hypothetischen Beispiel, das Abdollahi aufbringt, von Seiten einer Obrigkeit beschlossen würde, einen Wohncontainer für Asylsuchende auf eine einheimische Wiese zu stellen, wäre dies für den gemütlichen, humorvollen Mann dann doch eine - real gar nicht vorstellbare - Provokation: Schließlich wisse man inzwischen bundesweit um den einschlägigen Ruf Jamels… Da müsse man direkt auch Polizisten zur Bewachung abstellen und sich dennoch um die Sicherheit der Asylsuchenden sorgen… Das kann niemand wollen, befindet Sven Krüger, und wieder klingt er gar nicht feindselig, sondern ganz vernünftig und friedlich.

Michel Abdollahi aber ist ein derart zäher Menschenfreund, dass er auch diese aalglatte Drohung nicht glauben möchte und an das Gute im Nazi appelliert: Er könne sich vorstellen, dass Krüger, mit einer realen Flüchtlingsfamilie konfrontiert, nicht Terror verbreiten, sondern Nachbarschaftshilfe leisten würde… Daraufhin jener:

„Das Problem ist: Wenn man sie wirklich kennenlernt, kann man sie nicht hassen.“

Präziser lässt es sich nicht sagen: Genau das ist das Problem – und es betrifft nicht nur Sven Krügers Verhältnis zu Asylsuchenden, sondern genauso Michel Abdollahis Verhältnis zu ihm, und das Publikum gleich mit: Es ist spätestens an dieser Stelle der Reportage praktisch unmöglich, den bekennenden Fremdenfeind nicht irgendwie auch sympathisch zu finden.

Feindbilder

Das wirft einen Konflikt auf, den viele von uns persönlich, aber auch wir alle als (Debatten-) Gesellschaft haben. Wir wollen den Nazi, um beim Beispiel zu bleiben, nicht sympathisch finden. Wir wollen ihn dumm, fies und lächerlich finden, und je mehr er diesem Wunsch nachkommt, desto beruhigender wirkt das auf uns. Es ist die größtmögliche innere Distanz, die wir suchen: Wir wollen sicher sein, nichts mit ihm gemein zu haben. Wir wollen uns nicht mit ihm zusammensetzen, sondern klare Verhältnisse: Wir wollen uns abgrenzen. Gegen Nazis.

Dazu nutzen wir viel zu oft eine Technik, die auch dem Faschismus himself geläufig ist: Ausgrenzung. Der Andere wird als solcher mit einem Label gekennzeichnet, zu dem man sich selbst in maximaler Distanz verortet. Nun wird der Andere nicht mehr als Person wahrgenommen, sondern als Projektionsfläche für alles, was man selber nicht sein möchte. Das Ergebnis dieser Projektion darf man nicht nur hassen, man hat sich selbst dazu verpflichtet und dient der guten Sache, wenn man es tut. Die Konfliktforschung hat dafür den Begriff Feindbild -Genese.

Der Nazi ist dafür ein (fast) beliebiges Beispiel. Da es sich bei der Feindbild-Genese um einen Vorgang aus der Trickkiste der menschlichen Psyche handelt, sind die Protagonisten austauschbar: Es ist exakt dasselbe Verfahren, mit dem wir uns auch auf Abstand zum Sexualverbrecher bringen (auf den als Feindbild sich eine so überwältigende Mehrheit einigen kann, dass rein statistisch praktisch niemand übrigbleibt, von dem in dieser Hinsicht Gefahr ausgeht)… Es könnte ebenso der Jude sein, die Lesbe, der Intellektuelle, die Bullette, der Türke, die Kopftuchträgerin, der Hartz4-Empfänger, die Feministin, der Sexist, die Schlampe, der junge Mann aus dem Maghreb, und so fort… :

Zu jedem Feindbild hat unsere Vorstellung ein entsprechendes Klischee, dem wir jetzt nur noch unseren Blick auf die Person angleichen müssen. In unserer Psyche wird es etwa so zugehen wie beim beliebten Bullshit-Bingo: Jedes Mal, wenn Nazi, Türke oder Feministin sich klischeegerecht verhalten, wird ein Feld abgekreuzt, und wenn wir eine Reihe haben, können wir uns ein Stück mehr distanzieren…

Nähmen wir die betreffende Person unter mehr als dem einen Aspekt wahr, würden wir sehen, dass das fokussierte Merkmal nur eins von vielen ist, dass sie uns aber in anderen Hinsichten eher ähnlich ist. Sie könnte uns nicht mehr völlig fremd, sondern an verschiedenen Punkten ganz nachvollziehbar vorkommen. Sie könnte uns sogar irgendwie sympathisch werden… Das Problem ist: Wenn man sie wirklich kennenlernt, kann man sie nicht hassen.

Indes: Auch wir selbst haben Weltanschauungen, Berufe, Charakterzüge, Schicksale, irgendeine Art Lebensmodell, Kleidungsperformance, Sexualpräferenz, Hautfarbe - verschiedenste ererbte und erworbene Persönlichkeitsmerkmale, die nicht mal immer harmonieren: Keins davon macht alleine unsere Person aus. Und doch kann ein einzelnes dieser Merkmale einem anderen Menschen Grund sein, uns als Person darauf zu reduzieren, in uns ein Klischee zu suchen, uns mit allen Attributen des Hassenswerten zu versehen… Wir alle sind Feinde in den Augen eines Anderen. Darin sind wir tatsächlich gleich.

Person und Performance

In einer anderen Sphäre, irgendwo in Deutschland: Ein paar Leute, die irgendwas mit Medien und Kultur machen, unterhalten sich über den prominenten Kollegen X, der sich in der Debatte Y mit der zutiefst peinlichen, falschen und gehässigen Äußerung Z hervorgetan hat, die nun öffentlich verhandelt wird und deswegen nicht zu ignorieren ist. In der fachkundigen Runde aber zögert man mit klaren Stellungnahmen. Alles eher unglücklich, findet jemand: Der ganze Rummel um einen dummen Spruch… Klar: Besser hätte er nichts gesagt, sind sich alle einig… Andererseits und dennoch: Eine Äußerung wie Z falle schon auch auf X zurück, da gäbe es eigentlich keine mildernden Umstände, gerade in der Sache Y… X sei mit sich selbst genug gestraft, meint eins. Ach wo, meint ein Anderes: Der Kollege X sei ein ganz Netter …Woraufhin irgendwer in der Runde sagt: „Ja, klar – nett sind sie ja alle…“

Vergleichbare Gespräche werden täglich geführt, in entsprechenden Kreisen - die Namen und Themen sind austauschbar. Es sind dies Selbstbespiegelungen zur Imagepflege und Öffentlichkeitarbeit - ein kleiner, abgehobener Diskurs innerhalb des Diskurses, der sich hauptsächlich um sich selbst dreht und seltsamerweise sehr oft in „Nett sind sie ja alle“ mündet… Sollte es sich beim Showbusiness etwa um eine besonders freundliche Branche handeln? Nein, leider, auch wenn eine dünne, glitzernde Oberfläche den Anschein machen möchte: Es ist das alte, dreckige Haifischbecken... Wie aber kommt es dann zu der gehäuften Behauptung, alle seien nett?

Dass Angehörige öffentlich tätiger Berufsgruppen (neben Kulturschaffenden z.B. auch Kellnerinnen, Polizisten, Lehrer) für sich geltend machen können, eigentlich zwei Personen zu sein - die Öffentliche und die Private – ist bekannt. Weniger geläufig ist, dass bei im Showgewerbe Tätigen noch eine weitere hinzukommt: die Professionelle. Sie ist ein Hybrid aus öffentlich und privat und auch ansonsten ein flexibles Wesen, aber sie hat ihre ganz eigene Funktion: Sie muss nach innen wie außen vermitteln und kommunizieren und tut dies weitgehend frei von Emotionen. Sie weiß, dass man sich immer mehrmals begegnet und geht davon aus, dass sich in ihren Absichten im Prinzip alle gleich sind. Sie ist ständig auf der Lauer, immer am rechnen, verbindlich, zurückhaltend, hundertprozentig korrupt und immer, immer, immer nett… Von dieser Person - vielmehr: Funktion - ist die Rede in „nett sind sie ja alle“.

Das mag sich nun alles wenig vorbildhaft, weil moralisch fragwürdig anhören. Aber hier, behaupte ich, lässt sich vom Showgeschäft und seiner Vorstellung von Professionalität tatsächlich mal was Sinnvolles lernen: Die Idee, zwischen dem authentischen Empfinden, dem schonungslosen Gedanken und der öffentlichen Äußerung desselben eine diplomatische Instanz einzuschalten... Eine Rolle, eine Funktion wahrzunehmen, die sich nichts damit vergibt, erstmal rundum ansprechbar und zugewandt, nämlich: nett zu sein – sowie den Anderen nett sein zu lassen. Im Bewusstsein, dass Person und Performance unterschiedliche Größen sind, im eigenen Interesse und im Sinne der Kommunikation werden da mögliche Funken der Sympathie nicht aufgrund von hehren Prinzipien ausgetreten, sondern sorgfältig gehegt, als Ansätze möglichen Verstehens und echter Auseinandersetzung… In meiner frühen Kindheit gab es sogar ein Wort dafür: Höflichkeit hieß diese Kulturtechnik und galt als Tugend.

Rasender Leerlauf

Nun kenne ich allerdings auch welche, die solche Konzepte als komplett wirbellos verachten und mangelnde Abgrenzung zu den Hauptübeln unserer verlotterten Gesellschaftsverhältnisse zählen. Auch das ist mir in Teilen nachvollziehbar: Ich bin sehr für eine gewisse Distanz und pflege ein inniges Verhältnis zur Verweigerungshaltung… Aber mehrere meiner Freunde sind in den letzten Monaten von coolen Misanthropen zu hitzigen Abgrenzungsfetischisten geworden und reproduzieren nun in betonschädeligster Weise das Missverständnis, eine Beschäftigung mit etwas käme der Pflicht zur Befürwortung gleich - bloßes Interesse an einer Position mache sich mit ihr gemein, ein gewisses Verständnis sei schon als Zustimmung zu werten…

So kommt es dazu, dass mich Leute fragen, warum ich noch immer diese dubiose facebook -Seite abonniert habe oder auf jener umstrittenen Veranstaltung gewesen sei. So finden sich andererseits in meinem Ausschnitt des virtuellen Netzwerks hochgebildete, debattengegerbte Linke, die schon länger nicht mehr die internationale Solidarität beschreien, sondern – mit durchaus guten, antifaschistischen Argumenten –vor Überfremdung warnen… Und es ist ihnen völlig egal, wie das klingt: Sprache hat sie nie gekümmert, warum jetzt damit anfangen? Es interessiert sie eh kaum, ob noch eins folgen kann.

Nein: Da werden fest verzurrte Meinungspakete in den Raum geworfen, und wer auch nur die Schnüre um die Verpackung entknoten möchte, kriegt gleich ein Zweites und Drittes hingedonnert. Kaum ist das Thema formuliert, werden schon die weltanschaulichen Claims mit entsprechenden Vokabeln markiert. Alles angeblich nicht mehr Sagbare und dringend zu Sagende wird kundgetan - gleichgültig, ob es jemanden erreicht oder wer im selben Forum welche anderslautenden Inhalte dazukippt… Was einzig zählt, ist die eigene Positionierung, klipp und klar... Öffentliche Selbstgespräche bei voll aufgedrehtem Volumen. Diskurse im rasenden Leerlauf, die nichts bewirken als Geifer aufzuschäumen …

Echtes Interesse

Kommunikation geht anders... Und Hass schafft man nicht aus der Welt, indem man ihn mehrt. Feindschaften taugen nur zur Selbstversicherung und Zementierung der Positionen. Verständigung, Bewegung, Erkenntnisse zur Sache und bessere Ideen kommen so nicht zustande.

Abgrenzung ist nicht Ausgrenzung, sondern, das kann man sich schön bei Michel Abdollahi abschauen, eine diplomatische Kunst... Abdollahi respektiert jederzeit seine Gresprächspartner als Personen, und er tut etwas kommunikativ sehr Schlaues: Wo er nicht zustimmen kann, fragt er weiter - völlig un-suggestiv, mit echtem Interesse. Er möchte verstehen, nicht verachten. Er verweigert sich nicht dem Gegner, aber umso entschiedener dessen Stilmitteln.

Das ist nicht nur eine starke Haltung, er hat auch recht: Um sich auseinanderzusetzten, muss man sich erstmal zusammensetzen. Überzeugend kritisieren kann man am besten Gegenstände, mit denen man sich auskennt, will sagen: für die man sich wirklich interessiert. Auch ist Bewegung in der Sache nur da möglich, wo es zu Irritationen kommt, zu kleinen logischen Brüchen im festgefügten Weltbild... Das Risiko, dass wir den Feind sympathisch finden, dass wir in Ambivalenzen geraten und nicht mehr hassen können, müssen wir eingehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Charlie Schulze

"Bei meinen Feinden, zuweilen, finde ich Zuflucht vor meinen Genossen." (Peter Rühmkorf)

Charlie Schulze

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