Peinliche Vertreter

Debatten Naidoo, Ditfurth, Elsässer, Ulfkotte: Schlimm. Lustig. Unwichtig. Bedenklich. Oder?

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Xavier Naidoo singt nun doch nicht beim ESC 2016. Das ist gut so, wenn auch irgendwie schade und ebenso völlig egal wie bedenklich ... Aber schön war es doch:

Xavier Naidoo verdanken wir, dass es am 19. Tag des Novembers im finsteren Jahr 2015 endlich mal wieder was zu lachen gab ... Die Online-Ausgabe der FAZ kredenzte eine treffliche Zusammenfassung der Ereignisse, in klassische Formulierung gemeißelt: Xavier Naidoo tritt für die von ihm so verabscheute „BRD GmbH“ beim Song Contest in Stockholm an. Das Netz ergießt sich in Spott und Häme.

Es ist nicht auszuschließen, dass die Verantwortlichen genau das beabsichtigt haben, als sie die Sache ausheckten: Die Nachrichtenlage in unserem Lande kurzfristig aufzuheitern. Und tatsächlich: Seit vielen Wochen war es nicht mehr so angeregt und lustig im digitalen Netzwerk ... In diesem Sinne ist es schade, dass der Spaß schon wieder vorbei ist.

Aber neben den Stimmen, die sich amüsierten, gab es eben auch jene, die sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ernsthaft aufregten und den NDR nun zu einem Rückzieher veranlassten: Naidoos jeweilige ideelle Distanz zu homophobem sowie nationalistischem bzw. staatsfeindlichem Gedankengut ist strittig. Dass ein eventuell schwulenfeindlicher Sänger für Deutschland zu Europas schwulstem medialen Großspektakel gehen soll, dass einer, der der BRD-GmbH-These zugeneigt ist, für Germany antritt, hat eben nicht nur die ironische Dimension. Es ging darum, ob der Sohn Mannheims geeignet sei, unser Land bei dem ESC zu vertreten. Und sicher spricht (neben seiner Musik, die aber hier nicht zur Debatte stehen, weil ruhig eine Frage der Vorliebe bleiben soll) einiges dagegen.

Absonderlichkeiten wie demonstrative Religiosität oder Reichsbürger-Interessen sind im Fall Naidoo ja keine reine Privatangelegenheit: Die entsprechenden Vorwürfe haben ihre Ursprünge in seinen Aktivitäten als prominenter Künstler und öffentliche Person: In Liedtexten, Auftritten, Interviews gab er selber den Anlass zur Frage, inwieweit er sich auch als Verkünder politischer Botschaft versteht, und vor allem: welcher. In diesem Sinne ist es angemessen, eine kompatiblere Figur nach Stockholm zu schicken.

Was das ESC- Spektakel selbst angeht: Den Iren, Slowenen und Aserbaidschanern - ach wo, schon den Dänen wird es gleichgültig sein, ob der deutsche Interpret sein Land für souverän hält oder nicht, und ob derlei dem rechten Spektrum zugerechnet werden muss: Naidoo wäre ja nicht in formaljuristischen Fragen zum Wesen des Staates angetreten: Er hätte eine schlimme Nummer gesungen, wäre bei der Punktevergabe irgendwo im Mittelfeld gelandet und übers Jahr wäre all das wieder vergessen gewesen. In diesem Sinne ist sowohl die Entscheidung als auch der Rückzieher des NDR egal.

Allerdings erhob sich darauf abermals Kritik, diesmal von Seiten der Naidoo-Befürworter und Freunden der Kunstfreiheit (darunter etliche Kollegen), die es empörend finden, dass der Sänger aufgrund von ein paar vagen Indizien und medial aufgeschäumten Angeblichkeiten als Semi-Nazi diffamiert wird. So einfach dürfe es dann doch auch nicht sein. Und diese Stimmen haben wiederum recht: Die Frage, wo rechts anfängt und ob rechts durch bloße Behauptung verifiziert werden kann, will gestellt und debattiert werden. Auch: Inwieweit ein Künstler eigentlich links sein muss. Und: Ob Kunst der Staatsräson zu folgen oder im Gegenteil diese kritisch zu hinterfragen hat. Sollten sich Künstler besser nur um ihre Arbeit kümmern oder sind sie von Berufs wegen auch der Gesellschaft verpflichtet, und könnte das auch heißen, Systemkritik zu befördern? Gute Fragen. Aber müssen wir sie echt am Beispiel von Xavier Naidoo und den Reichsbürgern verhandeln?

Unwürdige, peinliche, fragwürdige und kontraproduktive Vertreter nehmen überall Einfluss. Sie verkürzen, verkitschen und vereinnahmen die Debatten, bestimmen Tonfall und Niveau der Diskurse und stellen nachhaltige Ärgernisse dar …

Nehmen wir das Querfront-Schmierentheater unter Leitung von Jutta Ditfurth, die sich schon länger aus der Nachvollziehbarkeit verabschiedet hat, aber spätestens 2014 final dahingerafft wurde vom Wichtigkeitswahn, und sich seitdem in frappanter Selbstherrlichkeit als die einzig Kundige und unstrittige Deutungshoheit in Sachen links, rechts und Antisemitismus inszeniert. Um sich für letzteren das Definitionsrecht zu sichern, ist sie in zwei Instanzen vor Gericht gewesen. Und natürlich musste es unter allen öffentlich verfügbaren Kritikern, Charismatikern und Knallchargen unbedingt Jürgen Elsässer sein, der, mit seiner Klage erfolgreich und hingerissen von sich selbst in dieser Rolle, die andere Seite der Debatte zu vertreten meint …

Gut, könnte man sagen: Da hat ein hübsches Paar zueinandergefunden. Sie kennen sich von früher, sie sind sich stilistisch nicht unähnlich: Pathos, Eifer und ein notorisches Beleidigtsein vibrieren hinter der mühsam zusammengehaltenen Fassade bildungsbürgerlicher Arroganz, die sich als Contenance versteht. Beide sind ungefähr gleich eloquent, gleich eitel, gleich anmaßend. Sie spielen in einer Liga. Sie haben sich verdient.

Aber verdammt: Der Streit hätte es verdient, von würdigeren Vertretern ausgetragen zu werden. Warum sind Elsässer und Ditfurth Gallionsfiguren in der Antisemitismus-Sache - und nicht zwei Krawallschachteln unter fernerliefen im großen, flächendeckend geführten Diskurs?

In der momentanen Praxis bleibt einem kaum etwas anderes, als die Wahl zwischen den beiden Lagern als grundsätzlich intelligenzbeleidigend zu empfinden, sich rauszuhalten oder lange nach wiederum randständigen Mitdenkern zu suchen, die tatsächlich ergebnisoffen und nicht in die eine oder die andere festgelegte Ecke hineindiskutieren.

Dabei wären es doch eigentlich interessante Fragen für Deutschland in den Jahren 2014, 15, ff.: Wie gehen wir mit dem Begriff Antisemitismus um? Wo sind die Grenzen dessen, was er beschreibt? Wie bewahren wir ihn vor seiner Entwertung durch beliebige Verwendung? Was sollte nicht damit verschwimmen oder verwechselt werden? Wofür gäbe es bessere Wörter, und welche?

Nun wird das alles als Gezänk zwischen Jutta und Elli verhandelt. Warum wurde diesen Comicfiguren das Terrain überantwortet? Warum lassen wir es zu, dass sie die wirklich interessanten Debatten aktiv verhindern? Sie obendrein für ihre persönlichen Reklamefeldzüge okkupieren und ganz nebenbei die Deutungshoheit für sich einfordern über Dinge, die gemeinsam und sorgfältig zu besprechen für uns alle ergiebig sein könnte?

Nehmen wir die 2013 aufkeimende und 2014 massiv werdende Kritik an der Berichterstattung der großen Medienhäuser, die in einigen Fragen der globalen Politik zunehmend den Eindruck des PR-Kampagnenhaften vermittelte. Fragen zur Unabhängigkeit und Diversität unserer Informationsvermittler standen im Raum. In diese Zeit fiel eine Buchveröffentlichung mit dem interessant klingenden Titel „Gekaufte Journalisten“, das eine Offenlegung skandalöser Verhältnisse versprach und dann auch ziemlich gut gelaufen sein soll.

Der Autor war ein Mann aus der Branche mit dem Selbstverständnis des Wistleblowers, der unter Zensur litt und heute in großer Gefahr lebt. Mir war der nervöse Herr mit den steilen Thesen bis dato nicht aufgefallen, und so war ich dankbar für den Verweis auf einen Ulfkotte-Artikel von 2012, der mir eine Menge Aufwand bei der Einschätzung des Autors und die Lektüre seines investigativen Buches sparte, und den ich deswegen hier (Triggerwarnung!) weiterverlinke: Eine schockierende Einsicht in die Vorstellungswelt des Udo Ulfkotte. In der es nicht nur beachtlich xenophob und rassistisch zugeht, sondern zudem alles eine epische Dimension hat. Da kann eine Geschichte von deutschen Enten und nordafrikanischen Gänsen als Clash of Cultures – Parabel dienen …

Andererseits ist der Stiefel nämlich auch wieder hochkomisch. Für Leute, die mit sowas klarkommen, ist diese Abhandlung über die migrantische „Halbgans“ aus Ägypten, die einen „Ausrottungsfeldzug“ gegen die letzten deutschen Pommern(!)enten führt, eine ebenso haarsträubende wie unfreiwillig brillante Realsatire: Ein erlesener Schrotthaufen von fremdenfeindlichen Ressentiments, Rassismus und schwülstigen Metaphern, die in einem blutigen Thriller vom heimischen Gartenteich die düstere Vision des bevorstehenden multikulturellen Harmagedon kolportieren … Läge der leiseste Zweifel daran vor, dass Herr Ulfkotte das alles genau so meint, hätte ich nicht gezögert, ihn als großen Satiriker zu feiern.

Aber verdammt: Ist das Thema Kritik an den Großmedien denn damit erledigt? Jeder weitere Einwand mit einem Platzverweis in die indiskutable Ecke zu quittieren? Weil man zum gut begründeten Schluss kommen kann, dass Udo Ulfkotte es mindestens spannender macht als es ist, wenn nicht einen gewaltigen Sprung in der Brille hat - ist dann mit der Qualität und Diversität der Medien alles bestens? Und weil eine wachsende Anzahl von ernsthaft Zweifelnden bis Irgendwiefrustrierten in „Lügenpresse“ ein weiteres Schlagwort gefunden hat, mit dem sie ihren Unmut skandieren kann: Ist dann in Wirklichkeit gleich wieder das Gegenteil der Fall und die Tagesschau ein Verkündungsorgan der Weltwahrheit, wie vormals?

Wird durch die Herausstellung von indiskutablen Vertetern, die sich für jedes Thema finden, die Ordnung nicht allzu einfach wiederhergestellt? Wäre es da der Aufklärung nicht dienlicher gewesen, Herr Ulfkotte wäre bei seinen Enten geblieben und ich wiederum hätte ihn nicht ein weiteres Mal zum Thema gemacht?

Andererseits wieder: Hätte denn ein Diskutablerer das Wort übernommen? Oder doch wieder nur der nächste schillernde Wichtigtuer? Weil Andere, die vielleicht Bedenkenswertes beisteuern könnten, unter diesen Umständen, in diesem Umfeld, auf diesem Niveau gar nicht erst anfangen wollen? Weil sie gar nicht gebraucht werden, weil es uns dann schnell zu kompliziert würde. Weil wir gerne bei Popcorn eine übersichtliche Inszenierung verfolgen, aber inhaltlich eigentlich genervt abwinken, in unserer Verwahrlosung, unserer Beschränktheit, in unserem Wunsch, bedient und unterhalten zu werden. Weil wir lieber über die peinlichen Vertreter lachen, als uns selbst dem Gelächter zu stellen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Charlie Schulze

"Bei meinen Feinden, zuweilen, finde ich Zuflucht vor meinen Genossen." (Peter Rühmkorf)

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