Ein mir persönlich bekannter Zeitungsschreiber, den ich vor vielen Jahren einmal loben wollte und deswegen als „seriösen Journalisten“ titulierte, winkte damals schon vehement ab: Seriöser Journalist, sowas gebe es nicht, das sei ein Widerspruch in sich. Meinen Einwand, so hart könne man es jetzt aber auch nicht sagen, ließ er nicht gelten: Doch, genau so hart müsse man das sagen. Zu mediengläubig seien die Menschen, und allumfassend der Zynismus der Branche. Größtmögliches Misstrauen sei die Grundvoraussetzung für Medienkompetenz.
Das Wort war mir seinerzeit neu, aber inhaltlich bestätigte diese Aussage eher meine eigene Einschätzung des Informations-Business. Meine Erwartungen an die Qualität der Berichterstattung waren nie hoch und sind seitdem ständig gesunken. So war ich bei aller Befürwortung der Kritik an unseren Großmedien auch nie wirklich enttäuscht: Wo kein Glaube ist, gibt es nichts zu erschüttern. Den letztes Jahr plötzlich und empört quer durchs Land und Netz skandierten „Lügenpresse“-Vorwurf fand ich naiv. Ja, Kinder, dachte ich, was habt ihr denn erwartet? Umfassende, objektive, gründliche, absolut neutrale Information etwa? Die (dann tatsächlich auch laut geforderte und gerne großgeschriebene) WAHRHEIT? Ernsthaft?
„Man soll nicht alles glauben, was in der Zeitung steht“ wusste doch schon Oma, aber eben auch: „Da wird morgen der Fisch drin eingewickelt“. Praktisch alle, die mal in irgendeinem Zusammenhang standen, über den es später Presseberichte gab, können Klagelieder darüber singen, wie Inhalte dem Format geopfert wurden, Zitate verkürzt, Namen falsch geschrieben, Bilder verwechselt, Fakten verschlampt - nicht als peinlicher Fehler, der mal passiert, auch nicht immer zielgerichtet im Sinne politischer Interessen, sondern vielmehr serienmäßig in der systemerhaltenden Routine eines Betriebs, in dem alles im Moment der Veröffentlichung zu etwas wird, worin man beim nächsten Wimpernschlag schon wieder den Fisch einwickelt.
Während sie sich in der abgehobenen Welt der Leitmedien offenbar so wichtig finden, dass sie schon zum Erhalt der allgemeinen Betriebstemperatur und des eigenen Profils am Markt dauernd an der Stimmung im Land schrauben müssen und am Ende jede Maßnahme ergreifen, um selber im Gespräch zu bleiben. Journalistisches Ethos ist hier, wie jede Form der Bedenklichkeit, eher im Weg, muss aber als Daseinszweck und verklärendes Modell weiter gepflegt werden - das ist mir in seiner Immanenz durchaus nachvollziehbar.
Medienkompetenz hieße demnach, sich nicht nur mit dem zu befassen, was erzählt wird, sondern genau auf Beleuchtung, Klang und Auslassungen zu achten. Wie, wann und was nicht erzählt wird, ist mitunter aussagekräftiger als der Inhalt der Erzählung. Medienkompetenz könnte auch bedeuten, nicht auf alles einzusteigen, was einem so hingeknallt wird. Ich möchte nicht behaupten, in dieser Kunst besonders fortgeschritten zu sein, bin aber immerhin so paranoid, dass ich auf jeden Anschein von Nachdenklichkeit und Journalistischem Idealismus doppelt skeptisch reagiere. Mit erkennbaren Absichten und Eitelkeiten dagegen, mit suggestivem Gedröhne und dick aufgetragener Haltung kann ich umgehen.
„Ahjeh, der SPIEGEL wieder…“, dachte ich dann auch nur, als ich Samstagmittag den als Kommentar überschrifteten SPON -Artikel „TTIP-Demo – Schauermärchen vom rechten Rand“ in die virtuelle Reuse gespült bekam…
Ich kenne Alexander Neubacher nicht und weiß nicht, wie es in der SPON-Redaktion zugeht, aber ich hatte sofort einen Schreiber vor Augen, der am Vorabend der großen Demo gegen TTIP den richtigen Moment gekommen sah, auch mal was Kritisches zu diesen TTIP-Kritikern zu bringen. Sowas wie: Dass ja auch rechtsaußen-Gruppierungen gegen TTIP seien, die mit Räuberpistolen und Schreckensvisionen argumentieren, die in ihre national-verblasene Vorstellungswelt passen… Es wäre doch ein Kracher, dachte der Schreiber, einfach mal zu behaupten, bei den TTIP-Protesten seien „die Rechten nicht Mitläufer, sondern heimliche Anführer. Die Geisteshaltung vieler Anti-TTIP-Aktivisten ist im Kern eine dumpf nationalistische.“ Bzw: „Die Kampagne gegen den Freihandel“ sei „wie auf dem braunen Mist gewachsen“… Während er diese Sätze schrieb, hatte er schon den ausufernden Kommentarstreifen vor Augen: Oh-oh, das würde das Publikum gar nicht mögen. Aber hey, nichts schreckt einen Journalisten, der beflügelt ist von der Idee, einen Kracher zu schreiben.
Und siehe da: Auch die Redaktion verstand sofort, wie wichtig die Sache war, wie mutig und gegen den Meinungsmainstream die Zeilen sich lesen würden, und er räumte der Veröffentlichung Priorität ein. Hach, das würde Ärger geben und wieder ein paar Abonnements kosten … Aber schließlich ist man der Republik wichtigste Zeitung mit mehr als vier Buchstaben, bei der alle anderen abschreiben, und hat als solche natürlich eine große gesellschaftliche Verantwortung, die mehr wiegt als die Meinung der eigenen, ohnehin nie zufriedenen Leser. Und so wurde der Stiefel dann eigentlich recht passend betitelt mit „Schauermärchen vom rechten Rand“ und online gestellt, während in Berlin eine Viertel Million Menschen demonstrierte.
Vielleicht war es auch anders: Herr Neubacher bekam einen Anruf von der Redaktion: „Alexander, machen Sie mal schnell was zur TTIP-Demo, das möglichst viele Menschen im letzten Moment davon abhalten könnte, sich zu beteiligen. Am besten schreiben Sie die Sache in die rechte Ecke. Pegida, Querfront, Verschwörungstheorien, Neurechte, das volle Programm, so pauschal wie möglich, Sie wissen schon …“
Vielleicht war es aber auch so: Alexander Neubacher hatte den Text schon in der Schublade und weder bei der WELT noch bei der FAZ wollten sie ihn haben, und die SPON- Redaktion erkannte ein Potential, sich mal wieder als Tabubrecher und vorderster Checker der Kontroverse zu feiern. Es ist der Zeitgeist persönlich, der dies verordnet. Politiker und Meinungsmacher aller Disziplinen ringen momentan um die unpopulärste Haltung, die am wenigsten gehörte Stimme, das mit dem größten Tabu belegte Thema. Etwas auszusprechen, das noch keiner zu sagen gewagt hat, ist der ganz heiße Shit. Und weil bei all den Tabubrüchen und mutigen Wortergreifungen der Geräuschpegel insgesamt ansteigt, muss man maßlos aufdrehen und verzerren, um nicht im Gequatsche unterzugehen…
Wie auch immer es war: Im Laufe des TTIP-Protest- Samstages, der 250.000-Teilnehmer-Meldungen, hunderter aufgebrachter Leserkommentare und vermutlich einiger Abonnement-Kündigungen wurde klar, dass die rechte-Randgruppen-Behauptung sich nicht ernsthaft würde halten lassen, woraufhin die mutige SPON-Redaktion dann offenbar wieder kalte Füße kriegte:
Noch am gleichen Tag fand sich eine Gegendarstellung von Judith Horchert auf der SPON-Seite, die so beginnt: „Zigtausende Menschen sind an diesem Samstag in Berlin auf die Straße gegangen. Die Bilder zeigen eine bunte Demo gegen das Freihandelsabkommen- kaum vorstellbar, dass die heimlichen Anführer dieses Protestes Rechte gewesen sein sollen. Genau das aber las ich in der eine Polemik meines Kollegen Alexander Neubacher, der vielen Anti-TTIP-Aktivisten eine "dumpf nationalistische" Geisteshaltung attestierte“...
Welche Polemik? Doch nicht etwa das, was ein paar Stunden früher noch als engagierter, aufklärerischer Kommentar gereicht worden war? Tatsächlich, ein Klick zum „Schauermärchen“-Artikel, und da stand es, wo es vorher nicht gestanden hatte und aus dem Text auch weiterhin nicht hervorging: Eine Polemik war´s nun auf einmal.
Ach so. Na dann: Wozu noch eine ernsthafte Erwiderung schreiben? Was gibt es an einer Polemik klarzustellen, außer, dass man sie nicht wörtlich nehmen sollte? Tatsächlich ist das, was Judith Horchert auch im Folgenden vorbringt, alles soweit richtig, aber irgendwie klingt es nach dieser Einleitung auch so, als sein der ganze Artikel einzig zu dem Zweck geschrieben worden, diesen Genreverweis auf den Artikel des Kollegen herauszustellen.
Eine Polemik also. Mit anderen Worten: Nä, war Quatsch. Spaß muss sein. Offenbar vertraut der SPON darauf, dass die verblödeten Leser*innen schon nicht wissen werden, dass zu einer Polemik noch ein paar andere Merkmale gehören als eine kontroverse, mit Übertreibung aufgepeppte bis zur schlichten Unwahrheit verzerrte Aussage (z.B. steht es einer Polemik gut an, unterhaltsam geschrieben zu sein und offensichtlich kein seriöser Kommentar sein zu wollen) …
Vielleicht ist all das aber auch gar nicht weiter wichtig, weil die ganze Sache beim SPON längst als Erfolg verbucht, denn die Schlamperei hat ja in ihrer ganzen Windigkeit auch einen schönen Wind produziert: Unter dem „Schauermärchen“-Artikel sammelten sich an die tausend mehrheitlich entsetzte, empörte, die Inhalte ernsthaft überdenkende Kommentare.
Und am Montag wurde schon wieder der Fisch drin eingewickelt.
Kommentare 7
Und am Montag wurde schon wieder der Fisch drin eingewickelt.
Das erlaubt die EU nicht. Muss richtiges unbedrucktes Papier sein, innen mit Plaste, damit alles schoen hygenisch ist.Uebrigens, frueher hat man sich mit der Zeitung von vorgesten, in DIN A5 kleingerissen, den Arsch geputzt. Auf dem Plumpsklo. Sowas konnten die Omas frueher natuerlich nicht sagen. Darum der Fisch.
thx für ein hoch auf ommas medienkompetenz * hier sei die frage erlaubt, ein switch, nein ein return zu mehr family hätte irgendwie was, jenseits der 1 raum wohnung ..... * okay, frage vertagen * generationenfässchen, needful aber z.zt. * feinsten resttag noch cp
Oh ja, ich bin beiden althergebrachten Zeitungs -Zweitverwertungskonzepten noch persönlich begegnet. Auf den Klos der Großelterngeneration lagen sie (kleingerissen und weichgerubbelt) manchmal auch in den satten Siebzigern noch (eingedenk der "schlechten Zeit"und/ oder weil man jetzt Zentralheizung hatte und nicht wusste, wohin damit - der Lumpen-Altpapier-Alteisen-Wagen kam nur alle paar Monate) - Aber auch Lebensmittel wurden damals in Druckerzeugnissen eingepackt: An Fisch erinnere ich mich nicht, wohl aber an Salat oder auch Schnitzel, von denen Oma die abgedruckte Schlagzeile von vorgestern abspülte (Hygiene gabs schon, EU-Richtlinien kamen später).
thx zurück für die schöne Zusammenfassung "ommas medienkompetenz" (wäre eigentlich der bessere Titel gewesen) :-)
Danke auch für die immer wieder Aufmerksamkeit und die sternenberankten Kommentare in poetischer Schreibung(manchmal etwas kryptisch, aber dahinter blitzt es hell...). Quasi: gefällt mir.
"Medienkompetenz hieße demnach, sich nicht nur mit dem zu befassen, was erzählt wird, sondern genau auf Beleuchtung, Klang und Auslassungen zu achten. Wie, wann und was nicht erzählt wird, ist mitunter aussagekräftiger als der Inhalt der Erzählung."
Unabhängiger Journalismus ist eine Illusion, weswegen Sie von eienr sich anzueignenden Medienkompetenz richtigerweise ausgehen. Dafür wären eigentlich Bildungsinstitutionen zuständig und dasIndividuum selbst.
Dick eingefärbt ist das, wo jede Medienkompetenz die Segel streichen kann, ausser man hat
1. sehr viel Zeit zum recherchieren (was eigentlich die Aufgabe des Journalismus wäre) oder
2. sehr viel Glück beim Suchen (dafür brauchts etwas mehr als Medienkompetenz) oder
3. ein kleines Netzwerk an Interessierten
Früher, als es noch Bücher gab, war das Problem, daß man ohne Anleitung (Schule,Studium, Freunde) nur sehr mühsam in den Griff bekam, folgendes: man las ein Buch um ins Thema einzusteigen und hatte dann die Möglichkeit im Anhang die Bibliografie durchzuackern auf das weitere Literatur folge.Medienkompetenz aus alten Zeiten quasi. Wer nur Zeitung las, war verloren (ausser es gab den seltenen Fall, daß ein Journalist auf Bücher verwies). Ohne eigenes Interesse aber ist eh nix zu machen.
Bildungspolitik ist die Kunst den Massen das, was nicht erzählt wird, zu verheimlichen oder ihnen den Weg aus der Unmündigkeit möglichst zu erschweren, indem man z.B. das Eigeninteresse vernichtet. Heute ist das nicht mehr so ohne weiteres möglich. Man arbeitet aber hart daran das "ohne weiteres" zu erweitern, u.a. mit Bullshit- und Konsuminternet-Strategien.
Danke für diese Ausführungen und: Zustimmung. Auch und vor allem zu "Ohne eigenes Interesse aber ist eh nix zu machen".
Im Kolonialwarenladen bei uns im Dorf wurden die Heringe aus der Tonne in Zeitungspapier gewickelt. Diese Zeitung war dann aber nicht mehr drittverwendungstuechtig. Tempi passati