Im Griechischen Hof des Neuen Museums weist Karl Marx den Weg. Über und über mit Gänsefedern beklebt, wirkt sein Markenzeichen auf dem Plakat noch voluminöser als sonst. Der Künstler Gunter Rambow hatte sich 1969 erlaubt, Marx’ gravitätischen Philosophenbart in ein fluffiges Federkleid zu verwandeln. Die Collage hat er jetzt für die Sonderausstellung Bart – zwischen Natur und Rasur neu aufgelegt.
In den 60er Jahren wirkte Rambows Plakat vermutlich noch ironischer als heute. Marx’ Fusselbart war unter linken Rebellen und Hippies weit verbreitet und galt als Zeichen gegen das allzu geschmeidige Establishment. Im Englischen bedeutet to beard passenderweise, jemandem die Stirn zu bieten. Dass der Vollbart des Revoluzzers im Lauf der 70er allmählich von einer subkulturellen Nischenerscheinung – ganz ähnlich wie heute – zu einer weiter verbreiteten Mode wurde, unterlief seine politische Botschaft zunehmend.
Wer die TV-Serie Mad Men gesehen hat, wird sich daran erinnern, wie in der finalen Staffel die Chefetage der Werbeagentur Sterling Cooper Draper Pryce immer behaarter wird. Allein Don Draper bleibt glattrasiert. Als Held der Serie unterwirft er sich keiner flüchtigen Mode. Denn nicht mehr bleibt von der trotzigen Geste übrig, wenn sie von den Machern der Werbekampagne für Coca-Cola adaptiert wird. Ihr revolutionäres Potenzial verpufft, und so unterscheidet sich auch auf Gunter Rambows Plakat Marx’ ungebändigter Bart, der als Symbol der (geistigen) Unabhängigkeit galt, kaum noch von der Watte im gemütlichen Gesicht des Weihnachtsmanns.
Die Voraussetzung für den neuen bärtigen Mann Ende der 60er waren die bartlosen Jahre zuvor. Jung, dynamisch und sportlich – das waren die bevorzugten Attribute des modernen Manns in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Backenbart war altbacken, höchstens ein schnittiger Schnauzer war erlaubt. Das Image des Oberlippenbarts hingegen sollte sich von Hitler so schnell nicht wieder erholen. 1950 kamen die ersten Elektrorasierer auf den Markt. Die Trockenrasur machte nun die gepflegte Erscheinung möglich, die den Standards einer industriellen Reinlichkeitsutopie entsprach. Im Neuen Museum lässt sich das allererste Modell mit einem Rasiermesser aus der Bronzezeit vergleichen. Beide liegen in einer Vitrine mit Rasierwerkzeugen aus den vergangenen 6.000 Jahren.
König Knebelbart
Auf solche Gegenüberstellungen setzt die Ausstellung. Weniger chronologisch, vielmehr kaleidoskopartig werden die Gäste an unterschiedlichste Phänomene herangeführt. Die Exponate verdeutlichen vor allem, welche widersprüchlichen Zuschreibungen der Bart erfahren hat. In der Antike galt er als Merkmal des weisen, erfahrenen Philosophen, aber auch der animalische Satyr ist ein Prototyp des Bärtigen. Und so ist überliefert, was Lukian von Samosata im zweiten Jahrhundert nach Christus gesagt haben soll: „Wenn ihr glaubt, jeder, der einen Bart trägt, ist ein Weiser, passt bloß auf – jeder Ziegenbock trägt einen Bart und könnte also Platon sein.“ Bart ist eben nicht gleich Bart, das zeigen auch die unterschiedlichen Bildnisse, die man sich von ihm machte. Das Haar der antiken Platon-Büste, das in weichen Locken hinabfließt, könnte nicht unterschiedlicher sein zu den struppigen Borsten des Fauns bei Pablo Picasso.
Der ungebändigte wie auch der würdevoll gestriegelte Bart haben als Kultsymbol männlicher Dominanz und Potenz die Frage nach dem Bart immer wieder zu einer Machtfrage gemacht. Bis in die Moderne, und für religiöse Gemeinschaften noch heute, gilt bei der Entscheidung, welche Bartmode zur Norm erklärt wird, das Trickle-down-Prinzip. Der englische König Charles I. frisierte sich im 17. Jahrhundert einen Knebelbart, kurze Zeit später trug ganz England einen. Zar Peter der Große sprach 1698 ein Verbot gegen den Bart aus. Wer dennoch einen haben wollte, musste eine Steuer zahlen. Nazis erniedrigten Juden, indem sie ihre Bärte abschnitten.
Von Mohammed heißt es, er habe seinen Bart nie geschnitten. Strenggläubige Muslime kürzen deshalb die Haare über der Oberlippe und lassen am Kinn einen langen Bart wachsen. Auch Dschihadisten tragen ihn so, inzwischen gilt er deshalb auch als Symbol des Terrorismus. In Schweden hatte im Oktober das Treffen einer Gruppe bärtiger Hipster sogar zu einem Polizeieinsatz geführt, weil fälschlicherweise von einer IS-Versammlung ausgegangen worden war.
Moustache aus Gold
Glaubt man, die Geschichte des Barts sei nur eine des Patriarchats, belehrt einen im Neuen Museum das 15. Jahrhundert vor Christus eines Besseren. Das Herzstück der Ausstellung ist eine Frauenfigur, die Büste der ägyptischen Königin Hatschepsut als Sphinx. Wie die glattrasierten Pharaonen im alten Ägypten banden sich auch die weiblichen Herrscherinnen einen künstlichen, geflochtenen Bart ans Kinn, um im zeremoniellen Akt mit den Göttern in Kontakt zu treten.
Auch in natura ist der Bart nicht nur Männern vorbehalten. 30 Prozent aller Frauen haben eine Veranlagung zum Bartwuchs, doch nur die wenigsten tragen ihn. Die Künstlerin und Bloggerin Miriam will das ändern. Seit einiger Zeit geht sie öffentlichkeitswirksam gegen die Tabuisierung der weiblichen Gesichtsbehaarung vor. Für das Neue Museum hat sie einen Pavillon gebaut, in dem neben historischem Bildmaterial von bärtigen Frauen auch ein Interview mit ihr zu sehen ist. Dort spricht sie sehr differenziert darüber, wie wichtig es sei, Geschlecht nicht in feste Kategorien einzuordnen. Ihre rot bemalte Bühne erinnert allerdings unangenehm an die Wanderzirkusse, in denen zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch bärtige Frauen als Kuriositäten bloßgestellt wurden.
Bleibt die dritte Frau mit Bart, die in der Schau zu sehen ist: Rihanna. Auf einem T-Shirt hält sie sich ihren Zeigefinger mit einem tätowierten Moustache unter die Nase. Wie Hatschepsut trägt sie eine Bartattrappe. Der minimalistische Moustache ist ursprünglich das Label der „Movember“-Bewegung, die 2003 in Australien aufkam: Vor allem junge Männer lassen sich den November über einen Schnurrbart wachsen, um Spenden für die Prostatakrebsforschung zu sammeln. Heute ist der Moustache ein Hipster-Accessoire, das in allen Variationen zu kaufen ist. Wer will, kann sich auch im Museum mit einem goldenen Glitzermodell fotografieren und in die unzähligen Bartporträts einreihen lassen, die auf einem Bildschirm präsentiert werden.
Auf ein Paradox stößt man auch hier. Kein Gesicht gleicht dem anderen, und doch führt der Bart zu einer Uniformierung der Bilder – er erscheint vor allem im Spannungsfeld von Konformität und Originalität. Immerhin 77 Prozent der Bartträger sind der Meinung, der Bart unterstreiche ihre Individualität. So gilt, was die Soziologin Elena Esposito in Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden. Paradoxien der Mode schrieb: „In ihrer Banalität ist die Mode ein geheimnisvolles Phänomen.“
Info
Bart – zwischen Natur und Rasur Neues Museum Berlin, bis 28. Februar
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