Solo Cate

Ausstellung Der Künstler Julian Rosefeldt hat 60 Manifeste aus drei Jahrhunderten genommen und sie der Schauspielerin Cate Blanchett in den Mund gelegt
Ausgabe 06/2016

Zwölf Filme, in denen insgesamt 60 Manifeste aus den letzten 170 Jahren verarbeitet sind, das klingt erst mal nach postmodernem Diskurs-Overkill. Zwölf Filme, in denen Cate Blanchett in so unterschiedliche Rollen wie die eines Obdachlosen, einer Lehrerin und einer Börsenmaklerin schlüpft, um diese Manifeste zum Leben zu erwecken, sind aber in Wirklichkeit dann eher emotional überwältigend. Es entsteht ein Sog, wie man ihn sonst nur im Kinosessel kennt. Maßgeblich liegt das an Cate Blanchetts Wandlungsfähigkeit und ihrer Präsenz, die einen geradezu anspringt, sobald man die Installation in der Ausstellungshalle des Hamburger Bahnhof betritt.

Julian Rosefeldt, gebürtiger Münchner und heute in Berlin ansässig, erstellt seit Mitte der 90er Filminstallationen, die präzise choreografiert und kulturwissenschaftlich ausgerichtet sind. Vor zwei Jahren begann er sich mit Manifesten auseinanderzusetzen und entwickelte die Idee, die philosophisch-ästhetischen Schriften in emotionale Sprechakte zu überführen. Cate Blanchett hatte er bereits 2013 kennengelernt, als sie sich für die Dreharbeiten zu dem Film Monuments Men in Berlin aufhielt.

„Everlasting change!“

Rosefeldt hat schließlich Monologe aus Manifesten montiert, die von Karl Marx’ Kommunistischem Manifest (1848) bis zu Jim Jarmuschs Golden Rules of Filmmaking (2002) reichen. Für das Skript jedes einzelnen der zwölf Filme bündelte Rosefeldt ästhetische Programme, die ähnliche Ansätze aufweisen. Wüsste man es nicht besser, würde man nicht merken, dass es sich um Sprachcollagen handelt.

Künstlermanifeste, das zeigt diese Ausstellung, sind alles andere als blutleere Traktate. In starke Szenen überführt zu werden, ist ihnen geradezu eingeschrieben, sind es doch Texte, die neue Wertigkeiten formulieren, um bestehende Vorstellungen von Kunst und Wirklichkeit zu revolutionieren. Immer ist da der Impuls, Ideen in konkrete Handlung zu überführen.

Wenn Rosefeldt diese Manifeste in unsere Lebenswirklichkeit einspeist, fällt auf, wie nah und aktuell die Forderungen sind – selbst dann, wenn Text und Situation vermeintlich clashen. Das Dadaistische Manifest, das zur Trauerrede wird, erinnert an eine Szene aus dem grotesken Theater, und doch überzeugt die nihilistische Haltung des Textes hier, weil im Angesicht des Todes die Verwerfung jeglicher Logik nachvollziehbar erscheint.

Wie sich Text und Bild zueinander verhalten, ist von Episode zu Episode unterschiedlich. Mal scheint die Szene den Text zu illustrieren, dann wieder entstehen paradoxe Momente. Wenn die Programme von Fluxus und Merz zu Anweisungen werden, die Blanchett als russische Choreografin ihren Tänzern im Friedrichstadtpalast voller Inbrunst diktiert – „I demand the total mobilization of all artistic forces“ –, passt der Monolog eins zu eins. In anderen Filmen erscheint der Text eher als Metadiskurs, etwa bei der Arbeiterin in einer Müllverbrennungsanlage, deren leerer Blick nicht die Visionen futuristischer und moderner Architekten reflektiert, sondern vielmehr das Scheitern avantgardistischer Wohnutopien. Der verkommene Neubaublock, in dem sie lebt, und die Morbidität der Fabrik, in der sie arbeitet, sind trostlose Ruinen modern gedachter Bauten. Der Ausruf „Everlasting change!“ klingt hier eher sarkastisch.

Indem Rosefeldt die Texte auf Standardsituationen des 21. Jahrhunderts überträgt, zeigt er auch, wie es aussieht, wenn aus progressiven Ideen destruktive Realitäten werden. Wenn Blanchetts nervöse Börsenmaklerin aus dem futuristischen Manifest zitiert – „the iron network of speedy communications which envelops the earth“ –, bringt das Gesagte die Manie der Finanzspekulation auf den Punkt.

Wie aktuell der revolutionäre Geist einiger Schriften noch immer ist, wird in Manifesto sowohl tragisch als auch komisch inszeniert und umfasst alle sozialen Milieus. Die Manifeste der Moderne geistern als Hingespinst eines Obdachlosen umher, der in Rage den Materialismus verflucht, aber auch in der abgeschirmten Wohlstandsblase einer Geschäftsführerin, die auf einem privaten Empfang in ihrer Villa am Wannsee über das Erhabene spricht. Passend gibt das Panoramafenster des Hauses den Blick auf den See frei und die Aussicht wird zu einem Bild von Caspar David Friedrich. Mit dem gleichen Gespür für symbolische und kulturelle Zusammenhänge, mit denen Rosefeldt die Textauswahl getroffen hat, arbeitet er auch mit Architektur. Alle Filme wurden im Dezember 2014 in nur zwei Wochen vorrangig in Berlin gedreht. So spielt die Szene, in der Blanchett ein Obdachloser ist, auch auf dem Teufelsberg im Westen Berlins mit der längst verfallenen US-Abhörstation aus den 50er Jahren.

Manifesto ist großes Theater, das selbstreflexiv das Kunst- und Filmemachen verhandelt, ohne dabei den Bezug zum Draußen zu verlieren. Kunst erschafft Wirklichkeit, und Wirklichkeit erschafft Kunst: „It’s not where you take things from – it’s where you take them to“, wie Cate Blanchett als Lehrerin Jim Jarmusch zitiert, der wiederum Jean-Luc Godard zitiert.

Info

Manifesto Julian Rosefeldt Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin, bis 10. Juli

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