Ein Fremder mit minimaler Kenntnis des 20. Jahrhunderts, der zufällig Benny Gantz’ Wahlkampfauftakt in Tel Aviv miterlebt hätte, wäre wohl zu Recht erschrocken: militaristische Khaki-Flaggen und -Ballons; Plakate, die dem einzig wahren Anführer huldigen. Generäle, Falken der Außenpolitik, die sich umarmen, großer Applaus, dazu eine kriegerische Rede und Slogans wie „Israel zuerst“, „Erst der Staat, dann das Individuum“ und „Ein Volk, ein Staat, eine Nation“. Der Auftritt hatte alles, was eine Junta mit neofaschistischer Neigung kennzeichnet, die sich Benito Mussolini zum Vorbild genommen hat.
Aber wie sprachlos wäre unser Beobachter erst am Tag danach gewesen! Israels liberale Linke begann vor Begeisterung über Gantz fast zu sabbern, der Rechten um Benjamin „Bibi“ Netanjahus Regierungspartei Likud war gleich klar: Hier versucht einer mehr schlecht als recht seine Illoyalität, ja seinen Linksradikalismus zu verbergen. Willkommen also in Netanjahus bizarrem Israel des Jahres 2019, wo alle komplexen existenziellen Probleme auf die eine Frage reduziert werden: Bist du für ihn oder gegen ihn?
Gantz ist, wenn auch ein wenig widerwillig, gegen ihn. Zwar erwähnte er in seiner Rede Netanjahu namentlich nicht ein einziges Mal, sprach aber von spalterischem Führungsstil, vom „Gehabe eines französischen Königshofs“ und davon, wie sehr er es ablehne, dass ein „Ministerpräsident unter Anklage“ im Amt bleibe. Benny Gantz, 59 Jahre alt und bis 2015 Generalstabschef der israelischen Armee, ließ keine Zweifel aufkommen: Er möchte als Anti-Bibi gesalbt werden, als einzig wahrer Anwärter auf das wichtigste Amt im Staat, wenn Israel am 9. April in vorgezogenen Neuwahlen sein Parlament bestimmt. Noch steht mit der Neugründung Hosen LeYisrael (Widerstandskraft für Israel) nur ein Zusammenschluss aus Freiwilligen und Bekannten hinter ihm, welcher eher an ein Start-up oder eine NGO erinnert als an eine Partei.
Man bringt den Enthusiasmus der Friedensbewegten und der Liberalen kaum mit Gantz’ Bewerbungsrede zusammen, einem Mix aus leeren Platitüden über Gott und die Welt mit hartem Militarismus – Stärkung der Siedlungen; ein ungeteiltes Jerusalem als ewige Hauptstadt des jüdischen Volkes und des Staates Israel; kein Rückzug von den Golanhöhen; und „den Millionen Palästinensern jenseits des Grenzzauns werden wir nie erlauben, unsere Sicherheit und Identität als jüdischer Staat zu gefährden“.
In einer Welt ohne Bibi hätte die Linke Zeter und Mordio geschrien, wäre eine neue rechte Partei wie die hinter Gantz aufgetaucht, um Ehrlichkeit und Integrität vorzuspielen und so Mitte-links-Wähler zu locken. In der Welt mit Bibi aber wird jeder Kandidat allein danach bewertet, ob er theoretisch in der Lage ist, den amtierenden und im Fokus von Korruptionsermittlungen stehenden Ministerpräsidenten zu besiegen. Umfragen sehen Gantz als bisher Einzigen in Reichweite zu Netanjahu.
Er entstammt einer Familie rumänischer und ungarischer Schoah-Überlebender, seine Mutter deportierten die Nazis nach Bergen-Belsen. Gantz wuchs in einem Moschaw auf, einer Siedlung, die ihre landwirtschaftliche Produktion genossenschaftlich organisiert. Mit 18 ging er zur Armee und machte dort schnell Karriere, wurde dann später nicht nur Generalstabschef, sondern auch Militärattaché an der israelischen Botschaft in den USA. Er könnte in die Fußstapfen Yitzhak Rabins und Ehud Baraks treten, die Mitte-Links in den vergangenen 40 Jahren genau zwei Wahlsiege bescherten. Gantz stammt aus einfachen Verhältnissen, gilt als ehrlich, als einer, der Klartext spricht. Das macht ihn zum idealen Gegenpol des Mannes, den er ablösen will.
Unserem fremden Beobachter, der die sehr speziellen israelischen Codes in Gantz’ scheinbar kriegerischer Sprache nicht erkennt, sei dies verziehen. Beschwört er „Israel“ oder gar „Israelität“, so spricht daraus durchaus eine Art von nationalistischem Appell. Zugleich aber will Gantz damit Netanjahus jüdischem Ethnozentrismus etwas entgegensetzen, ebenso den Angriffen des Premierministers auf die demokratischen Institutionen, welche den modernen israelischen Staat ausmachen. Das gilt nicht zuletzt für die Armee als große Gleichmacherin der israelischen Gesellschaft, zunehmend die Insel der Vernunft in einem Meer aus Nationalismus, Intoleranz und religiösem Fundamentalismus. Wenn Gantz sich nun mit Netanjahus früherem Verteidigungsminister Moshe Yaalon zusammentut, soll das nicht nur einen klaren Rechtskurs in Sachen Sicherheit garantieren, sondern zudem ehrwürdige israelische Werte, wie Netanjahu sie untergrabe, demonstrieren.
Manche Linke trösten sich damit, dass Gantz’ außenpolitische Positionierung ja nur dazu diene, gemäßigte Rechtsaußen-Wähler anzulocken; ist er erst einmal gewählt, würde er sicher sein wahres liberales Ich zeigen. Doch selbst wenn nicht, wenn er dabei bleibt, dass jemand wie die gemäßigte Ex-Ministerin Tzipi Livni viel zu weit links stehe, um für eine Zusammenarbeit in Frage zu kommen – den Nimbus als Retter im Wartestand wird ihm niemand mehr nehmen.
In einer Öffentlichkeit, die die Besatzung palästinensischer Gebiete und die Frage des Friedens mit den Palästinensern im Wesentlichen ignoriert, hat Gantz seine Feuertaufe im grellen Scheinwerferlicht der Medien mit Bravour überstanden – eben aus Sicht eines Lagers, das allein die Losung „Jeder, nur nicht Bibi“ kennt und nichts mehr fürchtet als den Untergang der Demokratie.
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