China stoppt „Kraftwerk“

Tabu Tibet Die deutsche Kultband darf nicht auf einem Pekinger Musikfestival auftreten. Der Kulturpolitik und „Soft Power“ Chinas tut das keinen Gefallen.

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„Wir fahr‘n fahr‘n fahr‘n auf der Autobahn“ - aber nicht in China (Foto: Wikimedia Commons).

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Peking schreibt mit

Es wäre Kraftwerks erster Auftritt in der Volksrepublik gewesen. Die Geburtshelfer elektronischer Tanzmusik waren auf dem Pekinger „Strawberry Music Festival“ (29.04. bis 01.05.2013) schon eingeplant, als das chinesische Kulturministerium den Veranstaltern Ende März einen Strich durch die Rechnung machte. Die 1970 in Düsseldorf gegründete Band erhielt wohl deswegen kein Visum, weil sie 1998 im Programm eines „Free Tibet“-Konzerts in Washington stand. Aufgetreten ist sie dort nicht, wegen schlechten Wetters. Der Deutschen Presse Agentur sagte ein Mitarbeiter des veranstaltenden Plattenlabels „Modern Sky“, dass das Ministerium keine Gründe genannt habe. Die als öffentlichkeitsscheu geltende Band hat sich bisher nicht geäußert.* Dass der Stolperstein der geplatzte Auftritt vor 15 Jahren gewesen sein könnte, hält auch der in den USA lebende Regimekritiker Li Hongkuan für wahrscheinlich.

Es wurde vermerkt, weil die Tibet-Frage relativ heikel ist. Die Kommunistische Partei Chinas ist da sehr empfindlich. Vieles ist bei ihr tabu, wie für eine Trennung Chinas Ethnien oder gegen Partei und Sozialismus zu sein. Sie dokumentiert das für gewöhnlich immer.

Damoklesschwerter

In Sachen Tibet ist sie seit dem Eklat um Islands Pop-Sirene Björk noch vorsichtiger. 2008 hatte die Sängerin auf ihrem Shanghai-Konzert während des Stücks „Declare Independence“ „Tibet! Tibet!“ geschrien:

Für viele Chinesen war dies ein öffentlicher Aufruf zum Separatismus. Der Vorfall schlug damals hohe Wellen und führte dazu, dass ausländische Künstler vor ihrem Auftritt in China noch gründlicher überprüft werden sollten. Liedtexte sind vorab einzureichen und gegebenenfalls zu ändern; Konzerte werden oft beobachtet. Liz Tung, Musik-Redakteurin bei Time Out Beijing, glaubt aber nicht, dass die Behörden in der Praxis viel Energie auf die Überprüfung im Vorfeld verwendeten. Auch chinesische Nutzer vermuten wenig Musikexpertise im Kulturministerium. Sie fragen sich, warum eine so unpolitische Band wie Kraftwerk kein Visum erhielt, aber das umstrittene Punk-Urgestein John Lydon („Sex Pistols“) im März 2013 auftreten durfte.** Nicht nachvollziehbare Entscheidungen für oder gegen Auftritte sind für chinesische Jugendliche nichts Neues, meint Liz Tung.

They’re used to shows being censored, movies being censored, they’re used to things being pulled at the last minute for stupid reasons.

Das denkt auch die Künstlerin Cecilia Chan. Enttäuscht über das Kraftwerk-Verbot schreibt sie in einem Mikroblog:

Sexuelle Andeutungen, politische Ausrichtung, 60 Jahre VR China… Aus wirklich jedem Grund kann einer Band der Auftritt in China untersagt werden.

Diese Unvorhersehbarkeit gebe es nach wie vor, bilanziert der in die USA ausgewanderte Politikwissenschaftler Xie Xuanjun, trotz neuer Freiheiten im chinesischen Kulturbetrieb. Er vergleicht die Situation so:

Gibt es nicht diesen griechischen Mythos vom Damoklesschwert, das über den Köpfen der Menschen hängt? Jederzeit kann es heruntersausen und Köpfe abschlagen. Die Macht Chinas Regierung ähnelt diesem Schwert.

Nutzer Terry303 wundert sich auf Sina Weibo, dass dieses auch nach langer Zeit noch so scharf ist und fragt nach der Verhältnismäßigkeit.

Es war zwar zu erwarten, aber muss man sich wirklich wegen einer 15 Jahre alten Kleinigkeit so rächen?

Und wie eine solche Kulturpolitik Chinas in der Welt wahrgenommen wird, darüber sorgt sich Terry303 auch. Li Hongkuan hat darauf eine Antwort und wirft einen Begriff ins Feld, der für Chinas Außenpolitik immer wichtiger wird: „Soft Power“.***

Aber Freunde kann China so unmöglich gewinnen. „Soft Power“ heißt im Kern, die Anerkennung der Menschen des Landes zu erhalten, so dass sie sich wirklich mit dir identifizieren. Für Chinas Bemühungen um den weltweiten Ausbau seiner „Soft Power“ ist die Verfahrensweise im Fall Kraftwerk kontraproduktiv.

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* In Kraftwerks Tourneeplan taucht der Termin in Peking nicht mehr auf. Das Konzert am 04.05.2013 in Hongkong findet laut Plan statt. Hongkong hat als Sonderverwaltungszone andere Visa-Bestimmungen.

** Von Kraftwerk ist nur bekannt, dass sie sich gegen Atomenergie einsetzen.

*** Meist soll auswärtige Kulturpolitik die „Soft Power“ eines Landes in anderen Ländern steigern. Für China sind hier besonders die Konfuzius-Institute zu nennen.

Im April 2013 zuerst erschienen bei:

http://www.stimmen-aus-china.de

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Geschrieben von

chinaschau

Autor: Oliver Pöttgen | chinaschau@web.de | fachchinesisch.tv

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